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Geschichte: Deutscher sucht Griechin

Geschichte

Deutscher sucht Griechin

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    Helena (Beatrix Doderer) und Faust (Christoph Wieschke) in der Inszenierung von Goethes „Faust II“ bei den Salzburger Festspielen 2013.
    Helena (Beatrix Doderer) und Faust (Christoph Wieschke) in der Inszenierung von Goethes „Faust II“ bei den Salzburger Festspielen 2013. Foto: Picture Alliance

    „Faust und Mephisto“, „Faust und Gretchen“ – diese Paarungen gehören der literarischen Königsklasse an. „Faust und Helena“ müssen demgegenüber zurückstehen. Diese Liaison spielt auch im aktuellen Münchner Faust-Festival nur eine Rolle am Rand. Dem von Goethe in „Faust II“ (1832 postum erschienen) bedichteten Bund hat die Berliner Kulturwissenschaftlerin Claudia Schmölders einen materialreichen Band gewidmet, chronologisch fortgeführt von der Weimarer Klassik bis in die Zeit nach 1945.

    Die Lektüre erweist die Strahlkraft des Paares Faust und Helena für die „deutsch-griechische Faszinationsgeschichte“ (Untertitel). Hier wurde ein länderübergreifender Wunschtraum beschworen, ein Sehnsuchtsmodell dem deutschen Seelenhaushalt gutgeschrieben. Den philhellenischen Boden bereitete vor allem einer: Johann Joachim Winckelmann (1717–1768). Er war nie in Griechenland, eignete sich das Land in der Bibliothek an, begeisterte sich an den Abgüssen der Bildhauer: „Der einzige Weg für uns, groß, ja wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.“ Das löste ein Beben in deutschen und europäischen Bildungseliten aus.

    Deutschland schloss sich kurz mit der griechischen Antike

    Anders als das Frankreich der Revolution und der nachnapoleonischen Ära, das sich in die politische Tradition Roms stellte, schloss sich das politisch zersplitterte Deutschland kurz mit einer griechischen Antike und ihrer kulturellen Prägekraft für die Bildung des Menschen. Die Humanität wurde mit einem Führungsanspruch gegenüber dem Politischen geadelt. Dafür stehen Winckelmann, Schiller, Hölderlin und Fichte.

    Die von Schmölders auf die Schiene der Geschichte gesetzte Verbindung von Faust und Helena, von Deutschland und Hellas, erfuhr viele Weichenstellungen und nicht wenige Entgleisungen. Die Autorin hat zwischendurch erkennbar Mühe, den Stoff in all den Deutungskämpfen zu bändigen. Die Spanne reicht von romantischen Projektionen über archäologische Grabungen bis zum zermürbenden Realitätstest, dessen sich Otto I., Sohn des bayerischen Königs Ludwigs I., unterziehen musste. 1832, im Jahr der griechischen Staatsgründung, war der Bayer inauguriert worden. Ludwigs Hofarchitekt Leo von Klenze erschuf in München ein zweites Athen, während sein preußischer Konkurrent Karl Friedrich Schinkel davon träumte, auf der von ihm nie besuchten Athener Akropolis die Ruinen des Parthenon und der Propyläen abzuräumen zugunsten einer Gartenanlage.

    Die NS-Propaganda bediente sich

    Die deutsche Hellas-Begeisterung bildete, jenseits des hehren Humanitätsideals, eine zweite, an Sparta orientierte Variante aus – den heroischen Krieger. Er wurde im Kaiserreich auf den Schild gehoben, bevor sich die NS-Propaganda des gestählten Körpers und seines Durchhaltevermögens bemächtigte. In einer Abbildung übt die NS-Filmerin Leni Riefenstahl im Berliner Olympia-Jahr 1936 an der Ostsee mit dem deutschen Zehnkampf-Meister die Nachahmung des antiken Diskuswerfers, einer der Ikonen griechischer Kunst.

    Die Autorin unterteilt ihre Abhandlung in eine männliche (Goethe bis Freud) und weibliche Perspektive (Elisabeth von Österreich bis Eliza Marian Butler). Die Letztgenannte, 1885 in Irland geboren, 1959 gestorben, Studentin in Bonn, promoviert mit einer Arbeit über Heine und das Junge Deutschland, zerfetzte die hellenistische Drapierung durch die deutschen Dichter und Denker seit Mitte des 18. Jahrhunderts. In ihrer Streitschrift „Die Tyrannei Griechenlands über Deutschland“ (1935 in Cambridge erschienen) geißelt die Germanistin den unheimlichen deutschen Griechenwahn. Und sie fragt: „Wie konnte das Evangelium der universellen ,Humanität‘ von einer Nazi-Ideologie verwüstet werden?“

    Ihre Antwort: Es lag nicht zuletzt an den Abstraktionen und Spekulationen fern allem Realitätssinn. Diesen bewies die 2011 gestorbene Christa Wolf, die sich in die griechischen Quellen vertiefte, das Land bereiste. In ihrer „Kassandra“-Erzählung (1983) erscheint Helena nurmehr als Phantom in einem sinnlosen (Trojanischen) Krieg.

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