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Gottschalk-Biograf Gert Heidenreich wird 65

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Gottschalk-Biograf Gert Heidenreich wird 65

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    Gottschalk-Biograf Gert Heidenreich wird 65
    Gottschalk-Biograf Gert Heidenreich wird 65 Foto: DPA

    Seine großen Themen waren und sind die Vergangenheitsbewältigung der Deutschen und die 1968er, gleichzeitig hat er Kinderlieder und einen Science-Fiction-Roman verfasst. Er war Schauspieler, Journalist und Möbelvertreter und ist Träger des begehrten Adolf-Grimme-Preises. In der literarischen Biografie von Gert Heidenreich fehlt fast kein Genre, seine Themen könnten unterschiedlicher kaum sein. Kurz vor seinem 65. Geburtstag am 30. März schreibt er an einem Krimi und plant einen autobiografischen Roman.

    "Ich habe das Schreiben immer als eine Möglichkeit betrachtet, mir selbst über Dinge klar zu werden", erklärt Heidenreich die Themenfülle in seinen Theaterstücken, Gedichten, Romanen und Essays. Bekannt wurde er unter anderem mit dem 1981 erschienenen Theaterstück "Strafmündig", für das er später den Grimme-Preis bekam, und mit dem Erzählband "Die Gnade der späten Geburt" von 1986. Wenn er nicht gerade schreibt, spricht er Hörbücher und Dokumentarfilme. Ein Element allerdings verbindet seine Werke, egal wie verschieden sie sind: Für Heidenreich gibt es keine Literatur außerhalb der sozialen und politischen Situation. "Es entsteht immer ein sozialer Kontext", sagt er über das Schreiben.

    Gerade als junger Autor hatte Heidenreich deshalb oft Krach mit Kollegen, wenn er von ihnen forderte, politisch Stellung zu beziehen. Aufruhr löste Heidenreich auch aus, als er als Präsident des PEN- Zentrums West in den 1990er Jahren plante, die PEN-Zentren Ost und West zusammenzulegen. Nach wütenden Mitglieder-Austritten und Verleumdungsvorwürfen verzichtete er 1995 auf eine neue Kandidatur für das Präsidentenamt. Damals erschien gerade sein Science-Fiction- Krimi "Die Nacht der Händler". Die Aufmerksamkeit, die dem Roman damals wegen des Streits verwehrt blieb, könnte dem Buch nun nachträglich zuteilwerden. Denn die Geschichte hat mit der Bankenkrise überraschend an Aktualität gewonnen und wird gerade vom Verlag neu herausgebracht.

    "Ich habe damals einen utopischen Roman geschrieben über die Gefahr, dass wir die virtuelle Welt und die reale Welt verwechseln", sagt Heidenreich. In dem Krimi hat sich eine Gruppe von Aktivisten zum Ziel gesetzt, die Welt vom Geld zu befreien. Dafür nutzen sie ein Computerprogramm, das virtuell ganze Staatshaushalte zerstört, ein riesiges Chaos auf den Aktienmärkten entsteht. Die Parallelen zur aktuellen Finanz-Akrobatik den Banker sind selbst für Heidenreich verblüffend. "Die Grundfrage ist: Können wir noch unterscheiden, was ist real und was ist digital?"

    Nach Ansicht Heidenreichs hat die Ur-Frage der Philosophie, was denn eigentlich Realität ist, spätestens seit der Erfindung des Fernsehens eine ganz neue Dimension erhalten. "Wir leben mit der Vorstellung: Was wir sehen, wissen wir. Und was wir sehen, das stimmt." Dank des Computers ist das aber schon lange nicht mehr wahr. "Wir sind in unserem Denken noch nicht auf der Höhe mit dem, was wir machen können." Eine Folge davon ist laut Heidenreich, dass Jugendliche wie etwa auch der Amokläufer von Winnenden Virtualität und Realität gleichsetzen.

    Gegen das Auseinanderdriften von moderner Technik und den Möglichkeiten des menschlichen Gehirns, diese zu verarbeiten, hilft laut Heidenreich vor allem eines: Lesen. "Ich glaube, dass Gedichte und Geschichtenlesen und -vortragen das beste Training ist, um Wirklichkeit und Fiktion zu unterscheiden." Deshalb müsse an den Schulen wieder viel mehr gelesen werden. "Wir müssen die Menschen schulen mit Trauer, Eifersucht, Liebe und Verlust umzugehen. In der Literatur ist das alles schon einmal erzählt worden."

    Auch ihm selbst habe Literatur geholfen, mit Verlusten fertig zu werden. Persönlich musste Heidenreich einige Schicksalsschläge hinnehmen. 2001 starb sein jüngster Sohn im Teenager-Alter. Heute lebt er mit seiner Frau Gisela, mit der er seit 1979 verheiratet ist, im oberbayerischen Seefeld. Nach München hatte es ihn zum Studium gezogen, geboren wurde er in Eberswalde bei Berlin, aufs Gymnasium ging er in Darmstadt. Zur Ruhe setzen will er sich noch lange nicht: "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich irgendwo rumsitze und nichts tue."

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