Einschüchtern, drohen, erpressen, manipulieren: Amy Chuas Erfahrungsbericht "Die Mutter des Erfolgs" ist in Deutschland ein voller Erfolg. Ist erzieherischer Drill erfolgreicher als "Kuschelpädagogik"?
Seit wenigen Tagen erst ist Amy Chuas Erfahrungsbericht "Die Mutter des Erfolgs" auch in Deutschland zu erhalten, und schon beherrscht er Zeitungs-Feuilletons, Radio- und Fernsehsendungen, wurde in nur fünf Tagen 40 000 Mal verkauft. Das Buch scheint hier ebenso einzuschlagen wie in Amerika (wir berichteten).
Was aber macht den Erfolg eines Buches aus, das sich im Untertitel als Ratgeber dafür ausgibt, wie man seinen "Kindern das Siegen" beibringt, das im amerikanischen Original den martialischen Titel "Schlachtgesang der Tigermutter" trägt, das nur so strotzt von Elementen der "Schwarzen Pädagogik"? Einschüchtern, drohen, erpressen, manipulieren, niederbrüllen, demütigen - das sind die Erziehungsmittel, die "Tigermutter" Amy Chua bei ihren beiden Töchtern Sophia und Lulu einsetzt, um aus den Kindern musikalische Wunderkinder zu machen. Die Jura-Professorin chinesischer Abstammung will beweisen, dass das chinesische System erzieherischen Drills westlicher "Kuschelpädagogik" weit überlegen ist.
Die Kinder dürfen nicht fernsehen, nicht bei Freundinnen übernachten oder im Schultheater mitspielen. An Schulnoten wird nur eine Eins akzeptiert, und neben den Hausaufgaben müssen die Mädchen noch sechs Stunden täglich Klavier und Geige üben. Wenn sie nicht spuren, fährt die Mutter all ihre Geschütze auf, droht mit Verschenken des Puppenhauses oder mit mütterlichem Liebesentzug, erlaubt weder Essen noch Trinken, lockt mit Bestechungen, macht moralischen Druck oder wütende Szenen. Man könnte dieses Buch eigentlich gar nicht lesen, wenn Amy Chua es nicht von der Warte des Gescheitertseins aus geschrieben hätte.
Von Anfang an spürt man zwischen den Zeilen, dass dieses Drillprogramm nicht klappen kann, und tatsächlich hat sich die jüngere Tochter erfolgreich gegen die Mutter aufgelehnt. Man könnte sich nach der - phasenweise wirklich aufregenden, weil empörenden - Lektüre einfach sagen, dass da eine extrem zwanghafte Frau ihre Familie beherrschen will (nach den Töchtern will Amy Chua auch noch den Hund auf Höchstleistung programmieren), könnte sich damit trösten, dass sie immerhin in der Lage ist, aus dem Scheitern ein wenig zu lernen, also ein bisschen loszulassen.
Das Kind ist Subjekt, nicht Objekt, sagen die Humanisten
Die Frage bleibt aber, wieso Amy Chuas Buch so viel Interesse wecken kann. Denn jene pädagogischen Grausamkeiten, die sie lobt, sind in Europa schon seit der Aufklärung in Misskredit geraten: Dass das reine Pauken oder Auswendiglernen keinen gebildeten Menschen hervorbringt, lehrten etwa Comenius, Rousseau, Humboldt, die die aktive Aneignung der Welt, das Wachsenlassen der kindlichen Talente predigten.
Zwar wurde danach in staatlichen oder kirchlichen Schulen noch lange genug gepaukt und gedrillt, wurden Schüler geschlagen oder erniedrigt. Doch die Idee vom Kind, das das Subjekt seines eigenen Bildungsprozesses ist und nicht das Objekt der ehrgeizigen Mutter, des strengen Lehrers, die war nicht mehr auszulöschen. Seit den Untersuchungen der Soziologin Katharina Rutschky und der Psychoanalytikerin Alice Miller nach 1970 glaubte man die Schwarze Pädagogik eigentlich umfassend geächtet.
Neigt man hierzulande zu Zucht und Ordnung?
Und nun also Amy Chua, die mit ihrem Bericht auch in Deutschland eine Erziehungsdebatte auslöst. Sie rege zur Überlegung an, "wie viel Strenge man seinen Kindern zumuten will", heißt es in der ZDF-Sendung aspekte. "Machen wir aus unseren Kindern Weichlinge?", fragt im gleichen Sender Claus Kleber. Ob "größtmögliche Unbeschwertheit und Selbstentfaltung der Kinder die Hauptaufgabe der Erziehung" sei, stellt Focus in Frage. Auch das evangelische Magazin Chrismon titelt: "Eltern, seid doch nicht so nett!"
Zeigt sich hier eine fatale deutsche Neigung, Freiheitsideen vorschnell zugunsten von Zucht und Ordnung aufzugeben? Man erinnert sich, wie bereitwillig viele Eltern den Rat von Christa Meves aufnahmen, in der Erziehung strikte Grenzen zu ziehen und damit die angeblich zu lasche Erziehung der 68er zu korrigieren. Und Bernhard Bueb, den Ex-Leiter des Elite-Internats Salem, verstanden mit seinem "Lob der Disziplin" nicht wenige als Verfechter der alten Paukschule.
Vielleicht ist es aber auch so, dass deutsche Eltern, speziell jene der Mittelschicht, zutiefst verunsichert sind und sich deshalb nach Patentrezepten für die Erziehung sehnen. Sie sehen ihre Familien vor einer demografisch und ökonomisch ungewissen Zukunft, in der sie den Abstieg der Kinder aus der eigenen Schicht möglicherweise nicht verhindern können. Da hört man gern auf Versprechen, die sagen: Wenn eure Kinder nur wieder richtig pauken, wenn ihr nur strenger seid, dann klappt es schon mit der Besitzstandswahrung.
Dass es so einfach wohl nicht sein wird, mögen andere Erfahrungen illustrieren. Etwa diejenigen von Wirtschaftsbossen, die dringend nach kreativen Mitarbeitern suchen und die wissen: mit Pauken erreicht man weder Kreativität noch Flexibilität des Denkens - ganz im Gegenteil. Oder die Erfahrung von Grund- und Hauptschullehrern, die mit vernachlässigten Kindern zu tun haben, von denen nie eines einen Schulabschluss hinkriegen wird. Diese Lehrer wissen, dass es nicht darum gehen kann, Eltern zum Drillen ihrer Kinder zu überreden, wohl aber darum, von ihnen Interesse an der Entwicklung ihrer Kinder und eine Disziplin der Verantwortlichkeit einzufordern.
Dem Glück des Gelingens geht Anstrengung voraus
Es ist übrigens der wegen seines Lobs der Disziplin auch gescholtene Bueb, der in die Debatte über das Buch aus Amerika einen besonnenen Ton bringt. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, so wie Amy Chua dürfe man auf keinen Fall mit Kindern umgehen. Aber Kindern etwas abzuverlangen, ihnen das "Glück des Gelingens" zu ermöglichen, das sei durchaus richtig. Dagegen kann man gewiss nichts sagen. Angela Bachmair
Amy Chua: Die Mutter des Erfolgs, Nagel&Kimche, 254 Seiten, 19,90 ¤