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Ernst Toller: „Ich weiss im Moment nicht, was werden soll“

Ernst Toller

„Ich weiss im Moment nicht, was werden soll“

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    „Ich weiss im Moment nicht, was werden soll“
    „Ich weiss im Moment nicht, was werden soll“

    Durch den 100. Jahrestag der Revolution in Bayern ist in diesem Herbst auch der Dichter Ernst Toller wieder ins Licht gerückt. War der doch einer jener intellektuellen „Träumer“ (Volker Weidermann), die in

    Toller, vor 125 Jahren am 1. Dezember 1893 im Bezirk Posen geboren, war insbesondere durch seine Kriegserfahrung, die 1916 bei ihm einen Zusammenbruch verursachte, zur Überzeugung gelangt, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse sich von Grund auf wandeln mussten. Er trat der USPD bei und beteiligte sich 1918 an der Novemberrevolution in Bayern. Nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner stand Toller gemeinsam mit Gustav Landauer und Erich Mühsam im April 1919 an der Spitze der Münchner Räterepublik. Wenige Wochen später jedoch zerschossen Freikorps und Regierungstruppen alle revolutionären Träume, und Toller wurde von einem Standgericht zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er zum weit überwiegenden Teil im Gefängnis in Niederschönenfeld bei Donauwörth absitzen musste. Wer aktuell Tollers Mitwirkung während des Umsturzes nachvollziehen will, hat dazu Gelegenheit in der anschaulich aufbereiteten Ausstellung „Dichtung ist Revolution“, die die Münchner Bibliothek Monacensia neben Toller auch seinen schriftstellernden Weggefährten Eisner, Landauer und Mühsam gewidmet hat (bis 30. Juni 2019).

    Toller war in den 1920er Jahren der vielleicht bekannteste Dramatiker in Deutschland. Im Herbst 1919, da saß er schon hinter Gittern, wurde „Die Wandlung“ uraufgeführt, ein Stück mit stark autobiografischen Zügen. Während der Haft entstanden weitere Dramen wie das expressionistisch flammende „Masse Mensch“ oder auch „Hinkemann“, ein Skandalstück über einen impotent gewordenen Kriegsheimkehrer. Kein Wunder, dass die Nazis Toller verfemten und verbrannten. Der emigrierte noch vor der Machtübernahme, zunächst in die Schweiz, später in die Vereinigten Staaten.

    Nach dem Krieg gerieten Tollers Werke in Vergessenheit – wer den Geist der Weimarer Republik auf der Theaterbühne suchte, hielt sich lieber an die Stücke Brechts. Umso verdienstvoller war es daher, dass vor drei Jahren im Göttinger Wallstein Verlag „Sämtliche Werke“ des Dichters in sechs Bänden neu erschienen sind, noch dazu als „Kritische Ausgabe“ mit umfangreichem Apparat. Die Edition war maßgeblich mit ein Verdienst der von Dieter Distl geführten Ernst-Toller-Gesellschaft in Neuburg an der Donau, deren Ziel seit jeher das Erstellen einer solchen Publikation war.

    Inzwischen gibt es das Sahnehäubchen zu den „Sämtlichen Werken“. Denn nun sind auch Tollers Briefe der Jahre zwischen 1915 und 1939 erschienen. Auch diese zwei Bände, wiederum von Wallstein verlegt, sind mustergültig ediert und faktenreich kommentiert – und dazu noch von einer Hochwertigkeit der Ausstattung, wie sie auf dem Buchmarkt zunehmend seltener anzutreffen ist. Zu dem Editionsprojekt gehört auch eine frei zugängliche digitale Ausgabe der Briefe (www.tolleredition.de).

    „Ich weiss im Moment nicht, was in den nächsten Monaten werden soll“, schrieb Toller am 1. Mai 1939 aus New York. Heimisch geworden ist er in Amerika nie, „vielleicht“, sinnierte er, „fahre ich nach England zurück“. Es ist einer seiner letzten Briefe. Drei Wochen später erhängte er sich.

    Die Ernst-Toller-Gesellschaft verleiht in diesem Jahr zum zehnten Mal ihren Preis im Namen des Dichters. An diesem Samstag wird in Neuburg die mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung „für herausragende Leistungen im Grenzbereich von Literatur und Politik“ dem Liedermacher und Schriftsteller Wolf Biermann überreicht.

    " Ernst Toller: Briefe 1915–1939. Kritische Ausgabe. Wallstein, zwei Bände, 1764 S., 69 ¤

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