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Interview: Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats: Corona hat "uns an den Abgrund geführt"

Interview

Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats: Corona hat "uns an den Abgrund geführt"

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    Theatervorstellungen und Konzerte sind derzeit nur mit reduzierter Besucherzahl möglich.
    Theatervorstellungen und Konzerte sind derzeit nur mit reduzierter Besucherzahl möglich. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Wie fällt Ihre vorläufige Corona-Bilanz aus Sicht der Kultur aus? Hat die Politik überreagiert?

    Olaf Zimmermann: Die vergangenen Monate sind ein noch nie dagewesener Albtraum für den Kulturbereich - aber ich glaube, gerade auch diesen Bereich komplett herunterzufahren, in dem Künstler nun mal in aller Regel direkt auf ein auch eng stehenden oder sitzendes Publikum treffen, das nicht selten aus allen möglichen verschiedenen Bereich und Regionen zusammentrifft - diese Notwendigkeit ist gegeben gewesen und teilweise auch weiterhin gegeben. Hier ist nichts geschehen, was in dieser Gesundheitskrise nicht notwendig gewesen wäre. Aber weil wir eben als besonderer Ort der Öffentlichkeit besonders betroffen sind, braucht es eben auch besondere Unterstützung, im Prozess des allmählichen Wiederhochfahrens, das nun hoffentlich einsetzt.

    Gehen Ihnen die Schritte der Öffnung zu langsam oder zu schnell?

    Zimmermann: Das Problem sind ja die Schritte selbst. Denn es ist ja vernünftig, nun nicht gleich Konzert- oder Kinosäle wieder vollzupacken und besondere Hygienevorschriften einzuhalten, und wir sind ja bereit, all das zu tun – aber damit sind die Einrichtungen, selbst wenn sie wieder öffnen, nicht mehr rentabel zu führen. Das funktioniert eben nicht, kulturelles Leben wird damit unmöglich – außer die Gesellschaft sagt, das ist uns so wichtig, dass wir es so unterstützen, dass es möglich ist. Und immerhin, nachdem es ja sonst immer heißt, der Kulturbereich stünde ganz hinten in der Nahrungskette, weit hinter der Automobilwirtschaft etwa, ist es glücklicherweise hier andersherum passiert: Nicht etwa hat die Autowirtschaft ihre Abwrackprämie bekommen, sondern der Kulturbereich hat zusätzlich zu den anderen, für uns ja auch geltenden Hilfsprogrammen der Regierung noch den Kulturinfrastrukturfond bekommen. Und die Gelder werden ja nicht von staatlicher Hand, sondern über die Fachverbände verteilt und kommen damit viel zielgerichteter an.

    Aber wie weit reicht diese Kulturmilliarde? Institutionen wie das 100 Jahre alte Colloseum-Kino in Berlin machen bereits dicht …

    Zimmermann: Natürlich reicht es bei weitem nicht, um alle Einnahmeausfälle zu kompensieren – so ist es ja in allen wirtschaftlichen Bereichen in unserem Land. Wir können jetzt nur noch darüber reden: Wer überlebt das Hochfahren? Denn natürlich wird es auch im Kulturbereich Schäden geben. Und wir können nur versuchen, sie so gering wie möglich zu halten. Aber wir werden im Bereich der Kulturwirtschaft erhebliche Probleme in den nächsten Monaten bekommen.

    Olaf Zimmermann, 59, gebürtiger Hesse und ehemaliger Kunsthändler, ist seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates in Berlin.
    Olaf Zimmermann, 59, gebürtiger Hesse und ehemaliger Kunsthändler, ist seit 1997 Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates in Berlin. Foto: Reiner Zensen, Imago

    Erreichen Sie viele Hilferufe? Was sind die größten Problembereiche?

    Zimmermann: Die meisten Hilferufe kommen von den Künstlerinnen und Künstlern, die gerade als Soloselbstständige in großer Not sind – aber für den Einzelnen gibt es ja vernünftige Rettungsstrukturen bis hin zur Grundsicherung. Das ist keine schöne Sache, aber das heißt: Sie überleben diesen Lockdown mit seinen Folgen. Die meisten Totalschäden wird es in der kulturellen Infrastruktur geben.

    Was heißt das konkret?

    Zimmermann: Der kulturwirtschaftliche Bereich erwirtschaftet ein Bruttosozialprodukt, das größer ist als das der chemischen Industrie in Deutschland und nur knapp unterhalb des Maschinenbaus liegt. Die Kulturwirtschaft ist ein sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor, der aber mehr als die anderen aus ganz vielen kleinen und ein bisschen größeren Strukturen besteht: Verlage, Galerien, Kinos, Privattheater … – alles, was neben den öffentlichen Institutionen unserer kulturelles Leben so maßgeblich gestaltet. Und die haben derzeit die größten Probleme, weil die weiterlaufenden Betriebskosten sie buchstäblich erdrücken.

    Und selbst wenn das jetzt schon die Corona-Krise gewesen sein sollte – ist etwas zerstört worden, das wir so nicht wiederbekommen werden?

    Zimmermann: Davon bin ich leider überzeugt, ja. Es werden einige auf der Strecke bleiben, vor allem inhabergesteuerte Kleinstrukturen, denen spätestens jetzt während des langsamen Hochfahrens die wirtschaftliche Basis verloren geht. Etwa Konzertveranstalter, die den Shutdown zwar gerade so überlebt haben, aber jetzt nicht wissen, ob und was sie im Herbst wo auf die Bühne bringen dürfen, also auch keine Verträge abschließen können. Und das bringt eben nicht wenige an den Rand der Existenz.

    Wie verheerend wäre denn dann eine zweite Corona-Welle mit einem dann notwendigen weiteren Lockdown?

    Zimmermann: Das wäre nicht mehr verschmerzbar. Die ersten drei Monate haben ja schon gezeigt, wie dünn das Eis ist. Die Künstlerinnen und Künstler, sie waren die Ersten, die eingebrochen sind, sie hatten letztlich kein Geld in der Hinterhand, mit durchschnittlich 15.000 bis 17.000 Euro im Jahr kannst du keine Rücklagen bilden. Jetzt brechen langsam die kulturwirtschaftlichen Strukturen ein. Wenn der Lockdown zurückkommen würde, das wäre eine wirkliche Katastrophe. Und darum ist es jetzt auch so wichtig, achtsam zu sein. Denn auch das, was jetzt etwa im Schlachthof Tönnies passiert, kann für den Kulturbereich riesige Auswirkungen haben. Wir sind jetzt wirklich am Ende. Diese drei Monate waren etwas, was uns an den Abgrund geführt hat. Die Politik hat das erkannt und reagiert – aber bei einem weiteren Lockdown würden auch noch mal erhebliche neue Mittel notwendig werden, um eine Infrastruktur im kulturellen Bereich erhalten zu können. Wollten und könnten wir uns das noch leisten, wenn der Kulturbereich zwar ein extrem betroffener, aber neben Tourismus oder Gastronomie ja nur einer von vielen Opferbereichen ist?

    Was muss aus der Krise gelernt werden?

    Zimmermann: Ein riesiges Problem bei der Koordination der Hilfsmaßnahmen und der Wiederöffnung im Kulturbereich, das beseitigt werden muss, ist die Kakophonie zwischen den Bundesländern. Dass wir solche Unterschiede von Bundesland zu Bundesland haben in der Festlegung, was wer machen soll, dass mittlerweile niemand mehr weiß, was für ihn selbst eigentlich gilt – das ist skandalös. Der Kulturföderalismus hat sich wirklich nicht von seiner besten Seite gezeigt in der Corona-Krise. Es ist nicht möglich gewesen, dass sich die Länder, die ja die Kulturverantwortung haben, auf ein gemeinsames Agieren abstimmen. Es ist doch empörend: Wenn ich als Künstler in Hamburg lebe, habe ich Glück gehabt, weil es da eine gut ausgebaute Unterstützunginfrastruktur gibt – wenn ich aber nur ein paar Kilometer weiter wohne, in Niedersachsen, dann habe ich Pech gehabt, weil es dort erheblich weniger Hilfen gibt. Das kann doch nicht sein, das ist doch nicht der richtige Weg. Ja, wir brauchen regionale Unterschiede in der Kulturpolitik – aber doch nur, wo sie auch sinnvoll sind.

    Also Vereinheitlichung, wo sie hilft?

    Zimmermann: Es wäre wirklich eine große Erleichterung, wenn es bundeseinheitliche Regelungen etwa für das Hochfahren von Kultureinrichtungen gäbe oder Vorgaben für die Wiederaufnahme von Chor-Proben oder Richtlinien für Konzertveranstalter. Dass es hier solche regionalen Unterschiede gibt, ist nicht hilfreich. Und natürlich haben manche Länder Recht, die etwa sagen, das Soloselbstständige im Kulturbereich bei den Bundeshilfen zu kurz kommen, weil sie etwa keine Betriebskosten haben, die sie abrechnen können. Nun aber helfen hier halt nur einzelne Bundesländer statt dass sich die Länder gemeinsam darauf verständigen: Okay, das ist unsere Aufgabe, das machen wir. Aber nein, die machen das nicht! Noch nicht einmal in der Krise gibt es ein einziges gemeinsames Programm der Länder, das die Kultur unterstützt. Das ist, nun ja, einfach schade …

    Braucht es neue Institutionen?

    Zimmermann: Immerhin haben die Länder ja vor eineinhalb Jahren eine Kulturministerkonferenz gegründet, die ja im Moment unter der Verantwortung von Herrn Sibler steht, also den Bayerischen Kulturminister. Und eigentlich sollte die ja genau dafür da sein, Absprachen der Länder untereinander zu koordinieren. Und da würde ich schon erwarten, dass sie es hinkriegen, zumindest ein einziges Förderprogramm gemeinsam auf den Weg zu bringen. Das wäre in der Krise ein wichtiges Signal gewesen – und das könnte noch immer ein wichtiges Signal sein für die dauerhafte Akzeptanz der Kulturhoheit.

    Was muss das nächste Ziel sein?

    Zimmermann: Wir müssen uns die analoge Welt zurückerobern. Denn es ist in der Krise ja sehr vieles in die digitale Welt abgewanderte, was natürlich völlig okay war – aber in der Konsequenz auch schwierig. Denn in der digitalen Welt verdient man nichts oder so gut wie nichts, ein riesiges Problem, darum müssen jetzt dringend die urheberrechtlichen Regeln der Realität angepasst werden. Aber vor allem müssen wir das analoge Erleben der Künstler so schnell wie möglich zurückbekommen, von Mensch zu Mensch. Ich hoffe sehr, dass das Publikum dann auch wirklich wieder in vollem Umfang zurückkehrt. Denn man kann sich, und das besorgt mich sehr, auch von dieser Unmittelbarkeit entwöhnen, das haben wir ja in anderen Bereichen schon erlebt, etwa unserer Kommunikation. Einen großen Kampf werden wir deshalb um unser Publikum führen, wir wollen es wieder zurückzugewinnen, denn ohne Publikum kann der Kulturbereich nicht überleben.

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