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Generationenwandel: Ungerechtigkeit bei Klima und Bildung: Wie sich die Jugend von heute wehrt

Kreativer Protest: Eine Aktivistin von Fridays For Future malt in Essen ein Windrad, während die Hauptversammlung von RWE stattfindet.
Foto: Caroline Seidel, dpa
Generationenwandel

Ungerechtigkeit bei Klima und Bildung: Wie sich die Jugend von heute wehrt

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    „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Diese Tirade über junge Menschen könnte eins zu eins aus der Gegenwart stammen, ist aber Tausende Jahre alt. Das Zitat aus vorchristlicher Zeit wird üblicherweise Sokrates zugeschrieben. Doch an Aktualität hat es nichts verloren. Der Kleidungsstil, die Redensart, die Lebensweise der jungen Menschen stößt der älteren Generation traditionell auf. Die Jugend wird generell unterschätzt. Das ist nichts Neues. Neu ist aber, dass der jetzigen Jugend fast zu viel zugetraut wird – beziehungsweise zu viel zugemutet.

    Die Elterngeneration ist durch die Welt gejettet, wirtschaftlichen Aufschwung genossen, dabei Klimaschäden wissentlich in Kauf genommen, und reagiert jetzt auf die Corona-Krise mit riesigen Geldspritzen, für die die Schuldenbremse großzügig außer Kraft gesetzt wird. Wenn die heutige Jugend selbst zur Elterngeneration geworden ist, hat sie dann zwar schöne Kindheitserinnerungen von Langstreckenreisen, die auf Tausenden Fotos und Videos festgehalten wurden. Aber dazu eben auch viel mehr Folgen des fortschreitenden Klimawandels zu spüren, mit steigendem Meeresspiegel, Dürren und Hitzewellen – und dazu einen Staatshaushalt, der immer mehr Geld ins Rentensystem zuschießen muss.

    Die Jugend von heute - die wütende Generation?

    Irgendwie werden sie das schaffen, darauf vertrauen die Erwachsenen. Doch das will die Jugend schon lange nicht mehr hören. Vertrauen ist gut, selbst machen wäre besser. Jugendliche gehen seit Jahren wegen des Klimawandels und anderen Themen der sozialen Gerechtigkeit auf die Straße. Die Medien schreiben von einer wütenden Generation und bezeichnen sie direkt als die neuen 68er.

    Die 68er sind die letzte große Protestgeneration in Deutschland. Sie schafften einen langfristigen Wandel in der Gesellschaft. Auch die aktuelle Jugend will das erreichen. Dort hören die Gemeinsamkeiten aber schon auf. Während die 68er gegen zu strenge Eltern und Professoren agierten, versucht die Fridays-For-Future-Bewegung im Gegenteil, die Politik zu strengeren Handlungen gegen den Klimawandel zu bewegen.

    „Sie warnen vor existenziellen Gefahren.“

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    Klaus Hurrelmann, Jugendforscher an der Hertie School in Berlin, bezeichnet die 68er-Bewegung als eine „Aufbegehrung ohne Inhalt“. Es habe eine Aufbruchsatmosphäre gegeben, den Wunsch nach mehr Freiheiten. Was danach kommen sollte, sei allerdings unklar gewesen. „Fridays For Future berufen sich nicht auf Ideologien, sondern auf Wissenschaft“, sagt Hurrelmann. „Sie warnen vor existenziellen Gefahren.“ Ging es den 68ern um Freiheit, geht es der Jugend heute ums Überleben. Und dafür sind sie nicht nur laut, sie sind vor allem effizient und organisiert.

    Die Richter geben der Jugend recht

    Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf den Demos von Fridays For Future haben oft unterschriebene Zettel ihrer Eltern dabei, um mit Medien reden zu können und sie zitieren wissenschaftliche Studien. Und das mit 14. Sie haben Pressesprecher und organisieren möglichst sichtbaren Protest, ohne Corona-Regeln zu brechen. Vor allem junge Menschen waren es, die beim Bundesverfassungsgericht gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung klagten. Die Karlsruher Richter gaben der Jugend recht, bis Ende 2022 muss das Gesetz neu formuliert werden. Denn die bisherigen Vorschriften verschoben viele Änderungen auf die Zeit nach 2030. In anderen Worten, die Politiker wollten die Lösung der Klimaprobleme vollständig der jungen Generation zuschieben.

    Die Sinus-Jugendstudie 2020 kam zu dem Ergebnis, die junge Generation sei ernsthafter und besorgter geworden. Gleichzeitig kategorisiert sie die meisten Jugendlichen als „pragmatisch“. Ihre Ziele seien gute, abgesicherte Lebensverhältnisse. Kein wildes Feiern, sondern Leistung und Selbstverantwortung sind den jungen Menschen laut der Umfrage wichtig. Wobei zur Leistung auch die richtige Balance mit genügend Freizeit gehört. Aber es ist eben nicht die studentische Feierkultur, die die 68er noch betrieben. Yoga und vegane Produkte sind wichtiger als harte Drogen. Langzeitstudenten sind inzwischen ebenso aus der Mode gekommen wie Rauchen. Junge Menschen gelten nicht als uncool, weil sie lange mit dem gleichen Partner, der gleichen Partnerin zusammen sind. Die 68er hätten die heutige Protest-Generation wahrscheinlich als Spießer bezeichnet.

    „Das Selbstbewusstsein der Generation ist stark geworden.“

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    Über Generationen zu sprechen und zu schreiben, ist immer auch gefährlich pauschalisierend. Die aktuell junge Generation hat so viele verschiedene Titel bekommen, dass sich beinahe der Verdacht einschleicht, dass man gar nicht alle über einen Kamm scheren kann. Generation Null Bock, Generation Beziehungsunfähig, Generation Head Down (Kopf nach unten, wegen des ständigen Blicks aufs Handy).

    Andere Titel beschreiben eher die Welt um sie herum, als die Jugendlichen selbst: Generation Praktikum, Generation Merkel und seit Neuestem Generation Corona. Die Wissenschaft spricht von der Generation Z. Dabei ist umstritten, wer genau gemeint ist. Für mache sind es die 1990 bis 2000 geborenen, für andere die Jahrgänge 1997 bis 2012. Der Einfachheit halber sind in diesem Text mit der jungen Generation die Menschen gemeint, die jetzt 15 bis 30 Jahre alt sind.

    Vegane Ernährung und eine umweltschonende Lebensführung sind für viele junge Menschen inzwischen wichtiger als Alkohol- und Drogenkonsum.
    Vegane Ernährung und eine umweltschonende Lebensführung sind für viele junge Menschen inzwischen wichtiger als Alkohol- und Drogenkonsum. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Natürlich waren nicht alle Jugendlichen 1968 Revoluzzer, nicht alle in den 70ern tanzten in Schlaghosen zu Discomusik, nicht jeder spielte während der 80er mit einem Zauberwürfel und schaute Dirty Dancing. Jede Generation besteht aus Millionen von Einzelpersonen. Trotzdem bleibt von jeder Zeit ein Bild, ein Eindruck. Die Frage ist, was bleibt von uns?

    Die Klimabewegung wird in den Geschichtsbüchern sicherlich ihren Platz finden. Generell der gesellschaftliche Wandel, den die aktuelle Jugend voranbringt. Die 17-jährige Janika Pondorf und die 18-jährige Paula Stoffels sind bei Fridays For Future aktiv, aber das Engagement für die Umwelt ist für sie nicht das Einzige, das ihre Generation ausmacht. Pondorf bezeichnet es als eine „bunte und tolerante Generation, die die Vielfalt zulässt.“ Es geht nicht nur um den Planeten. Es geht allgemein um Achtsamkeit – gegenüber der Natur, gegenüber Tieren, gegenüber Minderheiten.

    Dass diese Achtsamkeit in Unachtsamkeit, beziehungsweise Intoleranz münden kann, haben manche jungen Menschen aber auch gezeigt. Wenn plötzlich jeder, der nicht die achtsame Sprache verwendet, zum Gegner wird. Aber Übertreibung gehört nun einmal zu den Sünden der Jugend. Geschlechtsneutrale Sprache und Political Correctness kommen nicht von irgendwoher. Es geht um Gleichberechtigung, nicht nur die der Frau. Es geht um Black Lifes Matter aber auch um die Bekämpfung des Rassismus.

    Jugendforscher Hurrelmann hat mit „Generation Greta“ ein Buch über die ab 2000 geborenen Jugendlichen geschrieben. Für ihn ist die Klimabewegung zwar bedeutsam, aber erst der Anfang. „Das Selbstbewusstsein der Generation ist stark geworden“, sagt er. Sehr viele vor allem junge Frauen, wüssten jetzt, wie man sich artikuliere, wie man Politik mache. „Wenn sie andere Möglichkeiten sehen, werden sie sich ebenso laut und ebenso deutlich zu Wort melden, wenn es darauf ankommt.“

    Aber ja, bei allem Pragmatismus und aller Effizienz. Natürlich ist die Jugend auch über gewisse Dinge wütend. „Wenn ich mich nicht ärgere, warum sollte ich dann etwas ändern“, sagt Fridays-For-Future-Aktivistin Stoffels.

    Wichtige Entwicklungsschritte fallen für die Generation Corona aus

    Nicht nur der Klimawandel, auch die Corona-Krise zeigt wieder die Ungerechtigkeit, die zu Lasten der Jugend durch die Politik sang- und klanglos verabschiedet wird. Laut Sinus-Studie haben die meisten Jugendlichen Verständnis für die Corona-Regelungen. Sie sind zwar genervt, aber haben auch Sorgen. Weniger um sich, mehr darum, ältere Menschen, zum Beispiel die Großeltern, anzustecken. Es geht ihnen damit wie vielen anderen auch. Allerdings ist für 15-Jährige eingesperrt und von den Freunden getrennt zu sein wesentlich schlimmer als für Erwachsene. Ob jemand 44 oder 45 Jahre alt ist, ist kein so großer Unterschied mehr. Das Leben ist gefestigt und entwickelt sich nicht mehr in Sprüngen. Mit 15 ist das anders. Da fehlen nun Pandemie-bedingt wichtige Entwicklungen. Es gibt nur einmal den ersten Kuss, nur einmal das erste Bier, nur in diesen Jahren eine Art unbekümmerte Blödsinnigkeit, an die sich viele ihr Leben lang mit Wehmut erinnern.

    „Ich bin nicht auf eine ganze Generation wütend.“

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    Die 18- bis 30-Jährigen sind in der Studie nicht vertreten, aber auch sie mussten und müssen extreme Einschränkungen durchmachen. Abiball und Erstsemester kann man nicht wiederholen. Reisen, Feiern, sich ausleben, all das gehört in diese Zeit. Es mag nicht das größte Opfer der Pandemie sein, aber trotzdem: Viele haben das Gefühl, ihnen wird ein großes Stück Jugend geklaut. Dank wäre dafür vielleicht zu viel verlangt, schließlich leiden alle unter Corona. Allerdings waren Vorwürfe auch nicht nötig. Als Infektionszahlen hochgingen und keine Erklärung dafür da war, waren junge Menschen die ersten Verdächtigen. Dass sie aber mehr Menschen anstecken als etwa 30- bis 50-Jährige ist nicht bewiesen. Trotzdem beschwerten sich Politiker über die fehlende Solidarität der Jugend. Nur um direkt Lockerungen zu starten, sobald aus der älteren Generation genug geimpft waren. Solidarität scheint nur von Jungen für Alte verlangt zu werden, nicht anders herum. Natürlich kommt da irgendwann Wut auf.

    Es gibt nicht nur Wut, es gibt auch Dankbarkeit

    „Aber man muss differenzieren, auf wen man wütend ist“, erklärt die 18-jährige Stoffels. Bei der Klimapolitik seien es Einzelpersonen, die teilweise schlechte Entscheidungen getroffen hätten. Pondorf ergänzt: „Ich bin nicht auf eine ganze Generation wütend, schließlich haben wir auch vieles, für das wir dankbar sein können.“

    Ein richtiger Generationskonflikt ist es nicht, der die Jugend antreibt, und auch nicht, was sie anstrebt. Viele junge Menschen haben ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern. Eltern und Großeltern unterstützen die Jugendlichen bei ihren Vorhaben. Ob Omas gegen Rechts oder Parents For Future. Auch Jugendforscher Hurrelmann bezeichnet die Proteste nicht als Generationskonflikt. „Es wird von der jungen Generation eine sehr deutliche, sehr scharfe Kritik am fahrlässigen Verhalten der älteren Generationen geäußert“, sagt er. Gleichzeitig seien die Älteren eingeladen, an einer Lösung mitzuwirken. Wieder ein Unterschied zu den 68er, die gegen die ältere Generation und Autorität aufbegehrten. Hurrelmann: „Die Bewegung hat nicht das Ziel, etwas zu sprengen, sondern mit der älteren Generation gemeinsam etwas zu bewegen.“

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