Dieses Buch steckt voller Erlebnisse. Warum also nicht mit einem beginnen? Berlin, Sommerhitze, hippes Café. Sophie Passmann schaut dem Modeblogger Carl Jakob Haupt bei der Fruchtsaftschorle zu. Sie war pünktlich, er kam zu spät. Eineinhalb Stunden. Sagt er: Gestern Abend sei es etwas länger geworden, wie das halt manchmal so laufe. Aber egal, jetzt sei er ja da.
Also, wie sehe er, Haupt, das mit dem Feminismus? Und er erklärt:;„Ich glaube natürlich schon, dass diese ganze Debatte, die wir führen, aus einer gewissen Langeweile heraus kommt, weil aktuell unser aller Leben total unspannend ist und genau gar nichts passiert.“
Das war so einer der Momente, in denen Sophie Passmann tief Luft holen musste. Und sie, 25, über 77.000 Follower auf Twitter, Moderatorin und Autorin, notiert: „Feminismus als Luxusproblem der Postmoderne, das ist endlich mal was Neues. Es wird nie langweilig mit alten weißen Männern.“ Nun hat sie, die Feministin, ihr zweites Buch publiziert: „Alte weiße Männer – Ein Schlichtungsversuch“.
Gleichberechtigung? "Das ist ja alles ganz nett"
15 Männern saß sie gegenüber, Politikern und Medienmachern, auf der Terrasse am Wannsee, der Picknickdecke im Englischen Garten und auf der Wiese am Spreeufer. Hat geredet und noch mehr reden lassen. Und immer wieder die gleiche Frage gestellt: „Sind Sie ein alter weißer Mann?“ Also einer dieser ewig Gestrigen, die sich immer überlegen fühlen und für ihre Privilegien blind sind, die Diskriminierung nicht kennen und Wandel als Bedrohung sehen.
Junge, aufmüpfige Frauen, die später in Aufsichtsräten, Chefetagen oder auf Ministerposten sitzen wollen? Das sei ja alles ganz nett, sagen alte weiße Männer, Gleichberechtigung, jaja. Aber früher habe das doch auch gut geklappt, warum sollte sich denn jetzt alles ändern? Und überhaupt, wer eine mächtige Position innehat, brauche halt auch Erfahrung, das kann nicht jeder. Es werde schon seinen Grund haben, wenn einer da steht, wo er eben steht. Aber, liebe Frauen, das mit der Emanzipation im Kleinen, macht ihr schon ganz toll.
„Der alte weiße Mann ist eher ein Typus Mensch“, meint Autor, Blogger und Journalist Sascha Lobo. Was ihn ausmache? „Dass sich alles um ihn herum dreht.“
Was hätte Horst Seehofer gesagt, wenn ein Mann Kanzler gewesen wäre?
Jetzt aber kleiner Ausflug in die Politik. Ein großer, weißer Mann, kurz vor seinem 69. Geburtstag, liegt im Klinsch mit Angela Merkel. Der Asylstreit zwischen CDU und CSU spitzt sich immer weiter zu, da droht der Bundesinnenminister mit seinem Rücktritt. „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“
Hätte Horst Seehofer das auch gesagt, wenn in diesem Moment ein Mann Kanzler gewesen wäre? „Ich glaube, dass Horst Seehofer ganz erhebliche Probleme damit hat, von einer Frau dominiert und dirigiert zu werden“, findet – nein, nicht Sophie Passmann – sondern Ex-Bild-Chef Kai Diekmann. Schade übrigens, dass Passmann nicht nach Ingolstadt gefahren ist, um Horst Seehofer für ihr Buch zu interviewen. Dafür aber hat sie eben mit Sascha Lobo gesprochen, und der sagt: „Der klassische alte weiße Mann hat große gesellschaftliche Macht, die er nicht nur wahrnimmt, sondern auch für selbstverständlich hält“.
Männer, die ihre Macht missbrauchen, insbesondere gegenüber Frauen – die gibt es nach wie vor, und zwar etliche, das zeigte nicht zuletzt die #MeToo-Debatte. In ihr ging es am Ende nicht nur um Sex, sondern auch um Macht.
Weiter im Gespräch: Lobo, „kluger Mann“ – findet Sophie Passmann. Weiß, dass sein Erfolg nicht allein mit seinem Können zusammenhängt, sondern schlicht auch mit seinem „Dasein als Mann“. Und doch fürchtet er sich nicht davor, dass ihm eine Frau etwas wegnehmen könnte. Er ist einer von den Guten, ein männlicher Feminist.
Kai Diekmann und Ulf Poschardt zerlegen sich selbst
Von ihnen, den Guten, gibt es einige in Passmanns Buch. Claus von Wagner ist Paradebeispiel. Ja, früher hatte der Kabarettist auch sexistische Witze gemacht, heute scheint ihm das immerhin ziemlich unangenehm zu sein. Er habe eben jetzt eine Tochter und darüber nachgedacht, wie die Welt ihr später begegnen wird. Ach ja, dieses Argument, höre sie oft, kommentiert Passmann. „Irgendwann ist eine Frau in mein Leben getreten, die mir wichtig ist, dadurch stellte ich fest, dass Frauen auch Menschen sind. Das war vielleicht aufregend!“
Sie kann das unglaublich gut, solche Muster, Strukturen und Narrative aufdecken – herrlich ironisch oder auch zynisch. Manchmal lässt sie die Männer sich auch einfach selbst zerlegen, etwa Diekmann oder den Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt. Passmann stellt zwar keine bahnbrechende Thesen auf und sagt vieles, was andere schon vor ihr sagten. Aber sie hört zu, ohne wild um sich zu schlagen, zweifelt sogar an sich selbst. Allein das wirkt heute schon fast außergewöhnlich.
Wo sind die Frauen, die befragt werden?
Nur, und das ist das größte Problem ihres Buches: Sie macht es sich mit den Gesprächspartnern zu einfach. Dass ein Robert Habeck oder ein Kevin Kühnert für Gleichberechtigung sind und wenig von der Alte-weiße-Männer-Ideologie halten, ist erwartbar – wenn nicht klar. Und auch sonst kommt nicht wirklich viel Gegenwind.
Wer schlichten will, muss sich aber an Extreme trauen. Wo sind sie, die klassischen alten weißen Männer? Und vor allem: Wo sind die Frauen? Frauen, die vielleicht auch in eine andere feministische Richtung gehen als die Autorin, und nicht aus wohlhabendem Elternhaus stammen, Mitte 20 und weiß sind. Mit ihnen allen müsste Passmann sprechen, um zu schaffen, was sie selbst von den Männern erwartet: Sich richtig verunsichern zu lassen.
"Sophie Passmann: Alte weiße Männer, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, zwölf Euro