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Festspiele: Salzburger Festspiele: Klassiker brilliant in die Gegenwart katapultiert

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Salzburger Festspiele: Klassiker brilliant in die Gegenwart katapultiert

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    Szene aus „Richard the Kid & the King“  bei den Salzburger Festspielen 2021: Kristof Van Boven und die überragende Lina Beckmann.
    Szene aus „Richard the Kid & the King“ bei den Salzburger Festspielen 2021: Kristof Van Boven und die überragende Lina Beckmann. Foto: Salzburger Festspiele, Monika Rittershaus

    Schwarz und weiß - dazwischen jede Menge Kunstblut. Wenn Shakespeares Königsdrama "Richard III." auf die Bühne kommt, geht es ans Eingemachte. An diesem Premierenabend der Salzburger Festspiele sogar einmal wortwörtlich, wenn Richard III. den Adligen Hastings ausweidet und sich mit seinen Innereien behängt.

    Ein Irrer steht da auf der Bühne in Hallein, gespielt von der brillianten, sich völlig verausgabenden Lina Beckmann. Sie spielt ein blutrünstiges Monster, das schamlos vor aller Augen aufs Grausamste mordet. Ein Wiederholungstäter, der sich wieder einmal entlarvt hat, eigentlich untragbar für die Welt. Ein klarer Fall, so schwarz wie die dunkelste Materie im All nicht sein kann. Und doch ist niemand in seinem Hofstaat fähig, diesem machtgeilen Thronräuber gegenüberzutreten - diesem Terror in Menschengestalt ein Ende zu bereiten.

    So blutig Richards weißes Hemd auch sein mag: Wenn er nach den Morden seine Lügen erzählt, spielen alle wider besseren Wissens mit, wird die Welt für alle wieder eine einfache Scheibe, auf der sie inmitten eines Himmels aus lauter weißen Lampen spielen, nehmen sie das Rot so wenig wahr, wie die Überreste der Getöteten auf der Bühne. Richard III. redet so lange auf die Frau des eben erst umgebrachten Thronrivalens ein, ihn zu heiraten, bis sie nachgibt. Alles ist schrecklich offensichtlich, und doch kann man von dieser mehr als vierstündigen Erkundung menschlicher Niedertracht nicht die Augen lassen.

    Shakespeare „Richard III.“ wird sprachlich in die Gegenwart katapultiert

    Regisseurin Karin Henkel hat gemeinsam mit Sybille Meier und Andrea Schwieter in der Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg Shakespeares Drama geweitet mit Texten aus „Eddy the King“ von Tom Lanoye und Luk Perceval. Und damit das alles an vielen Stellen in die Gegenwart katapultiert. Die Darsteller wechseln wild aus dem Deutschen ins Englische und wieder zurück, manchmal mehrmals in einem Satz. Mal klingt das urkomisch falsch, mal brillant, gerade so wie Richard III. mit Menschen umspringt. Im einen Moment säuselt er noch wie ein Liebhaber auf der Balz, einen Augenblick später macht er sein Gegenüber platt wie Mafiaboss auf Kriegszug.

    An diesem Abend und in dieser Fassung befindet sich der Titelheld nicht nur auf dem Rachefeldzug gegen die Welt, weil er verkrüppelt ist. „Richard The Kid & The King“ richtet, wie der Titel es schon nahelegt, die Aufmerksamkeit auf das Werden. Das nicht nur von der Welt, sondern auch von der eigenen Mutter verschmähte Kind wird eingeführt. Wenn er auf einem Schaukelpferd kindliche Allmachtsphantasien entwickelt, bekommt das berühmte Richard-III.-Zitat „Ein Königreich für ein Pferd“ eine andere Bedeutung. Auch Richards Brüder wirken wie machtrunkene Kinder und Pubertierende, die auf Widerstand nicht mit Kompromissen, sondern nur mit Gewalt reagieren: Feinde müssen sterben.

    Es steht da nicht nur ein Despot und Tyrann auf der Bühne

    Natürlich sieht man an diesem Abend in Richard III. erst einmal einen Despoten und Tyrannen auf seinem Siegeszug. Dazu aber fügt Regisseurin Henkel noch eine Reihe von Aspekten hinzu. Ist das nicht auch ein grobschlächtiger Prototyp eines jeden Machtmenschen, einer, der Menschen rücksichtslos für den eigenen Vorteil missbraucht? Selbst der Trump-Schlenker „Grab them by their pussy” bekommt eine größere Dimension, wenn Richard III. nach diesem Satz als Elvis-Imitation die Ex seines Bruders herumbekommen will. Ein Star darf alles, sagt Richard III. da. Die #meToo-Debatte hat mit vielen Beispielen gezeigt, dass einige tatsächlich in diesem Glauben gelebt und gehandelt haben.

    Auch wenn Bühne und Kostüme (Katrin Brack und Klaus Bruns) in dieser Schwarz-Weiß-Zeichnung archaisch wirken, trägt dieser Richard III. ziemlich viel Gegenwart in sich. Zu einem Theatererlebnis wird das, weil dafür perfekte Inszenierungsideen gefunden werden, die über das Stück hinaus Wirkung entfalten, etwa wenn ein Mord Richards gleichzeitig doppelt dargestellt wird, einmal aus seiner Sicht, einmal aus Sicht des Opfers. Gewalt verbindet nicht, sie trennt die Menschen maximal voneinander.

    Lina Beckmann lotet Abgrund um Abgrund aus

    Dass Richard III. nicht von einem Mann, sondern einer Frau gespielt wird, wirkt von der ersten Minute an selbstverständlich. Lina Beckmann lotet Abgrund um Abgrund aus, verführt nicht nur die Figuren auf der Bühne, sondern immer wieder auch das Publikum dazu, dem Töten weiter zuzusehen. Ihr Richard III. nutzt alles als Waffe, auch Beckmanns eigenen S-Fehler beim Aussprechen. Solange sich das Publikum gut unterhalten fühlt, kann er weiter munter sein Mordschauspiel aufführen. Das wunderbare Ensemble des Deutschen Schauspielhauses verschafft aber auch allen anderen Figuren des Abends die nötige Tiefe und damit auch Fall- beziehungsweise Mordhöhe, bis hin zum Schluss, wenn Richmond aus Frankreich kommend Richard III. stürzt, sich krönen lässt und dabei die gleichen dämonisch-deformierten Züge wie sein Vorgänger aufscheinen lässt. Genauso funktioniert die Logik der Gewalt. Sie ist das denkbar schlechteste Mittel für Frieden und Glück.

    Schon gleich nach den letzten Sätzen setzt ein Sturm des Applauses ein, völlig zu Recht bei so viel gebotener Schauspielkunst. Allerdings hätte dieser Abend zuvor auch Stille verdient gehabt - als ein Zeichen des Publikums dafür, dass jenseits allen Spektakels die Botschaft angekommen ist.

    Weitere Termine bis zum 5. August.

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