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Festival: "Rock am Ring" und "Rock im Park": Ausnahmezustand für alle

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"Rock am Ring" und "Rock im Park": Ausnahmezustand für alle

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    Open-Air-Bühne, die Massen – und irgendwo ein blaues Dixie-Klo: Das Konzept erzielt wachsende Umsätze von hunderten Millionen hierzulande. Hier nachgestellt im Miniatur-Wunderland in Hamburg, ab heute wieder beim größten deutschen Festival-Event zu erleben: „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ mit 170000 Zuschauern.
    Open-Air-Bühne, die Massen – und irgendwo ein blaues Dixie-Klo: Das Konzept erzielt wachsende Umsätze von hunderten Millionen hierzulande. Hier nachgestellt im Miniatur-Wunderland in Hamburg, ab heute wieder beim größten deutschen Festival-Event zu erleben: „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ mit 170000 Zuschauern. Foto: Imago

    Es ist doch wie all die Jahre: erstes Wochenende im Juni, über 90000 Menschen bei „Rock am Ring“ in Rheinland-Pfalz, dem deutschen Festival-Riesen, um die 80000 beim Zwilling „Rock im Park“ in Nürnberg, Bayerns größtem Spektakel dieser Art.

    Zum Beginn am Freitag sind ganze Zeltstädte entstanden, es locken an vorderster Front langer Bandlisten Weltmarken des Rock, diesmal Black Sabbath auf Abschiedstour und die Rückkehrer Red Hot Chili Peppers – und die Massen feiern mit Dosenbier, Chemie-Klos und womöglich Schlammrutschen den Ausnahmezustand.

    Der ein sehr kontrollierter ist: Überwachungskameras, elektronisches Leitsystem, paragrafenreiche Festivalordnung … Neu ist höchstens, dass bei „Rock am Ring“ erstmals eine Supermarkt-Kette eine Filiale auf dem Gelände eröffnet. Ein riesiges Unterhaltungsunternehmen eben.

    Musik-Festivals in Deutschland boomen

    So besehen ist Deutschland im Sommer immer mehr ein einziges Unterhaltungsunternehmen. An die 200 Rock- und Pop-Festivals finden nun pro Jahr statt. Parallel zum Zwillingsriesen dieses Wochenende etwa auf dem Allgäu Airport in MemmingerbergIkarus“, mit elektronischer Musik, Szene-Helden wie Sven Väth und im zweiten Jahr bereits erhofften 35000 Besuchern.

    Letzte Woche fand im Olympiapark MünchenRockavaria“ statt – knapp 40000 Besucher; und in AugsburgModular“ – 30000 Zuschauer. Füssen bietet dieses Jahr den Neuling „Rock The King“ mit Frei.Wild, der BR-Jugendsender Puls erstmals ein Open Air auf Schloss Kaltenberg.

    Städtchen wie Schwabmünchen bei Augsburg etablieren sich mit „Singoldsand“ schnell – andere wie Aichach geben ihr „Stereowald“ nach nur zwei Jahren wieder auf, weil es ein zu großer Erfolg war, ehrenamtlich nicht mehr zu bewältigen ist …

    Etwa 400 Millionen Umsatz werden so pro Jahr in Deutschland gemacht, nur durch verkaufte Karten. Vier der 16 weltgrößten Events finden hier statt, weit hinter Spitzenreiter „Glastonbury“ in England mit 175000 Zuschauern, aber mit echten Kultmarken wie „Wacken“.

    Ins Dörfchen in Schleswig-Holstein fallen inzwischen Jahr für Jahr 85000 Metal-Fans ein, alle Karten für 2016 innerhalb von nur 23 Stunden Vorverkauf vergriffen. 180 Euro das Stück. Ein längst normaler Preis bei den Riesen – wie dem auch dieses Jahr wieder ausverkauften „Hurricane“ im niedersächsischen Scheeßel mit 73000 Karten und dessen ebenfalls ausverkauften Zwilling „Southside“ im württembergischen Neuhausen ob Eck mit über 60000.

    Das ist das Erfolgsrezept für ein gutes Festival

    Dass die Klassiker so ziehen, liegt an zweierlei: Sie haben es durch ein bunteres Musikprogramm geschafft, weiterhin im Stammpublikum des Ausnahmezustands zu punkten, der Jugend. Zusätzlich aber ist ihnen neue Klientel zugewachsen durch gealterte Fans von früher, die aber solche Jugendrituale beibehalten haben – nur dabei eben nun im Hotel wohnen.

    Für sie, die es sich ohnehin durchschnittlich eher leisten können, macht es also auch keinen Unterschied, wenn „Rockavaria“ in München gar keine Zeltplätze auf dem Festivalgelände Olympiapark anbietet.

    Doch auch das ist nur eine Station des Wandels. Während nämlich am unteren Ende noch Festivals „Umsonst und draußen“ existieren und während das vom Stadtjugendring verantwortete „Modular“ in Augsburg für drei Tage gerade mal 30 Euro kostet, damit schwellenlos wirkt und auch Familien erreicht, entwickelt sich am anderen Ende das Segment „Ausnahmezustand de luxe“.

    Das Vorzeigeprojekt heißt „A Summer’s Tale“, ein Sommermärchen also, in Luhmühlen bei Lüneburg. Hier geht es nicht einfach um Rock, sondern um „Music and nature, art and leisure“. Es spielen Stars, aber abseitigere wie in diesem Jahr Sigur Rós aus Island; dazu gibt’s Lesungen wie vom Deutschen-Buchpreis-Träger Frank Witzel, Kino mit Schauspielergästen, Kunstausstellungen, Workshops von Käserei über Capoeira bis Kalligrafie, „Outdoor-Aktivitäten“ wie Kanufahren und Kräuterwanderungen …

    Und vor allem für die ganze Familie etwas, für alle Generationen. Die nur 7000 möglichen Gäste zahlen für vier Tage 219 Euro pro Person, eine Art Grundpreis. Denn als speziellen Service gibt’s die Initiative „Mein Zelt steht schon“ mit bezugsfertigen Unterkünften in unterschiedlichen Preisklassen.

    Bis hin zur sogenannten „Eccolodge“, gemütlich und ökologisch, für bis zu vier Personen, Paketpreis 790 Euro. Für dieses Jahr im August übrigens bereits ausgebucht.

    Das neue Motto: Festival für alle

    Das neue Motto in Zeiten einer im Alltag doch Sorgen bereitenden Gegenwart also heißt: Festival für alle und für jeden nach seinem Gusto und Geldbeutel.

    Altersgrenzen der Zielgruppe gibt es nicht mehr und kulturelle Grenzen zwischen den Altersgruppen ohnehin immer weniger. Deutschland macht Sorgenpause im gut kontrollierten Ausnahmezustand. Gibt es Grenzen?

    Höchstens im Angebot an Stars fürs oberste Segment. Was schon mal dazu führt, dass auch der Marktführer und „Rock am Ring“-Vater Marek Lieberberg ein neues Festival wie „Rock im Pott“ nach nur zwei Jahren wieder ausgesetzt hat, weil kein passender Headliner mehr zu finden war.

    Und dieses Ringen um Zugpferde in einer wachsenden Branche führt natürlich dazu, dass die Preise steigen, auch für die Kleineren. So kostet eine aufstrebende Newcomer-Band, eben noch für gut unter 10000 Euro zu buchen, nach dem Chartdurchbruch plötzlich schon mal das Zehnfache.

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