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Frankfurter Buchmesse: Deutscher Buchpreis: Frank Witzel ist Überraschungs-Preisträger

Frankfurter Buchmesse

Deutscher Buchpreis: Frank Witzel ist Überraschungs-Preisträger

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    Die Augen aufgerissen, die Münder offen, die Hände auf dem Weg zum Applaus: Inmitten eines begeisterten Publikums sitzt ganz gefasst der Überraschungs-Preisträger Witzel.
    Die Augen aufgerissen, die Münder offen, die Hände auf dem Weg zum Applaus: Inmitten eines begeisterten Publikums sitzt ganz gefasst der Überraschungs-Preisträger Witzel. Foto: Arne Dedert (dpa)

    Der Ruhm, er kommt dann doch meist überraschend. Zu Frank Witzel kam er am Montagabend im Kaisersaal des Frankfurter Römer. Der Mann trug Sakko, ein grau meliertes Hemd, keine Krawatte. Als sein Name verkündet wurde, war es ein bisschen so wie bei der Oscar-Verleihung.

    Frankfurter Buchmesse: Frank Witzel ist überraschender Preisträger

    Die Köpfe drehten sich zu ihm, es schrien auch einige auf. Man kann es sehen auf den Fotos von der Preisverleihung, eingefroren für immer dieser Moment, wie sie da sitzen, die Augen aufgerissen, die Münder offen, die Hände auf dem Weg zum Applaus. Und dazwischen Frank Witzel mit einem sehr feinen, ein wenig ungläubigen Lächeln.

    Als er auf dem Podium angelangt war, hat er Heinrich Riethmüller, der als Vorsteher des Deutschen Börsenvereins des Buchhandels den Gewinner des Deutschen Buchpreises verkünden darf, sehr lange die Hand geschüttelt, so, als ob man mit dem Händeschütteln noch irgendetwas hinauszögern könne. Seine Rede begann er dann mit den Worten: „Vielen Dank. Ich bin nicht nur überrascht, ich bin auch unvorbereitet.“

    Das war also der Montagabend. Der Frank Witzel, 60 Jahre alt, bislang ein eher wenig bekannter Autor, zum Schriftsteller des Bücherherbstes machte. Der Ruhm schickt ihn seitdem herum. Ach was, er wirbelt den ganzen Frank Witzel aus Offenbach samt seines Buches mit dem langen Namen durch die deutsche Bücherwelt, setzt ihn mal hier und mal dort ab. Jetzt auf ein blaues Sofa mitten im Trubel der Frankfurter Buchmesse, dem temporären Mittelpunkt dieser Welt. Gegenüber von Witzel nimmt der Literaturkritiker Volker Weidermann Platz. Man plaudert ein bisschen bei ausgeschalteten Mikrofonen, dann geht es los.

    Weidermann sagt, dass er sich sehr freue über seinen ersten Gast, den „überraschendsten Buchpreisträger der Welt“, und wie es ihm jetzt eigentlich so gehe ... Derweil kabbeln sich zwei Zuhörer um den letzten freien Hocker. Später wird eine ältere Dame mit kurzem Haar einem jüngeren Herrn ordentlich die Meinung geigen, wegen dieses Hockers. Der junge Herr wird einen roten Kopf bekommen und ziemlich laut sagen: „Das geht Sie gar nichts an.“ Nebensächlichkeiten.

    Lesen und gelesen werden auf der Frankfurter Buchmesse

    Aber so ist es eben auf der Buchmesse. Es gibt viel mehr Bücher als Sitzplätze. Es gibt natürlich auch viel mehr Besucher als Autoren. Deswegen streitet man über Sitzplätze. Um freie Sicht auf den Schriftsteller. Deswegen drängelt man in den schmalen Gängen, in diesem Irrgarten aus Gedrucktem, bleibt stehen, wo sich die Menschen ballen, in der Hoffnung, dahinter stecke irgendwo ein kluger Kopf.

    Oder zumindest ein prominenter. Oder der eines Preisträgers. Deswegen lässt man sich selbst durch den Bücherherbst wirbeln, erhascht einen Blick auf den Kinderbuchschriftsteller Paul Maar, lauscht kurz den Worten der Indonesierin Laksmi Pamuntjak, wie sie von den Gräueltaten unter Diktator Suharto berichtet, und ist zwanzig Minuten später mittendrin im wilden Vortrag des Sachbuchautors Andreas Englisch, der nichts anderes als eine Revolution im Vatikan ankündigt.

    Und deswegen landet man auch irgendwann vor Richard David Precht, dem Philosophen, und erfährt überraschend, dass er die letzten Monate meist Bademantel trug. Bademantel deswegen, weil er zu Hause an seinem Buch über die Geschichte der Philosophie arbeitete.

    Bücher, Autoren, Sitzplätze. Drängeln und gedrängelt werden. Lesen und gelesen werden. Der ganze Bücherherbst ein einziger Wirbel. Schon längst reicht es ja nicht mehr, ein Buch einfach nur zu schreiben. Und sei es noch so gut. Noch so klug. Noch so witzig. 74.000 Bücher sind allein 2014 als Erstauflage neu erschienen, einige tausend weniger als in den Vorjahren, aber immer noch verrückt viele. Da müssen Bücher schon etwas hermachen, Cover, Titel, Thema, und der Autor am besten auch. Sieht er gut aus wie Richard David Precht, wunderbar! Ist er so sympathisch wie die englische Bestsellerautorin Jojo Moyes, großartig! Kann er auch gut lesen, noch besser! Trifft alles zu, am besten! Am allerbesten aber ist natürlich so ein Preis.

    Etwas abseits vom blauen Sofa, auf dem Frank Witzel sitzt, steht Friederike Jacob vom Verlag Matthes und Seitz. Sechseinhalb Mitarbeiter groß ist der Verlag, sie sagt, so etwas hätten sie alle noch nie erlebt. Sie hätten auch alle geheult. Vor Glück. Vielleicht ein wenig auch vor Schreck: „So ein Erfolg kann einen ja auch mitreißen wie eine Tsunami-Welle.“ Nun kommen sie zum Beispiel schon mit dem Drucken des Romans nicht mehr hinterher. „Wir sind seit Dienstag mittag vergriffen“, sagt

    Preisträger: Frank Witzels Buch ist das mit dem langen Titel

    Wobei man jetzt unbedingt einmal den Titel nennen muss: „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“. Es geht dem Buch schon jetzt wie einem anderen Buch, das vor nicht allzu langer Zeit sehr erfolgreich war und dessen Titel auf zwei Worte eingedampft wurde: „Der Hundertjährige …“

    Seit diesem Roman sind lange Titel in Mode, aber Frank Witzel wirkt nicht wie einer, der nach der Mode geht. Wie auch. 15 Jahre liegen hinter ihm, in denen er an diesem Roman über die Gedankenwelt eines Teenagers in der BRD der 60er Jahre gearbeitet hat, in denen er aus seinem Gedankenarchiv, wie er es nennt, dieses Konvolut an Geschichten zusammengetragen hat. Hätten Romane Kleider, trüge dieser also Schlaghosen.

    15 Jahre. Wäre der Preis nicht gewesen, Frank Witzel, Autor seit gut 40 Jahren, hätte auch bei dieser Buchmesse keine besondere Woche vor sich gehabt. Der Roman ist schon im Frühjahr erschienen, ein halbes Jahr aber ist in der Buchwelt mehr als nur ein Frühjahr und ein Sommer. In der tausendseitigen Broschüre der Buchmesse, in der jeder Termin, jede Lesung gelistet ist, sozusagen der Ariadnefaden für den Irrgarten, taucht der Name von Witzel erst gar nicht auf. Sie war schon gedruckt, als der Preis verkündet wurde.

    Der Name von Jenny Erpenbeck hingegen taucht zehnmal auf. Ihr eben erschienenes Buch „Gehen, ging, gegangen“ gilt als der Roman zur Stunde. Er handelt von Flüchtlingen in Berlin, stand ebenfalls auf der Shortlist für den Buchpreis, und mit ein wenig Glück wäre sie diejenige gewesen, die den Ruhm geerntet hätte, der nun Frank Witzel umherschickt. „Wohin geht ein Mensch, wenn er nicht weiß, wo er hingehen soll?“ Dieser Satz steht in ihrem Roman. Erpenbeck war die Favoritin, Witzel der Außenseiter.

    Nun muss Friederike Jacob seine Zeit takten. An einem Tag acht Interviews, am nächsten Tag etwa genauso viele, und dazwischen sitzt Frank Witzel mal auf dem blauen Sofa des ZDF, mal auf der ARD-Bühne, dann auf einem Stuhl beim Stand des Spiegel. Sie versuche, ihm zwischendrin Pausen zu lassen. Auch ein Mittagessen in aller Ruhe. „Er braucht ja noch einen langen Atem.“ Nach der Messe werden Text und Autor im Buchland weitergereicht, auch das gehört längst dazu. Es geht nach Göttingen, Leipzig, Wiesbaden, Mainz ... So weit also, wie ihn der Erfolg trägt.

    Buchmesse: Frank Witzel überzeugt mit Authentizität

    Jetzt aber Frankfurt. Wenn schon nicht der Roman zur Stunde, so doch der Mann der Stunde. Lesen. Reden. Reden. Signieren. Und immer wieder erklären, wie es ihm nun eigentlich geht. „Ganz wunderbar“, sagt dann zum Beispiel Frank Witzel und erzählt, wie er am Montag gleich nach der Preisvergabe von der Bühne geholt worden sei zu den ersten Interviews, und auch das habe er nicht erwartet. Dass man den Ruhm also im Grunde so schnell anknipsen kann wie das Licht.

    Moderator Weidermann fragt so, der nächste anders. Immer aber antwortet Frank Witzel mit einer Ernsthaftigkeit, um derentwillen man ihn schon mögen muss. „Genau“, sagt er, „Sie haben das genau erfasst.“ Er erzählt, dass er als Jugendlicher Peter Handke gelesen und nichts verstanden hat. „Wunderbar, ich war so begeistert.“ Dieses Nicht-Verstehen, das habe ihn dann animiert, noch mehr von Handke zu lesen. Er spricht von Wahnsinn, Revolte und Melancholie, von Matchbox-Autos und Andreas Baader und wie man sich mit 13 Jahren so fühle, wenn man gerade dabei ist, seine eigene Realität zu erfinden.

    Er sagt, er habe irgendwann die Distanz zu seinem Werk verloren, gar nicht mehr gewusst, ob das nun eigentlich gelungen sei. Er sagt das mal auf jenem Sofa, mal auf jenem Stuhl. Und immer sind alle Plätze besetzt, drehen sich die Zuhörer um, wenn das Gemurmel zu laut wird, und schauen böse, so als ob das jemand kümmern würde.

    Friederike Jacob steht einige Meter entfernt und blickt auf die Uhr. „Jetzt muss er noch signieren.“ Eine Leserin möchte gerne noch mit dem Autor fotografiert werden. Es gibt eine Fotowand mit fliegenden Büchern und eine in einem Kasten versteckte Kamera. Die Leserin strahlt, Witzel lächelt, tritt dann ein paar Schritte zur

    Verbraucher können die Frankfurter Buchmesse am Samstag und Sonntag besuchen. Öffnungszeiten: Samstag 9 bis 18.30 Uhr, Sonntag 9 bis 17.30 Uhr. Tageskarte: 18 Euro, ermäßigt 12 Euro. Wochenendkarte: 26 Euro. Karten auch online unter: book-fair.com/de/tickets

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