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Geschichte: 150 Jahre Erstes Vatikanisches Konzil: Wie der Papst unfehlbar wurde

Geschichte

150 Jahre Erstes Vatikanisches Konzil: Wie der Papst unfehlbar wurde

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    Unter Papst Pius IX. erklärte das Erste Vatikanische Konzil 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes.
    Unter Papst Pius IX. erklärte das Erste Vatikanische Konzil 1870 die Unfehlbarkeit des Papstes. Foto: dpa (Archiv)

    Ist das päpstliche Nein zur Priesterweihe für Frauen in der katholischen Kirche endgültig? Hat Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“ vom 22. Mai 1994 letztverbindlich eine theologische Debatte geschlossen, so wie dies der oberste vatikanische Glaubenswächter Luis Ladaria beharrlich betont? Sie läuft ja trotzdem seit 25 Jahren engagiert und ernsthaft weiter. Seit 150 Jahren kann der Pontifex für sich in Anspruch nehmen, in Lehrfragen über Glauben und Sitten unfehlbar, also auch unwiderruflich zu entscheiden. Die Vollmacht dazu verlieh ihm das Erste Vatikanische Konzil am 18. Juli 1870 mit der Konstitution „Pastor aeternus“ (der ewige Hirte).

    Historiker Hubert Wolf: Aus Tradition wurde Traditionalismus in der katholischen Kirche

    Hat es der Kirche genutzt, einen unumschränkten Alleinherrscher zu ermächtigen, der obendrein der unanfechtbare Richter der Kirche sein sollte? „Wichtige Chancen für eine lebendige Kirche wurden verspielt“, sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf aus Münster. Mit der definierten Unfehlbarkeit sollte nach 1870 die für jede Religion notwendige fortwährende Aktualisierung ihrer Tradition stillgestellt werden. „Aus lebendiger Tradition wurde Traditionalismus. Dadurch wurde ein starres Kirchenbild zementiert“, betont Wolf.

    Genau diese Erstarrung hat Hans Küng, den aufmüpfigen Tübinger Dogmatiker, 1970 zu seiner wohl bekanntesten Streitschrift „Unfehlbar? Eine Anfrage“ bewogen. Letzter Anstoß war für Küng die Pillen-Enzyklika „Humanae Vitae“ (1968) von Paul VI., „die in ihrer apodiktischen Ablehnung der ,künstlichen‘ Geburtenregelung die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche und ihres Lehramtes so sehr erschüttert hat“. Denn die wenigsten Katholiken scherten sich damals wie heute um diese restriktive Ehemoral. Eine Lehre wurde zur Leerformel. In Abwandlung eines Bibelwortes kam Küng damals zu dem Schluss: „Der Papst ist für die Kirche da und nicht die Kirche für den Papst!“

    Das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit sollte – ganz im Sinne einer von der Moderne angefochtenen und angefeindeten Kirche – zunächst ein scharfes Schwert zur Disziplinierung auseinanderstrebender katholischer Strömungen werden. Ihren Bannstrahl richtete die Kirche gegen „Modernisten“, die Evolutionslehre und historisch-kritische Bibelauslegung einbezogen, ebenso wie später gegen Befreiungstheologen, die auch auf die sozialen Verhältnisse der Glaubenden schauten.

    Viele katholische Gläubige stimmten dem Dogma damals durchaus zu

    Die reaktionäre Positionierung von Papst Pius IX. geschah durchaus mit Zustimmung vieler Gläubiger. „Primat der Sicherheit“ nennt der Frankfurter Kirchenhistoriker Klaus Schatz, einer der besten Kenner des I. Vaticanums von 1869/70, das Bedürfnis nach einer wenigstens nach innen schützenden Gegenmacht, wenn der Kirche schon die weltliche Macht seit der Französischen Revolution und der Säkularisierung verloren gegangen war. Pius IX. war schon 1867 mit seinem „Syllabus errorum“ vorgeprescht, worin er „Irrtümer“ wie Religions- und Meinungsfreiheit oder Volkssouveränität verurteilt hatte.

    Widerstand gegen das neue Dogma leisteten 1870 vor allem deutsche Bischöfe und Theologen. Allen voran der Münchner Professor Ignaz von Döllinger, der sich in Artikeln in der Augsburger Allgemeinen Zeitung kritisch mit dem Konzil auseinandersetzte. Seine „Römischen Briefe vom Konzil“ speisten sich von Informationen aus erster Hand, die Döllinger laufend erhielt. „Als Christ, als Theologe, als Geschichtskundiger, als Bürger kann ich diese Lehre nicht annehmen“, schrieb er an den Münchner Erzbischof. Der Kreis um Döllinger nannte sich die „Alt-Katholiken“. Heute nennt sich die kleine, in Deutschland knapp 16000 Mitglieder starke Kirche oft „reformkatholisch“, sie weiht auch Frauen zu Priestern, kennt keinen Zölibat und teilt die Leitung zwischen Bischof und gewählter Synode. Die Papstdogmen von 1870 „sind kein zentrales Thema mehr für das Leben unserer Kirche“, antwortet der alt-katholische Bischof Matthias Ring unserer Redaktion.

    In der römisch-katholischen Kirche hätten sie indes zu einer extremen Zentralisierung geführt „und einem Verständnis von kirchlicher Lehre Vorschub geleistet, das Entwicklung nicht mehr denken kann“. Darum, meint Bischof Ring, „steckt das römisch-katholische Lehramt in mancher Sackgasse“, etwa bei der Ehe- und Sexualmoral oder beim Thema Frauenordination. Das Verharren darin „führt auf Dauer zur Erosion der Autorität des kirchlichen Lehramtes“, betont Ring.

    Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" lehnt das Papstdogma ab

    Die kritisch-katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ lehnt das Papstdogma ab. „Unfehlbar ist nur Gott. Kein Mensch kann sich anmaßen, unfehlbar zu sein“, erklärt ihr Sprecher Magnus Lux. In der Theologie hätten immer verschiedene Lehrmeinungen darum gerungen, wie Glaube in der Gegenwart am besten ausgedrückt werden kann. „In einer demokratischen Gesellschaft ist dieses Ringen um die richtige Lösung selbstverständlich. Und deshalb können die Menschen heute mit diktatorischen Lösungen nichts anfangen – auch wenn sie sich hierarchisch nennen“, so Lux. Aufgabe der Kirchenleitung sei es also, den Menschen dabei zur Seite zu stehen, „wie sie als mündige Christen für ihr Glaubenszeugnis Verantwortung übernehmen können“.

    Hatten die Kritiker 1870 befürchtet, der unfehlbare Papst könne zuviel Neuerung in der Kirche verfügen – und tatsächlich hat das Papsttum im 19. Jahrhundert nach Prof. Wolf einen neuen Katholizismus erfunden –, so zeigt die Gegenwart einen eher konservativen Zug. Rom verschanzt sich hinter der Unfehlbarkeit, wo Debatten zu heiß werden und der Ruf nach Reformen zu laut. Aus Dogmen werden Machtworte, sagt der Bonner Theologe Hans Joachim Höhn. In Vergessenheit gerät darüber, dass Dogmen Wahrheiten, die „um unseres Heiles willen“ offenbart wurden, formulieren sollten. Empfängnisverhütung und Frauenpriestertum gehören zu solchen Wahrheiten gewiss nicht.

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