Es erscheint doppelt fies – und ist letztlich bloß ein bisschen schade. Denn einerseits hat sich hier einfach eine 35-jährige Frau einen Traum erfüllt, den sie hegte, seit sie als Kind schon eigene Geschichten malte und schrieb: Sie hat, jetzt, da sie selbst Mutter ist, einen Fantasy-Roman über die dramatisch magischen Abenteuer eines mutigen Mädchens geschrieben.
Wegen ihres Familiendramas bekommt das Buch von Dylan Farrow Aufmerksamkeit
Aber Beachtung findet das Buch vor allem, weil ihr Name Dylan Farrow ist. Weil sie also diejenige ist, die einst vom US-Promi-Ehepaar Woody Allen und Mia Farrow adoptiert worden ist – und die seit Ewigkeiten immer wieder hochkochend im Zentrum der erbitterten öffentlichen Auseinandersetzung jener längst Geschiedenen steht, darüber, ob der legendäre Filmemacher sie, als sie gerade mal sieben Jahre alt war, missbraucht hat oder nicht. Und so lautet die Leitfrage nun, da Dylan Farrow selbst ja aufseiten der Anklage steht und sich auch sonst für Opfer von sexuellen Übergriffen engagiert, unweigerlich: Geht’s im Buch zumindest versteckt nicht auch darum? Ist das nicht fies?
Andererseits wiederum gibt es ja Heerscharen an Autorinnen und Autoren, die sich gerade auch im unentwegt weiterboomenden Genre der Fantasy diesen Kindheitstraum vom eigenen Roman zu erfüllen versuchen. Aber weil Dylan Farrow durch ihre skandalträchtige Promigeschichte eben schon berühmt ist, hat sie nicht nur problemlos einen Verlag gefunden, sondern erscheint mit ihrem Debüt gleich international und erhält mächtig mediale Aufmerksamkeit. Ist doch auch irgendwie fies, oder?
Dylan Farrows Buch ist eine Mischung aus Harry Potter und Herr der Ringe
Beides aber entkräftet „Hush“ eigentlich sehr hübsch. So heißt das an diesem Mittwoch auch auf Deutsch (Loewe, 416 S., 19,95 ¤, ab 14 J,) erscheinende Buch (zu übersetzen etwa mit „Pssst!“ oder „Schweig!“), der erste von zwei Teilen. Und es ist abseits all dessen einfach ganz gut. Farrow erzählt von Shae, die unter ärmlichsten Umständen in mittelalterlichem Szenario aufwächst, auf dramatische Weise zum Waisenkind wird und sich auf die Suche begibt – nach sich selbst und nach der Wahrheit.
Die hütet mit magischen Kräften ein „Hohes Haus“, dem ein geheimnisvoller Herrscher vorsteht, dem wiederum eine Schar Barden dient. Klassische Heldenreise (siehe auch „Herr der Ringe“), ein Ringen der Zauberlehrlinge (siehe „Harry Potter“), aber alles mit relativ originell überbordender Fantasie entwickelt und einer Prise Feminismus gewürzt. Die ich-erzählende Heldin Shae ringt bis hinein in die obligatorische Liebesgeschichte auch gegen Rollenklischees.
Das ist, oder besser wäre jedenfalls alles vielschichtiger und freier, als dass es als symbolische Verarbeitung der eigenen Geschichte laienpsychologisiert werden könnte. Bloß schade, dass Farrow, die zuvor bei CNN und als Grafikdesignerin arbeitete, dann ein Nachwort anhängt. Das setzt an, dass „meine Familie von einem mächtigen Menschen bedrängt wurde, der entschlossen war, unser Leben und unsere Glaubwürdigkeit zu zerstören …“. Das muss Woody sein! Der böse Herrscher also – hach, ja …
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