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Medien: Hussein K.-Prozess: Fake News von einer journalistischen Instanz

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Hussein K.-Prozess: Fake News von einer journalistischen Instanz

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    Das öffentliche Interesse an Hussein K. ist groß – erst recht am Tag der Urteilsverkündung am 22. März in einem Saal des Freiburger Landgerichts. Der afghanische Flüchtling hat die 19-jährige Studentin Maria L. im Herbst 2016 in Freiburg vergewaltigt und ermordet, der Fall wurde zum Politikum.
    Das öffentliche Interesse an Hussein K. ist groß – erst recht am Tag der Urteilsverkündung am 22. März in einem Saal des Freiburger Landgerichts. Der afghanische Flüchtling hat die 19-jährige Studentin Maria L. im Herbst 2016 in Freiburg vergewaltigt und ermordet, der Fall wurde zum Politikum. Foto: Thomas Kienzle, afp

    Irgendwann zwischen Pegida-Demo und Flüchtlingskrise ist ein Wort zum Kampfschrei geworden: „Lügenpresse!“ Das Wort rufen diejenigen im Chor, die Medien nicht mehr trauen wollen. Ein polemischer, herabsetzender Begriff, der den Journalismus dort trifft, wo er am verwundbarsten ist: der Glaubwürdigkeit. Stimmen die Fakten nicht, wird ein Fehler zum Lauffeuer und der „Lügenpresse“-Chor der Medien-Enttäuschten umso lauter.

    Dass nun ausgerechnet Gisela Friedrichsen, die bekannteste Gerichtsreporterin des Landes, mit falschen Fakten auf sich aufmerksam macht, wirkt in diesem Zusammenhang besonders folgenschwer.

    Für die Welt berichtete die Starjournalistin, 72, immer wieder über den Fall des verurteilten Mörders Hussein K. Sie beschrieb auch ausführlich – und kritisch –, wie sich der Prozess um den Flüchtling in die Länge zog, weil der Angeklagte behauptete, minderjährig zu sein. Ein aufwendiges und erstmals angewendetes Verfahren zur Altersfeststellung war nötig, um zu belegen, dass Hussein K. wohl mindestens 18 Jahre, vermutlich aber noch älter ist.

    Zu den Kosten dieses Verfahrens, bei dem etwa ein Weisheitszahn des Angeklagten untersucht worden ist, schrieb Friedrichsen wie beiläufig in einem ihrer Texte: „Zwei Millionen Euro sollen allein die Untersuchungen zur Feststellung von K.s ungefährem Alter gekostet haben.“

    Zwei Millionen Euro, um herauszufinden, ob ein Flüchtling über sein Alter gelogen hat? Das klingt wie eine Steilvorlage für alle, die Steuergelder für Flüchtlinge ohnehin als staatlich angeordnete Verschwendung ansehen.

    Falsche Daten im Fall Hussein K. verbreiteten sich sofort

    Wenig erstaunlich, dass sich die falsche Zahl bald quer durchs Internet verbreitete. Der rechtspopulistische Blog PI News, dessen Betreiber sich selbst als politisch inkorrekt beschreiben, berichtete etwa vom „afghanischen Mörder-Flüchtling“ Hussein K., der sich in Deutschland „einen schönen Lenz“ mache. Die passende Überschrift dazu, inspiriert von der Friedrichsen-Berichterstattung: „Altersfeststellung von Marias Mörder kostete zwei Millionen Euro.“ Auch das populäre rechte Politmagazin Tichys Einblick schrieb prompt über die Millionenkosten zur Altersfeststellung.

    Nur: Die Zahl ist völlig falsch und aus der Luft gegriffen. Tatsächlich liegen die Kosten weit niedriger. Auf Nachfrage unserer Redaktion erklärte die Staatsanwaltschaft Freiburg, dass die Gesamtkosten für die Altersfeststellung bei etwa 6000 Euro lagen.

    Angesprochen auf die gewaltige Diskrepanz, beruft sich Friedrichsen im Gespräch mit unserer Redaktion auf eine Unterhaltung mit dem zuständigen Oberstaatsanwalt. Von diesem stamme die Information über die Millionen-Zahl zu den Kosten der Altersfeststellung. Der Freiburger Oberstaatsanwalt möchte davon jedoch nichts wissen. Nie habe er mit Journalisten über die genannten Kosten gesprochen, erklärt er. Die Summe von zwei Millionen Euro sei „sicherlich falsch“ und „völlig unrealistisch“.

    Möglicherweise, beharrt Friedrichsen, habe der Oberstaatsanwalt mit den zwei Millionen Euro die Entwicklungskosten des aufwendigen Verfahrens zur Altersfeststellung gemeint. Doch auch diese Unterstellung weist der Freiburger Oberstaatsanwalt entschieden zurück. Zu den Kosten der Entwicklung habe er sich „zu keinem Zeitpunkt geäußert“, erklärt er auf Nachfrage unserer Zeitung. Diese seien ihm gar nicht bekannt.

    Ganz unumstritten ist Gisela Friedrichsen nicht

    Als erfahrene Journalistin weiß Friedrichsen um die Macht ihrer Worte. Kollegen loben immer wieder ihre Arbeit, sie ist preisgekrönt. Nach einer Ausbildung zur Redakteurin bei unserer Zeitung arbeitete sie jahrelang bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, berichtete über viele Prozesse für den Spiegel und wechselte schließlich als freie Autorin zur Welt. Sie hat über NSU-Terroristen geschrieben, über Kindermörder oder KZ-Aufseher.

    Freilich ist die Journalistin nicht unumstritten. Kritiker werfen ihr vor, sich selbst zum Gegenstand der Berichterstattung zu machen, zu nah dran zu sein, Partei zu ergreifen. Als die Bild den freigesprochenen Wettermoderator Jörg Kachelmann wegen ihrer Berichterstattung mit einer Rekordsumme entschädigen musste, attackierte Friedrichsen – damals noch beim Spiegel – das Boulevardblatt und damit ihren aktuellen Arbeitgeber Springer ungewöhnlich scharf. Sie schrieb: „Wenn jemals das Wort ,Lügenpresse‘ einen gewissen Wahrheitsgehalt gehabt haben sollte, dann wohl hier.“

    Nun aber ist es Friedrichsen selbst, die sich dem Vorwurf der falschen Berichterstattung ausgesetzt sieht. Und auch die Welt muss sich vorhalten lassen, den gravierenden Fehler eher kleinzureden. Auf Anfrage war zunächst die Rede von einer „Ungenauigkeit“.

    In der Richtigstellung zum Friedrichsen-Artikel ist mittlerweile zu lesen, „diese konkrete Summe“ sei „nicht zu belegen“ – als ob es sich um eine kleine Abweichung gehandelt habe statt um eine völlig fantastische Zahl – die im Internet und der öffentlichen Debatte längst ein Eigenleben führt.

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