Es ist ein unspektakuläres Gemälde, das Interieur einer holzvertäfelten, spärlich eingerichteten Bauernstube, ganz in Brauntönen gehalten, wenn auch fein abgestuft in Licht- und Farbwerten. Auch der Maler ist kein bekannter Name, Ernst Immanuel Müller, ein Münchner, der zahlreiche solcher Darstellungen aus dem bäuerlichen Leben schuf. Und doch, als Miriam Friedmann dieses Bild zum ersten Mal sah, war sie tief bewegt, „absolut sprachlos“, wie sie sagt.
Miriam Friedmann ist eine der Enkelinnen des früheren Besitzers Ludwig Friedmann, der das Bild 1919 in einer Münchner Galerie erstanden hatte. Weiß man um die Geschichte der ursprünglich in Augsburg beheimateten Familie Friedmann, versteht man die Ergriffenheit der Enkelin. Die Friedmanns sind jüdischen Glaubens, was während des nationalsozialistischen Terrors zum Tod von Ludwig und seiner Frau Selma führte und dazu, dass ihr zuletzt noch verbliebener Besitz „verwertet“ wurde – wodurch eben jenes Ölbild der Bauernstube in die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gelangte, die jetzt, 75 Jahre später, seine Geschichte zurückverfolgt haben. Am Mittwoch wurde das Bild von den Staatsgemäldesammlungen im Augsburger Schaezlerpalais an Miriam Friedmann und damit an die Erbengemeinschaft zurückgegeben.
Die Recherche erfolgte auf eigene Initiative
Für Bernhard Maaz, den Generaldirektor der Staatsgemäldesammlungen, stellt diese Restitution – es ist die 14. des Hauses seit dem Beitritt zur Washingtoner Erklärung 1998 – einen glücklichen Fall dar. Zum einen erfolgt sie, wie beide Seiten versichern, im Einvernehmen – anderswo, wie bei mehreren bedeutsamen Gemälden aus dem ehemaligen Besitz des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim, sind Klagen anhängig. Zudem erfolgte die Rückgabe der „Bauernstube“ auf sogenannte „proaktive“ Recherche hin, was bedeutet, dass die Staatsgemäldesammlungen sich aus eigenem Antrieb um die Erkundung der Herkunft des Bildes bemühten. Die Restitution nach Augsburg ist für das Münchner Haus nicht zuletzt ein Beleg dafür, dass die in den letzten beiden Jahrzehnten, eben seit der selbstverpflichtenden Washingtoner Erklärung, verstärkten und verfeinerten Mittel der Provenienzrecherche zu greifen vermögen.
Und so stieß Anja Zechel, bei den Staatsgemäldesammlungen zuständig für die Erforschung der „Erwerbungen zwischen 1933-45“, im vergangenen Jahr auf das kleine, nur einen guten halben Meter hohe Öl. Wie in so vielen vergleichbaren Fällen war es auch hier die Rückseite, die tiefer gehende Recherchen nahelegte, fand sich doch oben in der rechten Ecke der Aufkleber „aus jüdischem Besitz“ – eben Ludwig Friedmann und seine Familie.
Die Friedmanns betrieben seit 1872 einen gut gehenden Wäschegroßhandel im Augsburger Zentrum. Mit der Machtübernahme der Nazis begannen die Repressalien, die sich jedoch erst 1938 mit voller Wucht entfalteten. Die Firma und das Privathaus mussten zwangsverkauft werden, ebenfalls unter Zwang wurde die Familie zweimal umgesiedelt. Ludwig und seine Frau Selma konnten ihre vier Kinder ins Ausland bringen, sie selbst blieben jedoch in Augsburg, wo Ludwig Friedmann auch 2. Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde war. In dem ihnen zugewiesenen Zimmer in einem „Judenhaus“ in der Stadt erreichte das Ehepaar 1943 der Deportationsbefehl. Einen Tag vor dem angekündigten Datum nahmen sich Ludwig und Selma Friedmann das Leben.
Das Bild mit der Bauernstube begleitete sie wohl bis zuletzt. Darauf lässt eine Liste der verbliebenen Habe der Friedmanns schließen, die das Augsburger Finanzamt erstellte – und zwar, kurioser Fall, obwohl das Gemälde hierauf gerade nicht verzeichnet ist. Doch Anja Zechel stutzte bei einer auf dieser Liste gestrichenen Position mitsamt zugeordneter Nummer – dieselbe Nummer, die sich auch auf der Rückseite des Gemäldes wiederfindet. Nach und nach setzte sich für die Rechercheurin das Puzzle zusammen. Alte Akten der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen wiesen schließlich aus, dass die „Bauernstube“ für 128 Reichsmark aus Augsburg angekauft worden war. Nun galt es, die rechtmäßigen Erben für dieses zweifelsfrei verfolgungsbedingt „verwertete“ Bild ausfindig zu machen.
Das Bild gehört zum Wenigen, was von den Vorfahren blieb
Miriam Friedmann, Enkelin von Ludwig und Selma, in den USA geboren und seit 2001 in Augsburg lebend, weist bei der Rückgabe des Gemäldes im Augsburger Schaezlerpalais auf den Umstand hin, dass es seltsamerweise die perfide bürokratische Genauigkeit der Nazis, die Gründlichkeit beim Führen von Listen war, die entscheidend dazu verhalf, das Bild wieder in ihre Familie zurückfinden zu lassen. Außer zweier Suppenschalen, welche die integre Haushälterin ihrer Großeltern aufbewahrt habe, sei das Gemälde das Einzige, was den Nachkommen von ihren Vorfahren geblieben sei. Und so soll das Bild denn auch einmal an die nächste Generation der Friedmanns weitergegeben werden.
Auch Generaldirektor Maaz verweist auf den hohen Symbolwert des Gemäldes. Fragen nach dem heutigen Marktwert des Gemäldes lehnt er kategorisch ab, weist jedoch darauf hin, dass ein Caspar David Friedrich zur Zeit des Verkaufs der „Bauernstube“ bei 2500 Reichsmark gelegen habe. Viel wichtiger als der eventuelle Kaufwert ist ihm, dass es bei der Restitution des Bildes um einen „menschlichen Akt“ gegangen sei.