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Filmstart: Undine hat genug von dem Märchenzwang

Filmstart

Undine hat genug von dem Märchenzwang

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    Wassergeist Undine (Paula Beer) hat sich in Christoph (Franz Rogowski) verliebt. Können die beiden ihrem Schicksal entgehen?
    Wassergeist Undine (Paula Beer) hat sich in Christoph (Franz Rogowski) verliebt. Können die beiden ihrem Schicksal entgehen? Foto: Schramm Film

    „Du musst doch etwas geahnt haben“ sagt er, als wäre die Trennung nur noch eine Formsache. Aber sie macht es ihm nicht leicht. Im Gegenteil. „Du hast gesagt, dass du mich liebst. Für immer“ sagt Undine (Paula Beer) mit klarer Stimme. Und: „Du kannst nicht gehen. Wenn du mich verlässt, muss ich dich töten. Das weißt du doch.“ Ein Beziehungsgespräch von ungewöhnlicher Entschiedenheit steht am Anfang von Christian Petzolds neuem Film „Undine“ und bestimmt dessen außerrealistischen Erzählton.

    Denn diese Undine, die nicht daran denkt, ihren Geliebten gehen zu lassen, ist nicht nur eine moderne, selbstbewusste Frau, sondern auch eine Gestalt aus der Märchenmythologie. Dort wird Undine als weiblicher, halbgöttlicher Wassergeist geführt und bekommt erst durch die Liebe zu einem irdischen Mann eine Seele. Wird der Vermählte untreu, bringt die Undine ihm den Tod und muss selbst wieder zurück ins Wasser verschwinden. Ein romantisches Abhängigkeitsverhältnis unter Extrembedingungen und eine Liebe auf Leben und Tod.

    In Petzolds Film hat Undine genug von den Zwängen

    Seit der Veröffentlichung der Erzählung „Undine“ von Friedrich de la Motte Fouqué im Jahre 1811 hat die männermordende Sagengestalt viele Wiedergängerinnen gefunden. E.T.A. Hoffmann und Albert Lortzing rekrutierten sie für die Opernbühne und über Hans Christian Andersons Variation landete die tragische Nixe sogar als „Arielle die Meerjungfrau“ im Disney-Kanon. Erst die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann räumte mit ihrer Erzählung „Undine geht“ (1961) gründlich mit den romantischen Männerfantasien rund um diese Märchenfigur auf.

    Auch in Petzolds Film hat Undine genug von den Zwängen der Märchenordnung. Als der schnöselige Geliebte sie wegen einer anderen verlässt, will sie ihre Seele behalten, weder Rache nehmen noch zurück ins Wasser gehen. Stattdessen verliebt sie sich noch am selben Tag neu. „Ich bin Industrietaucher“ stellt sich Christoph (Franz Rogowski) vor, der plötzlich im Café hinter ihr steht. Wenige Sekunden später platzt das Aquarium. Das Wasser reißt die beiden nieder. Die Goldfische liegen leblos am Boden. Vorsichtig zieht Franz die Glasscherben aus Undines Körper heraus – eine Kennenlernszene, die ihren Platz im cineastischen Gedächtnis verdient hat.

    Petzold hat seine Märchenvariation fest im modernen Berlin verortet. Hier erklärt die Titelfigur als Historikerin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung anhand von großen Modellbauten die Geschichte der Metropole, die sich seinerzeit aus trockengelegten Sümpfen heraus selbst erfunden hat. Ihre Vorträge sind das Herzstück des Filmes, weil in ihnen nicht nur Stadtplanungsgeschichte verhandelt wird, sondern sich hier auch ein weiblicher Intellekt entfaltet, dessen Anziehungskräften Christoph hingebungsvoll erliegt.

    Paula Beer hat zu Recht den Silbernen Bären gewonnen

    Rogowski und Beer, die auch schon in Petzolds letztem Film „Transit“ gemeinsam vor der Kamera standen, bilden hier mit enormer Präsenz ein Paar, dessen Liebe kraftvoll aufblüht, bevor das Wasser und das mythische Schicksal nach dem fragilen Glück greift. Immer wieder begibt sich Petzold mit der Kamera auf Tauchstation hinab in einen Stausee, in dem riesige Welse und geheime Inschriften verborgen sind und das Licht der Realität nur gebrochen scheint.

    Gerade in visueller Hinsicht entwickelt „Undine“ eine große Sogwirkung, weil die Kameraarbeit von Hans Fromm erneut eine hoch konzentrierte Strahlkraft entwickelt. Ähnliches lässt sich für die Performance von Paula Beer sagen, die mit „hinreißend“ nur unzureichend beschrieben werden kann. Allein schon ihr Gang. Die kraftvollen, eleganten Schritte, mit denen sie eine Straße entlang schreitet, erzählen mehr über die Figur, als es eine Handvoll Drehbuchseiten tun könnten. Beer, die zu Recht bei der diesjährigen Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, hat die Präsenz eines echten Filmstars. Wo sie auftaucht, kann keiner nicht hinsehen.

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