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EM 2012: Sammelbilder: Fußball-Wundertüten aus der Schweiz

EM 2012

Sammelbilder: Fußball-Wundertüten aus der Schweiz

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    Jede Mannschaft wird von einem anderen Künstler designt, das Projekt ist ehrenamtlich und nicht kommerziell angelegt.
    Jede Mannschaft wird von einem anderen Künstler designt, das Projekt ist ehrenamtlich und nicht kommerziell angelegt.

    Über der griechischen Nationalmannschaft kreist der Pleitegeier; die Polen sind allesamt als Stadt- oder Länderkarten dargestellt; die Schweizer Nationalmannschaft steht unter Wasser – schließlich hatte sie sich nicht für die Fußball-Europameisterschaft qualifiziert. Wer zum ersten Mal ein Päckchen mit Stickern des Schweizer „Tschutti Heftli“ öffnet, könnte glauben, der Sammelbilder-Großlieferant Panini habe sich einen Scherz erlaubt. Doch in Wahrheit stellen die bunten Aufkleber exakt den Gegenentwurf zum Kommerz des Marktführers dar.

    Das Prinzip der Tschutti-Bilder – der Name leitet sich vom schwyzerdütschen Wort „tschutten“ für „kicken“ ab – sieht vor, dass jede Nationalmannschaft von einem anderen Illustrator/Gestalter/Grafiker porträtiert wird. Die Bilder sind von deutschen und Schweizer angewandten Künstlern zum Selbstkostenpreis entworfen worden. Neben den 16 Mannschaften, die an der EM teilnehmen, gibt es auch eine Kollektion von Spielern, die sich nicht mit ihren Teams qualifizieren konnten. Geld soll durch „Tschutti“ nicht verdient werden: Mit dem Erlös des Bilderverkaufes werden fußballkulturelle Projekte sowie die Hilfsorganisation „Viva con Agua“ unterstützt, die sich um die Trinkwasserversorgung in Burkina Faso bemüht. Von dem restlichen Erlös des Heftchens wird der Druck der Auflage finanziert. Zum Vergleich: Panini hat mit dem Sammelalbum zur WM 2006, dem bisher erfolgreichsten der Firmengeschichte, einen Umsatz von 100 Millionen Euro erzielt – alleine in Deutschland.

    Die „Tschutti Heftli“ waren dagegen von ihrer Geburt 2008 an als Gegenbewegung zum Kommerz zu verstehen. Dass es sie überhaupt gibt, liegt an dem Organisationskomitee der Europameisterschaft 2008. Es strich vor Turnierbeginn kurzerhand das kulturelle Rahmenprogramm in der Schweiz. Für Silvan Glanzmann aus Luzern, den Mitgründer der „Tschutti Heftli“, war klar: „Wir wollten ein Zeichen dagegen setzen.“

    Damals ließ Glanzmann in Eigenregie die Sammelbilder von befreundeten Illustratoren produzieren und designte als gelernter Grafiker auch einige Motive selbst. Auflage seinerzeit: 1000 Exemplare pro Sticker. Die Bilder zum ersten Tschutti-Heft wurden im Wohnzimmer von Glanzmann per Hand gemischt und in die Sammeltüten gesteckt.

    Selbst für den Initiator war es eine Überraschung, wie schnell die Fangemeinde der Sticker wuchs. „Eigentlich sollte das ein regionales Projekt werden – es hat sich aber so schnell verselbstständigt, dass wir total überrannt wurden.“ Insgesamt zweimal musste der erste Bildersatz nachgedruckt werden.

    Mittlerweile ist das „Tschutti Heftli“ groß geworden: Nach einer Auflage von einer Million Bilder zur WM 2010 gibt es vom aktuellen Bildersatz zwei Millionen Aufkleber; und erstmals findet der Vertrieb auch in Deutschland statt. Die Originale zur Serie werden übrigens derzeit in der Kunsthalle Luzern gezeigt. Und statt im Wohnzimmer wird nun in einem Werk gedruckt, gemischt und verpackt – im Übrigen in derselben Produktionsstätte, die auch von Panini beauftragt worden war.

    Der Grundgedanke bleibt aber erhalten: Die Tschutti-Bilder sollen die etwas anderen Sammelbilder von etwas anderen Gestaltern sein. Der elfjährige Liam Tanzen aus Hamburg etwa hat die französische Nationalmannschaft gezeichnet. Und der Online-Versand der Sammelbilder wird komplett von den Insassen des Gefängnisses Luzern abgewickelt. Sogar von Spielerfrauen und Schiedsrichtern gibt es eine Bilderserie.

    Dass die deutschen Fußballer einen Grünstich haben, liegt laut Zeichner Stephan Schmitz nicht daran, dass ihnen beim Gedanken an die EM übel ist. Vielmehr wollte Schmitz damit einen edlen Effekt für die als Turnierfavorit gehandelten Kicker erzielen. Eine Behauptung, die man dem Schweizer glauben kann – die Mutter ist Deutsche.

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