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Gesellschaft: Wie Theodor W. Adorno die Rechten analysiert

Gesellschaft

Wie Theodor W. Adorno die Rechten analysiert

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    Der Philosoph, Soziologe, Musikwissenschaftler und Mitbegründer der Kritischen Theorie Theodor W. Adorno (1903-1969).
    Der Philosoph, Soziologe, Musikwissenschaftler und Mitbegründer der Kritischen Theorie Theodor W. Adorno (1903-1969). Foto: dpa

    „Bestseller Nr. 1 in Faschismus“ – wie der Internetbuchhändler Amazon das Büchlein bewirbt, hätte Theodor W. Adornos Urteil über die Kulturindustrie zweifellos bestätigt. Und vielleicht auch sein generelles Misstrauen gegenüber der Veröffentlichung von Vorträgen, denn um einen solchen handelt es sich hier: „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“, bloß auf wenige Notizen gestützt frei gehalten im April 1967 in Wien und nun auf Basis eines Mitschnitts bei Suhrkamp rechtzeitig zum heutigen 50. Todestages des Denkers erschienen. Vor allem aber auch: zur rechten Zeit erschienen.

    Denn selbst wenn man dem Text seine ursprüngliche, gesprochene Beschaffenheit anmerkt (was Nicht-Adorno-Lesern allerdings die Lektüre erleichtern dürfte) und es einige Widersprüche und Unschärfen gibt, so lesen sich die „losen Bemerkungen“ doch atemberaubend aktuell und zeitweise wie ein Kommentar zu Aufstieg und Politik der AfD. Wenn Adorno etwa feststellt, dass die „Menschen in Deutschland in einer immerwährenden Angst um ihre nationale Identität zu leben“ scheinen, wenn er den „sich verschärfenden Gegensatz der Provinz gegen die Stadt“ erwähnt sowie den „Kampf gegen das ,Parteiunwesen‘, also der Gedanke, dass der politische Kompromiss an sich selbst bereits eine Verfallsform sei“, so könnte das auch aus Texten dieser Tage stammen. Und als phänotypisch für jedweden Populismus der Gegenwart – von Trump über Le Pen bis zu Gauland darf auch Folgendes gelten: „Das offen Antidemokratische fällt weg. Im Gegenteil: Man beruft sich immer auf die wahre Demokratie und schilt die anderen antidemokratisch.“

    Doch was sind laut Adorno, der während seines Exils in den USA auch über die autoritäre Persönlichkeit forschte und mit Max Horkheimer zusammen in der „Dialektik der Aufklärung“ zeigte, wie sich auch Irrationales auf rationale Weise Bahn brechen kann, die Ursachen für die scheint’s immerwährende Empfänglichkeit vieler Menschen für solche Parolen?

    Die Sorge vor der großen Krise

    Zwei Hauptthesen stechen hervor, nämlich einmal die Angst vor dem Abstieg und einmal die vor dem Zusammenbruch der Gesellschaft. Es geht also einmal um „die Möglichkeit der permanenten Deklassierung von Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewusstsein nach durchaus bürgerlich waren, die ihre Privilegien, ihren sozialen Status festhalten möchten […]“ und die – typisch bei Adorno – ihren Hass nun nicht etwa gegen das System ihrer eigenen „potentiellen Deklassierung“ (also den Kapitalismus) richten, sondern gegen andere. Und neben die Angst um das eigene, einzelne Dasein tritt zum anderen dann noch die um die „Gesellschaft“: „Wie soll das weitergehen, wenn es etwa einmal eine große Krise gibt?“, so die sorgenvoll geraunte Frage, und auch das klingt erstaunlich aktuell. Wobei Adorno hinzufügt, dass sie (also die rechten Bewegungen) „in gewisser Weise die Katastrophe wollen, dass sie von Weltuntergangsphantasien sich nähren“ – die kommende Katastrophe als Geschäftsgrundlage gewissermaßen, die permanent erneuert werden muss. Ein wichtiges Mittel dabei ist natürlich Propaganda, und diese ist laut Adorno bei rechten Bewegungen außerordentlich perfekt, ja genial, weil „sie bei diesen Parteien und diesen Bewegungen die Differenz, die fraglose Differenz zwischen den realen Interessen und den vorgespiegelten falschen Zielen ausgleicht“, ja sogar: „die Substanz der Politik ausmacht“.

    Er zählt auch einige rhetorische Figuren und Tricks auf, zuallererst den mit augenzwinkernden Einverständnis gefüllten Raum zwischen dem Gesagten und Nicht-Gesagten, aber auch konkret „zum Beispiel die Phrase: ,Was jeder Negerstaat darf, das sollen wir nicht dürfen?‘ – wobei nur zu fragen wäre, was eigentlich? Oder die These vom Ausverkauf der deutschen Wirtschaft an fremdes Kapital, bei gleichzeitigem Kapitalmangel innerhalb der deutschen Industrie. Oder die These von der Überfremdung (…) Dann gehört hierher der Komplex „Schluss mit dem Schuldbekenntnis“, das sowieso eigentlich niemals wirklich verlangt worden ist“… – Verweise auf die Gegenwart, auf die Gaulands und Höckes kann man sich hier ersparen.

    Wobei interessant gerade mit Blick auf die gegenwärtigen Kämpfe innerhalb der AfD auch folgende Passage ist, in der Adorno darlegt, „dass man auch die Konflikte in den Führungsgremien nicht übertreiben soll. Wenn mein Eindruck richtig ist, dann hat der sogenannte harte oder radikale Flügel gesiegt“. Das war aus der Geschichte hergeleitet und mit Blick auf die damalige NPD gesagt, und wenn schon nicht prophetisch, so scheint darin doch ein Wesensmerkmal rechter Bewegungen auf, welches auch auf die AfD nach ihrer mehrmaligen Häutung beziehungsweise Radikalisierung von Lucke über Petry hin zu Meuthen und vielleicht bald Höcke zutrifft. Doch was ist zu tun? Offensichtlich scheint bislang ja keine Strategie gegen den Aufstieg rechter Bewegungen zu verfangen. Ein wichtiger Punkt und in den Debatten unserer Tage überall und in jedem Internetforum zu finden: „Man soll nicht in erster Linie mit ethischen Appellen, mit Appellen an die Humanität operieren, denn das Wort ,Humanität‘ und alles, was damit zusammenhängt, bringt ja die Menschen, um die es sich handelt, zum Weißglühen, wirkt wie Angst und Schwäche (...)“ – und polarisiert und entsachlicht die Diskussion überdies und erfahrungsgemäß noch zusätzlich.

    Adornos "durchschlagende Kraft der Vernunft"

    Adorno setzt stattdessen ganz (und für ihn fast schon untypisch naiv) auf die Vernunft. Beziehungsweise darauf, den potenziellen Anhängern des Rechtsradikalismus die Konsequenzen aufzuzeigen, „dass man ihnen klar macht, dass diese Politik auch seine eigenen Anhänger unweigerlich ins Unheil führt“. Vor allem aber „nun nicht Lüge gegen Lüge setzen, nicht versuchen, genauso schlau zu sein wie er, sondern nun wirklich mit einer durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit dem entgegenarbeiten.“ Ob das allerdings reichen wird? Bei manchen ja, wenn einmal klar wird, dass die Auswirkungen konkreter Politik sich auch gegen sie selbst wendet (und sei’s nur in Form teurerer Smartphones wie in den USA unter Trumps nationalistischer Handelspolitik). Bei vielen anderen darf das aber bezweifelt werden, räumt doch Adorno im selben Vortrag die Intellektuellen- und Geistfeindlichkeit sowie die „Abwehr der rationalen Argumentation, des diskursiven Denkens überhaupt“ als Merkmal rechter Bewegungen ein.

    In einem kann man aber dem Philosophen, Soziologen, Vordenker der Kritischen Theorie und der Studentenbewegung (der er gleichwohl aufgrund ihrer Mittel skeptisch gegenüberstand) uneingeschränkt recht geben: „Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz an uns.“

    Theodor W. Adorno starb am 6.August 1969 an den Folgen eines Herzinfarkts.

    • Theodor W. Adorno, Volker Weiß (Nachwort): Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Suhrkamp, 86 Seiten, 10 Euro
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