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Interview: Franz Alt über den Dalai Lama: „Nichts bringt ihn aus der Fassung“

Interview

Franz Alt über den Dalai Lama: „Nichts bringt ihn aus der Fassung“

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    Gute alte Bekannte: der Dalai Lama (links) und der Journalist Franz Alt bei einem Treffen in Berlin.
    Gute alte Bekannte: der Dalai Lama (links) und der Journalist Franz Alt bei einem Treffen in Berlin. Foto: dpa

    Herr Alt, Sie kennen den Dalai Lama seit langem persönlich. Was für einen Eindruck hat er in all den Jahren bei Ihnen hinterlassen?

    Franz Alt: Wahrscheinlich hat er neben Michail Gorbatschow den größten Eindruck auf mich gemacht. Wir waren über vierzig Mal zusammen, haben fünf Bücher miteinander gemacht. Wenn Sie beim Dalai Lama sind, glauben Sie, es gibt auf der Welt nichts anderes als ihn und Sie. Er ist ein so bescheidener Mensch. Wenn man ihm mit „Eure Heiligkeit“ kommt, muss er immer lachen: „Lassen wir das. Ich bin doch nur ein einfacher Mönch.“

    Zu seinem 85. Geburtstag haben Sie ein Interview mit ihm geführt, ein Klima-Appell an die Welt. Nun ist Ihnen die Corona-Krise dazwischen gekommen. Ist das Buch trotzdem die richtige Wortmeldung zur richtigen Zeit?

    Alt: Mit dem Dalai Lama habe ich 2018 vereinbart, das Buch zu schreiben. Corona war damals kein Thema, aber das Klima. In seinen Videokonferenzen, zuletzt vor 100.000 junger Menschen, sagt er: Vergesst über Corona den Klimawandel nicht! Es wird eine Zeit nach Corona geben, aber eine Zeit nach dem Klimawandel, wenn wir ihn nicht in den nächsten zehn Jahren aufhalten, wird es nicht mehr geben.

    Warum ist dem religiösen Führer der Tibeter der Klimawandel so wichtig?

    Alt: Von seinem Arbeitszimmer sieht er die Berge des Himalaja. Die Eisschmelze der Gletscher dort macht ihm klar, wie dramatisch das wird. Die zehn größten Flüsse Asiens entspringen dort, und sie werden bald kein Wasser mehr haben, wenn das Eis weg ist. Zwei Milliarden Menschen werden unvorstellbare Wasserprobleme bekommen.

    "Was muss passieren, bis die Politik aufwacht?"

    Ganz besonders hat der Dalai Lama Greta Thunberg ins Herz geschlossen. Er setzt offenbar große Hoffnungen in die Jugend.

    Alt: So ist es. Er hätte nie gedacht, dass plötzlich ein 16-jähriges Mädchen ein Schild bastelt und die glorreiche Idee eines Schulstreiks fürs Klima hat, und Millionen junger Leute gehen wie sie auf die Straße. Es ist gar nichts Revolutionäres, was die jungen Leute von den Regierungen wollen. Haltet wenigstens die Klimabeschlüsse von Paris ein! Habt ihr doch alle unterzeichnet! Wir haben in der Arktis Temperaturen bis 38 Grad. In Nordsibirien brennen zurzeit eine Million Hektar Wälder. In Deutschland erwarten die Bauern den dritten Hitzesommer. Was muss eigentlich noch passieren, bis die Politik aufwacht?

    Man könnte angesichts der Lage verzweifeln. Der Dalai Lama macht genau das Gegenteil. Er äußert sich sehr zuversichtlich. Was gibt ihm Kraft?

    Alt: Das frage ich mich auch immer. Der Mann ist nie verzweifelt, nie hoffnungslos. Er bringt eine Reihe von Beispielen aus der Geschichte. Gandhi gibt ihm immer Hoffnung. Indien zeigt ihm, dass viele Sprachen, Religionen, Kulturen relativ friedlich zusammenleben können. Oder die Europäische Union, nachdem die Völker jahrhundertelang gegeneinander Krieg geführt haben.

    Der Dalai Lama im Gebet.
    Der Dalai Lama im Gebet. Foto: Marijan Murat, dpa

    Warum ist dem Dalai Lama der Gedanke der Wiedergeburt als Motivation für Klimaschutz so wichtig?

    Alt: Er ist die vierzehnte Inkarnation des Dalai Lama. Er sagt: Wenn ich an Wiedergeburt glaube, habe ich ein ganz anderes Interesse an einem guten Planeten. Ich komme ja wieder. Ich mache es nicht nur für meine Kinder und Enkel, sondern auch für mich selber.

    In Ihrem Interview äußert der Dalai Lama große Sympathie für die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus. Verbünden sich die Religionen?

    Alt: Darüber haben wir öfter geredet. „Laudato si“ ist das tollste Dokument, das wir haben zur Bewahrung der Schöpfung. Ohne die Enzyklika wäre das Pariser Klimaschutz-Abkommen am 12. Dezember 2015 nicht komplett von allen Ländern der Welt unterschrieben worden. Aus der Idee, dass aufseiten des Buddhismus etwas Ähnliches kommen muss, ist dann unser Buch entstanden. Die Klimafrage ist ein entscheidender Beitrag für die Ökumene der Religionen. Jesus sagt: Die Sonne scheint für uns alle.

    "Was die Zukunft Tibets angeht, ist er Optimist"

    Im März 1959 musste der Dalai Lama ins Exil nach Indien fliehen. Er müsste eigentlich ein trauriger Mensch sein.

    Alt: Obwohl die Chinesen auf dem Dach der Welt einen Völkermord verübten und von sechs Millionen Tibetern wenigstens eine Million umgebracht wurde, ist der Dalai Lama, was die Zukunft Tibets angeht, ein großer Optimist. Der Freiheitswille ist immer größer als der Machtwille der Diktatoren, sagt er.

    Was macht ihn so ruhig?

    Alt: Den Dalai Lama kann gar nichts aus der Fassung bringen. „Warum sollte ich mich aufregen? Ich müsste mich dann nur wieder abregen. Das ist mir viel zu anstrengend“, sagt er. Er ist ein Mensch, der völlig in sich selbst ruht. Ihm spürt man bei jeder Begegnung an, dass er jede Nacht vier Stunden meditiert.

    Hat der Dalai Lama sein Haus bestellt? Er äußert sich bislang sehr widersprüchlich zu seiner Nachfolge.

    Alt: Er weiß es nicht genau. Deshalb grinst er immer dabei. Meistens sagt er, dass er mit 90 diese Angelegenheit, ob es einen Nachfolger gibt, ob es einen 15. Dalai Lama gibt, ob eine Frau es sein kann, mit seinen obersten Mönchen regeln will. Wenn ich frage, wie alt er werden will, sagt er: „Ich habe geträumt 113. Dann kann ich noch lange die Chinesen ärgern.“

    Merkt man dem Dalai Lama das Alter nicht an?

    Alt: Die Ärzte haben ihm geraten, nicht mehr so viel zu reisen. Deshalb reduziert er das. Ob er noch einmal nach Deutschland kommt, weiß ich nicht. Momentan hat es jedenfalls nicht vor.

    • Das Buch Der Klima-Appell des Dalai Lama an die Welt mit und von Franz Alt erscheint im Benevento-Verlag, 134 Seiten, 10 Euro.

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