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Haus der Kunst in München: Ai Weiwei: Kraftfeld der Kunst

Haus der Kunst in München

Ai Weiwei: Kraftfeld der Kunst

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    Kraftfeld der Kunst 121009
    Kraftfeld der Kunst 121009

    Sein künstlerisches Werk ist ein Kraftfeld, das weit ausstrahlt. Der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei agiert global, omnipräsent und in Echtzeit.

    Was er fotografiert, was er zu sagen hat: Täglich geht es über moderne Kommunikationskanäle wie Internet oder Twitter hinaus in die Welt. "Es ist das Aufregendste, was ich je erlebt habe", sagt der Künstler, dessen Eltern beide Dichter waren und der zehn Jahre in New York lebte, bevor er 1993 wieder nach Peking ging.

    Ai Weiwei macht sich selbst, seine Aktionen, seine Weltsicht zum Kern seiner Arbeit. "Kunst ist Leben" und "Leben ist Kunst", sagt er. "Meine Botschaften sind temporär und sollten nicht als permanent betrachtet werden. Und, wie der Wind werden sie vergehen."

    Ai Weiwei ist ein Künstler, der sich einmischt. Er ermöglicht 1001 Chinesen eine Reise zur Documenta nach Kassel, er dreht bis zu 150 Stunden lange Videos, die Pekings Veränderung dokumentieren, er ist am Entwurf des Pekinger Olympiastadions ("Vogelnest") beteiligt, er recherchiert Schicksal und Namen tausender Schulkinder, die beim großen Erdbeben im Mai 2008 in Sichuan ums Leben kamen, weil ihre Billigbauschulen einstürzten.

    Eigentlich lässt sich dieser Künstler, der Zensur und Repression in seiner Heimat immer wieder unterläuft, museal gar nicht einfangen. Sein Werk kann man nicht an Wände nageln. Ai Weiwei beruft sich gerne auf sein Vorbild, den Dadaisten und Einzelgänger Marcel Duchamp, der einst ein Urinal ins Museum stellte und mit diesem "Ready made" Möglichkeiten und Verständnis der Kunst revolutionierte. Von Duchamp leitet Ai Weiwei sein Rollenverständnis ab. Danach ist es "mehr eine Einstellung, Künstler zu sein, eine Art und Weise, Dinge zu sehen, es geht gar nichts so sehr darum, ein Produkt herzustellen."

    Zwischen chinesischer Tradition und digitaler Ortlosigkeit

    Und doch ist Ai Weiwei nun in München in einer großen Museums-Schau zu sehen. "So sorry" heißt sie - ein Kommentar zur leichtfertigen Geste der Ignoranz, mit der nicht nur in China über Fehlentwicklungen, Katastrophen, Ungerechtigkeiten hinweggegangen wird.

    Ai Weiwei hat das Haus der Kunst zu seinem Kosmos gemacht. Überwältigend raumgreifende Installationen, Skulpturen wie die zu einem Riesenwürfel gepresste Tonne Tee, Videos, Fotos und Texte bezeugen ein faszinierendes Gesamtkunstwerk, das zwischen chinesischen Traditionen und digitaler Ortlosigkeit weit ausgreift.

    Der 52-Jährige ist auch ein Spurensicherer, der Relikte der Vergangenheit Chinas wie Zitate zeigt, um ein Bewusstsein für die kulturellen Wurzeln zu schaffen. Wie Puzzleteile benutzt er Keramik, antike Möbel und Balken aus Tempeln. Für München hat Weiwei seine auf der Documenta 2007 im Freien gezeigte Großskulptur so wieder aufgebaut, wie sie in Kassel nach einem Gewittersturm blieb: eine Art Pyramide aus Holztüren und Fenstern zerstörter Altstadthäuser. In einer Glasurne sehen wir braunen Staub - zermahlene, 4000 Jahre alte Tonwaren. Aus den Hölzern demolierter Tempel der Qing-Dynastie ließ Ai Weiwei einen Block mit den Umrissen Chinas herstellen. Daneben lesen wir: "Ein Land, das die Wahrheit ablehnt, sich gegen Veränderung sperrt und den Geist der Freiheit entbehrt, ist hoffnungslos."

    Das Politische der Arbeit dieses Künstlers wurde in München schon im Vorfeld offenbar. Nachdem er während seiner Recherchen zu den beim Erdbeben in Sichuan getöteten Schulkindern von Polizisten geschlagen worden war, musste Ai Weiwei sich im Klinikum Großhadern einer Gehirnoperation unterziehen. All das dokumentierte er in Text und Fotos, die er ins Netz stellte. Das Schicksal der Kinder, die von hingepfuschten Schulbauten begraben wurden, thematisiert die größte Arbeit der Münchner Ausstellung. 9000 bunte Kinderrucksäcke verhüllen plakativ die Außenfassade. Auf dem Mosaik steht in chinesischen Schriftzeichen der Satz einer Mutter, die an

    Wurzeln, die die Zeit speichern

    Das zentrale Werk der Münchner Ausstellung ist die Installation im Mittelsaal. Dort hat Ai Weiwei, der mit einem Team von Handwerkern und Spezialisten arbeitet, über 100 mächtige, wild zerklüftete und verwitterte Wurzelstöcke und Baumstämme zu einem expressiv wirkenden Wald aufgestellt. Die bizarren Hölzer, in China übliche Kontemplations-Gegenstände, sind hunderte, manche über tausend Jahre alte Zeitspeicher.

    Sie stehen nicht auf den 70 Jahre alten Steinfliesen des von Hitler in Auftrag gegebenen Nazibaus, sondern auf einem eigens für München hergestellten, zwei Tonnen schweren Wollteppich, der die Muster und Farben der 996 Steinfliesen perfekt kopiert. Der Teppich als Abbild des Bodens legt sich über die Geschichte und neutralisiert den Raum. Eindrucksvoller wäre die Wirkung, wenn die Wände nicht mit den Fotos der 1001 Kassel-Reisenden tapeziert wären. So wirkt die Installation überladen und unruhig. Die Ausstellung dauert bis 17. Januar 2010 und ist täglich von 10 bis 20 Uhr sowie donnerstags von 10 bis 22 Uhr geöffnet.

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