Hildebrand Gurlitt war ein skrupelloser Geschäftsmann. Der Kunsthändler in Hitlers Auftrag nutzte Strohmänner und Decknamen, er log, ließ Quittungen fälschen und frisierte seine Geschäftsbücher. Sein Sohn Cornelius schmuggelte noch in den 1960er Jahren Werke, die der Vater unter deutscher Besatzung in Frankreich gekauft hatte, über die Grenze. Bei ihm wurde vor rund acht Jahren der spektakuläre „Schwabinger Kunstfund“ beschlagnahmt. Nun sind die systematischen Recherchen zur Herkunft der rund 1500 Kunstwerke weitgehend beendet. Ein neuer Sammelband mit Aufsätzen („Kunstfund Gurlitt. Wege der Forschung“) bringt einige Erkenntnisse. Zum formalen Abschluss der Arbeit der Provenienzforscher bleibt die drängendste Frage weiter unbeantwortet: Wie viele der Werke aus der Kollektion, die der 2014 verstorbene Cornelius Gurlitt jahrzehntelang in München und Salzburg hütete, sind NS-Raubkunst?
Die Herkunft von mehr als 1000 Werken ist nicht geklärt
Nur insgesamt 14 Werke von Künstlern wie Max Liebermann, Henri Matisse, Thomas Couture oder Adolph von Menzel wurden bisher eindeutig als Raubkunst identifiziert und an die rechtmäßigen Eigentümer restituiert. 445 Positionen wurden als „unbedenklich“ kategorisiert. Doch es bleiben weit mehr als 1000 Werke, deren Herkunft nicht eindeutig geklärt werden konnte. „Es gibt eine ganz große Grauzone“, bilanziert der Kunsthistoriker Gilbert Lupfer. Er ist Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg, das seit 2016 die Forschungsarbeit zum Kunstfund Gurlitt fortführte.
Schon früh sei klar gewesen, dass es sich nicht um den anfangs vermuteten „Milliardenschatz der Nazis“ handelte. „Es ist eine gute Kollektion, aber es war nicht die absolute Top-Sammlung.“ Klarer wird das Bild des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt und seiner Geschäftspraktiken im besetzten Frankreich. Gurlitt war eine ambivalente Person. Er hatte eine jüdische Großmutter und litt zu Beginn der Nazi-Diktatur selbst unter Repressionen, zumal er ein Verfechter der von den Nazis als „entartet“ verfemten modernen Kunst war. „Aber man weiß jetzt, dass er nicht nur als selbst ernannter Retter der Moderne agiert hat, sondern dass er ganz normal mit Hitler und seinen Beauftragten gehandelt hat, also ein skrupelloser Händler war, der sein Geschäft machen wollte“, sagt Lupfer. Im besetzten Paris, wo Gurlitt als einer der Haupteinkäufer des „Sonderauftrags Linz“ für Hitlers geplantes „Führermuseum“ tätig war, habe er „die ganze Klaviatur der legalen und illegalen Methoden“ ausgespielt, so Lupfer. Gurlitt ließ nicht nur Quittungen fälschen, sondern prellte auch seine französischen Geschäftspartner. In die Geschäfte verstrickt war auch seine Geliebte Olga (Lola) Chauvet. Die wahren Verkäufer seien oft verschleiert worden. Das verstärke wiederum den Raubkunstverdacht, betonen die Forscher.
Über 400 Objekte ließ Gurlitt laut Recherche auf offiziellem Weg nach Deutschland bringen. Die Dunkelziffer aber wird fast dreimal so hoch auf 1150 Kunstgegenstände geschätzt. 350 dieser Werke hortete er für sich – sie kamen erst mit dem Kunstfund wieder ans Licht. Die Frankreich-Geschäfte waren die lukrativsten Jahre für Gurlitt. In wenigen Jahren habe er sich „von einem Leidtragenden zu einem Profiteur des NS-Regimes gewandelt“, heißt es im Buch. Nachdem Gurlitt 1956 bei einem Autounfall starb, schmuggelten seine Kinder Cornelius und Benita Objekte aus Frankreich nach Deutschland. „So führte der Sohn das weiter“, sagt Lupfer.
Raubkunst nicht nur in Museen
Hildebrand Gurlitt profitierte auch in der Nachkriegszeit als Leiter des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen in Düsseldorf von seinen exzellenten Netzwerken. „Wir wissen jetzt auch viel mehr über Mechanismen des Kunsthandels und wie diese über Jahrzehnte ganz diskret weiter funktionierten“, sagt Lupfer. „Offensichtlich wusste man auch im Kunsthandel: Der Sohn vom alten Hildebrand hat noch ganz interessante Stücke.“
Spätestens durch den „Kunstfund Gurlitt“ ist erneut klar geworden, dass die Suche nach Raubkunst nicht nur auf Museen konzentriert sein darf, sondern auch den Kunsthandel und private Sammler ins Visier nehmen muss. „Diskretion ist für den Kunsthandel zwar wichtig“, sagt Lupfer. „Man sieht jetzt aber, welche lang anhaltenden Netzwerke es gegeben hat und weiter gibt.“