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Interview: Das plant Direktor Andrea Lissoni für das Haus der Kunst

Interview

Das plant Direktor Andrea Lissoni für das Haus der Kunst

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    „Vielleicht sollten wir einfach zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind“, sagt Andrea Lissoni, Künstlerischer Leiter im Münchner Haus der Kunst.
    „Vielleicht sollten wir einfach zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind“, sagt Andrea Lissoni, Künstlerischer Leiter im Münchner Haus der Kunst. Foto: Maximilian Geuter, Haus der Kunst

    Herr Lissoni, Sie sind jetzt seit einem Jahr in München, aber die Öffentlichkeit hat wenig von Ihnen mitbekommen.

    Andrea Lissoni: Was hätte ich sagen können? Mein erstes Jahr am Haus der Kunst war ja quasi schon von anderen geplant. Und durch Corona waren wir doch alle paralysiert. Ich glaube, es hat einfach niemanden gebraucht, der sagt, die Zukunft ist grün – und dann wird sie aber pink. Ich habe dieses erste Jahr allerdings genutzt, um so viele Menschen wie möglich zu treffen.

    Von Ihnen gibt es Bilder, da stehen Sie mit aufgekrempelten Hosen im Eisbach hinterm Haus der Kunst. Steckt dahinter eine Nachricht?

    Lissoni: Nein, damit habe ich auch keine Strategie verfolgt. Offizielle Fotos sind für mich uninteressant. Wir leben in einer wahnsinnig komplizierten Zeit, die Welt hat riesige Probleme. Vielleicht sollten wir einfach zeigen, dass wir ganz normale Menschen sind, die auf dem Boden stehen – oder im Wasser. In den Medien hat man oft den Eindruck, dass die Leute in der Kunstszene mit den tollsten Autos zu den tollsten Künstlern fahren, ein bisschen verhandeln, das war’s. Diese Seite gibt es auch, aber das war nie meine Sache. In unserem Bereich wird richtig viel gearbeitet.

    Sie haben für das Haus der Kunst die renommierte Tate Modern in London verlassen.

    Lissoni: Bitte, das Haus der Kunst ist eine der wichtigsten Kunstinstitutionen der Welt! Da muss man nicht überlegen. Ich war aber schon regelmäßig hier, als noch Chris Dercon das Haus geleitet hat. Und bei Okwui Enwezor war ich anfangs sogar in das „Post War“-Projekt eingebunden, das wurde zunächst ja mit der Tate geplant.

    Museumsdirektor Andrea Lissoni: Der Brexit ist fürchterlich

    Hat der Brexit nachgeholfen?

    Lissoni: Nein. Ich komme allerdings aus der Generation „Erasmus“, Europa ist meine Heimat. Es war ganz normal, nach Dublin zu fahren, nach London, da gab es viel neue Kunst, die Musik – und nun dieser Schnitt! Für mich persönlich ist das fürchterlich. Meine Möbel und Bücher sind noch in London. Ich darf gar nicht an den Umzug denken.

    In Ihrem Büro haben Sie sich aber schon gut eingerichtet. Wie empfinden Sie das Haus der Kunst mit seiner Monumentalität?

    Lissoni: Ich habe am Hangar Bicocca in Mailand gearbeitet, das ist eine riesige alte Fabrik mit 30 Meter hohen Räumen. Dort sind die „Kiefer Towers“ seit 2004 installiert. Dann kam die Tate Modern mit der 40 Meter hohen Turbinenhalle. Kürzlich habe ich das Berghain in Berlin zum ersten Mal bei Tageslicht gesehen. Das sind noch einmal ganz andere Dimensionen, und selbst da fühlen sich die Menschen nicht klein. Nein, für mich ist das Haus der Kunst weder schrecklich noch riesig groß. Abgesehen davon ist diese Empfindung immer relativ, ich habe jahrelang Basketball gespielt. Also was ist hoch? Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, auf wen dieses Gebäude zurückgeht, wie es ursprünglich genutzt wurde.

    Andrea Lissoni: Die Sanierung des Haus der Kunst ist derzeit kein Thema

    Wie stehen Sie denn zu den Sanierungsplänen von David Chipperfield?

    Lissoni: Er hat doch einen sehr interessanten Vorschlag gemacht. Wenn man sich hier etwas länger aufhält, will man das Haus einfach zum Park hin öffnen. Das drängt sich auf. Chipperfields Pläne sind für mich sehr inspirierend, und ich hoffe, dass wir sie hier irgendwann angehen können. Aber momentan ist das kein Thema.

    Sie wünschen sich keine Sanierung?

    Lissoni: Noch nicht. Ein solches Projekt beansprucht viel Zeit und große Summen. Die sollten wir momentan in die Gesellschaft lenken. Das wäre ohne die Krise vielleicht anders.

    Sie sind der erste Museumsdirektor, der sagt, mein Haus kann warten.

    Lissoni: Schulen, Krankenhäuser oder Altersheime gehen jetzt vor. Wir haben in München das Lenbachhaus, die Lothringer Halle, die Villa Stuck, den Kunstverein, die Pinakotheken und noch mehr. Alle diese Institutionen befinden sich in einem Veränderungsprozess, und wenn wir wissen, was im Haus der Kunst Sinn macht, kann man sanieren. Zuerst aber sollten wir den Westflügel wieder einbeziehen und das ganze Gebäude bespielen. Nicht alles gleichzeitig, das wäre zu viel. Im Juni öffnen wir zum Beispiel die Mittelhalle mit Jacolby Satterwhite. Wir zeigen nur die Hälfte des Kunstwerks, die andere folgt im Oktober.

    Was wird sich noch verändern?

    Lissoni: In den letzten 20 Jahren hat sich alles um die Logistik gedreht, vom Transport bis zu den Versicherungen. Immer ging es um Ausstellungen über drei, vier Monate und am besten mit einem großen Namen. Ich meine, man kann genauso mehrere sehr unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler zu kleineren Ausstellungen einladen. Nur für zwei Tage zum Beispiel. So kommt allein schon viel mehr Diversität ins Spiel, und wir sind flexibler.

    Apropos Diversität. Sie haben den Euward und damit Kunst im Kontext geistiger Behinderung wieder ans Haus geholt.

    Lissoni: Die Kunst von Andreas Maus, Felix Brenner und KarHang Mui ist ganz erstaunlich und beeindruckt mich tief. Sie gehören ins Zentrum unseres Programms, deshalb stellen wir ihre Werke in den großen Sälen im Obergeschoss aus.

    Das Haus der Kunst soll Musiker und Performer präsentieren

    Und wie kommt Ihr Faible für die Musik ins Spiel?

    Lissoni: Musik bildet eine verbindende Klammer und lässt intensive Augenblicke entstehen, in denen das Publikum sich als Gemeinschaft wahrnehmen kann. Deswegen werden wir, sobald wie möglich auch Musiker und Performer präsentieren. Wir wollen das Haus der Kunst als Haus der Künste verstehen.

    Wen wollen Sie mit Ihrem Programm ansprechen?

    Lissoni: So viele wie möglich, und das funktioniert ja. Problematisch ist nur, dass man zurzeit keine Kinder bei uns sieht. Sie zurückzuholen, ist ab September das wichtigste Ziel. Genauso die Schulklassen. Das ist unsere Zukunft, ohne die Kinder sind wir verloren.

    Sie haben nicht die Last einer Sammlung, müssen aber ständig etwas Vorzeigbares organisieren.

    Lissoni: Am Anfang hatte ich tatsächlich das Gefühl, mir fehlt eine solche Basis. Aber wir haben gerade mit der Sammlung Goetz wunderbare Möglichkeiten. Und ehrlich: Am Haus der Kunst mit diesem historischen Zusammenhang keine Sammlung zu haben, ist sicher ein Segen. Stellen Sie sich vor, was hier gesammelt worden wäre. Hoch problematisch!

    Corona wird uns noch eine Weile einschränken. Da bleibt eigentlich nur der öffentliche Raum?

    Lissoni: Deshalb haben wir für den Sommer eine Ausstellung auf der Terrasse geplant. Es wird aber keine Objekte geben, sondern eine Mischung aus Musik und Performances.

    Würden Sie mit Ihrem Programm gerne weiter in den Englischen Garten hineingehen?

    Lissoni: Dran denkt man unwillkürlich. Vielleicht ergibt sich das mit der Zeit, aber da haben auch noch andere mitzureden.

    Wie kann es mit und nach Corona mit der Kunst und den Ausstellungen weitergehen?

    Lissoni: Die Institutionen haben sich zum Teil schon verändert, das wird sich noch fortsetzen. Blockbuster- oder Großausstellungen sind plötzlich kein Thema mehr. Ich frage mich aber, was mit den jungen Künstlern passiert. Sie verlieren jetzt zwei, drei, vier Jahre. Sämtliche Ausstellungen werden geschoben, und sie warten und warten und sind mit 35 vielleicht gar keine Künstler mehr.

    Andrea Lissoni plant auch kürzere Ausstellungen im Haus der Kunst

    Sie haben hier viel Platz.

    Lissoni: Wir befassen uns eher mit der Frage der Zeit. Neben wohl bekannten Ausstellungsformaten planen wir jetzt zum Beispiel Gruppenausstellungen von zwei Wochen Dauer oder dreitägige Soloshows: eine Künstlerin oder ein Künstler, eine Chance. Und wir denken außerdem an Projekte, die 24 Stunden dauern. Mal sehen, wie das Publikum reagiert.

    Das klingt nach viel Arbeit. Wo holen Sie sich Energie?

    Lissoni: Wenn ich mich mit Menschen treffe. Das fehlt mir gerade sehr. Und ich möchte unbedingt noch Skifahren, auch das geht mir richtig ab.

    Zur Person: Andrea Lissoni, 50, stammt aus Mailand. Der Kunsthistoriker hat in Pavia studiert und wurde 2011 in Udine mit der Arbeit „VariaVision – Beyond the thershold of disciplines“ promoviert. Lissoni hat u. a. als Kurator in Paris, Mailand und Taschkent gearbeitet. 2014 begann er an der Tate Modern in London als Kurator für Film und internationale Kunst. Seit April 2020 ist Lissoni Künstlerischer Direktor des Hauses der Kunst in München.

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