Wer, wenn nicht der König könnte es richten? Da doch alle Weltmarken vor ihm gekniffen haben: James Bond etwa – mindestens bis in den Spätherbst verschoben; die nächsten Abenteuer der Comic-Verfilmungen von Marvel und DC – gleich ganz ins nächste Jahr verlegt; Disney mit „Mulan“ – sogar komplett aus dem Kino ins Streaming abgewandert … Bislang jedenfalls hat Corona trotz aller vorsichtigen Wiedereröffnungen der Kinos das ohnehin größte und in den vergangenen Jahren nur noch größer gewordene Geschäftsfeld des Films komplett stillgelegt: die Blockbuster.
Der König der Sparte aber hat in den vergangenen 20 Jahren Millionen Menschen weltweit gelehrt, dass sie blind Eintrittskarten kaufen können, sobald er mit seinem Namen für einen Film verantwortlich zeichnet. Weil sie darauf vertrauen dürfen, bei ihm zum einen eine außergewöhnliche Erzählung geboten zu bekommen, und das zum anderen auch noch in einer sinnlichen Wucht zu erfahren, die das Kinoerlebnis im Vollformat allen Formen des Fernsehens himmelweit überlegen macht. Ein in seinem Schaffen bislang makelloser Brite, im eigentlichen Sinne Filmemacher, wie es sonst in Hollywood höchstens noch Quentin Tarantino ist und dabei für Projekte im maximalen Spielberg- oder Emmerich-Format verantwortlich: Christopher Nolan.
Multimillionen und Starbesetzung
Wenn sich also auch erst ab dem 26. August mit dem Anlaufen seines neuesten Films „Tenet“ herausstellt, ob er nicht nur makellos bleiben, sondern auch noch zum Blockbuster-Retter in Corona-Zeiten taugen wird – allein was dem kürzlich 50 Jahre alt gewordenen Nolan bis hierher gelungen ist, kann einen schon mal umhauen. Mit zehn Spielfilmen hat er in nicht weniger als vier Genres neue Maßstäbe gesetzt, ohne dabei einen einzigen Oscar oder Grammy zu gewinnen. Und er hat dabei auch den Umstieg vom selbstständigen Filmemacher zum Dompteur von Multimillionen-Budgets mit Superstar-Besetzung bravourös gemeistert.
Bis vor 20 Jahren nämlich war alles auf einem anderen Kurs. Christopher Nolan, einer von drei Söhnen eines britischen Werbetexters und einer amerikanischen Stewardess, war, da gerade 30, dabei, sich endgültig seinen Kindheitstraum zu erfüllen. Mit sieben hatte er begonnen, mit der Super-8-Kamera seines Vaters zu filmen, mit zehn bereits beschlossen, das später als Beruf und für den Rest seines Lebens machen zu wollen. Und nun, 20 Jahre später, feierte er seinen ersten Erfolg. Und gleich was für einen!
Christopher Nolan, übrigens rot-grün-blind, hatte Literatur in London studiert, sich an ersten Kurzfilmen probiert, es damit teils bereits ins Spartenfernsehen geschafft – und war bereits mit seiner College-Liebe Emma Thomas verheiratet, mit der und vier gemeinsamen Kindern er noch heute in Los Angeles zusammenlebt. „Following“, sein erster, noch im eigenen Haus und für insgesamt 6000 Pfund gedrehter Spielfilm, hatte mit seiner so klugen wie packenden Verrätseltheit in der Branche schon für so viel Aufmerksamkeit gesorgt, dass Nolan nun mehr Geld zur Verfügung hatte, um eine Erzählung seines Bruders Jonathan zu verfilmen: „Memento“, ein Thriller, der in zwei gegenläufigen, durch die Farbgebung unterschiedenen Zeitsträngen vom Versuch eines Mannes erzählt, den Mord an seiner Frau aufzuklären – obwohl er nach dem traumatischen Erlebnis weder in der Lage ist, sich an irgendetwas zu erinnern, noch neue Erinnerungen bilden kann. Eine wilde Fahrt, Nische, fulminant!
Eine neue Qualität für den Kriegsfilm
Und der Türöffner. Denn nach sofortiger Oscar- und Grammy-Nominierung standen für den nächsten Film bereits Hilary Swank und Robin Williams bei ihm vor der Kamera – und Al Pacino! Kein Zufall sicher, denn die Schauspiellegende hatte erkannt, dass sich hier einer auf die Spuren der einstigen Neuerfindung Hollywoods, die er mitgeprägt hatte, machte: die Düsternis und Härte, den Kunstwillen und zugleich den Realismus von „New Hollywood“ für Erzählungen eines neuen Jahrhunderts. Und tatsächlich entwickelte auch „Insomnia“ diesen Nolan-Sog, der dann auch das Superstar-gespickte Zaubererdrama „Prestige“ prägte. Und vor allem erfand Nolan in jenen Jahren den das Blockbuster-Kino prägenden Superheldenfilm geradezu neu. Seine „Batman“-Trilogie mit Christian Bale in der Hauptrolle und Heath Ledger als Gänsehaut verpassenden Joker im Mittelteil hatte eine Sinnlichkeit, eine tragische Tiefe und damit bei aller Fantastik eine Welthaltigkeit, die alles Bisherige als Comic-Klamauk entlarvte (und etwa Todd Phillips’ letztjährigen „Joker“ mit Joaquin Phoenix erst möglich machte). Nolan lieferte mit „Inception“ eine visionäre Fantasy und mit „Interstellar“ eine fundierte Science-Fiction, wie sie die Welt zuvor nur in „2001“ und „Solaris“ gekannt hatte. Und schließlich brachte er mit „Dunkirk“ den Kriegsfilm auf eine neue ästhetische Qualität, die reales Drama pathosfrei erlebbar machte.
Und das Kritiker-Schwärmen darüber, wie hier der Autorenfilmer das Maximalformat übernahm, erlebte immer neue Höhen: von „Hollywoods größtem Erzähltalent“ über „neuer Kino-Wundermann“ bis hin zum „Blockbuster-König“, denn „in Hollywood wird Nolan gefeiert wie ein Erlöser, weil er es schafft, wovon die Traumfabrik sonst nur träumt: den intelligenten Blockbuster.“ Nolan selbst macht dabei nicht viel Gewese. Sagt Sachen wie: „Es reizt mich, den Zuschauer dazu zu bringen, die Perspektiven der einzelnen Beteiligten einzunehmen, was wiederum die eigene Sichtweise auf die Geschehnisse beeinflusst.“ Oder: „Die Sache ist die: Meine Langeweile ist mir sehr wichtig. Permanent mit der Welt verbunden zu sein – oder besser gesagt, dieser Illusion nachzujagen –, wäre schädlich für mich.“ Nolan besitzt also kein Smartphone, obwohl er längst Medienunternehmer mit eigenem Produktionsstudio ist.
Nicht nur als der ist er der richtige Mann für eine Rettermission – er nimmt Kino auch persönlich. Am Schockpunkt seiner Karriere, als ein Zuschauer in der Premiere seines dritten Batman-Films Amok lief, sagte Nolan: „Das Filmtheater ist mein Heim, und die Vorstellung, dass jemand diesen unschuldigen und hoffnungsfrohen Ort auf so unerträglich brutale Weise verletzen kann, finde ich verheerend.“ Auf eine Art gilt das ja auch für Corona.
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