Hatten Sie schon einmal ein 500 Jahre altes Buch in der Hand? Mit rauem, handgeschöpften Papier und verschieden tief eingedruckten Lettern? Meistens haben nur Wissenschaftler oder Sammler das Vergnügen. Doch ein neues Zeitalter bricht an und jeder kann historische Drucke betrachten – wenn auch virtuell am Bildschirm.
Staats- und Stadtbibliothek kooperierte für das Projekt mit Google
Dieser Tage meldet die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek, dass nun kostenfrei rund 88.000 ehrwürdige Bücher aus ihren Beständen online verfügbar sind. Das ist nach Auskunft von Bibliothekar Wolfgang Mayer gut die Hälfte ihres historischen Bestandes. Möglich wurde der Modernisierungsschub aufgrund der Bayerischen Staatsbibliothek und einer Projekt-Partnerschaft mit dem Internetkonzern Google.
Die ganze Fülle an Bücherschätzen breitet sich nun direkt sichtbar dem Interessierten aus. Tier- und Pflanzenbücher, Reiseberichte, Biografien, naturkundliche und medizinische Abhandlungen, Romane, Geschichtswerke, Theologisches. Man muss nur im Katalog stöbern. Machen wir die Probe aufs Exempel.
Wie steht es mit den Aufregern der Epoche, als die Menschen jenseits der Schranken dessen, was Kirche und Obrigkeit erlaubten, zu forschen begannen? Galileo Galileis Himmelsbeobachtungen mit seinem neuentwickelten Fernrohr sind original im 1610 erschienenen „Sidereus Nuncius Magna, Longeque Admirabilia Spectacula pandens“ nachzulesen. Im Jahr zuvor ließ Johannes Kepler seine „Astronomia nova“ zu Prag drucken – und Augsburg besitzt die Erstausgabe.
Diese Exemplare gehören zu den digitalisierten Bücherschätzen
Es geht noch älter: Christóval Acosta berichtete 1582 in seinem Buch „Aromatum et medicamentorum in orientali India nascentium liber“ über die Heilpflanzen aus Ostindien. Er legte ein Werk von Garcia de Orta von 1567 zugrunde – auch dies digital verfügbar. Wundersam illustriert sind die „Propheceien und Weissagungen, Vergangne, Gegenwertige und Künfftige ding, Geschichten unnd Zufäll aller Stende (...) Außgelegt und durch Figuren angezeygt“ von Doktor Paracelsus, gedruckt um 1550 in Frankfurt. Dienen sollte das Werk den Frommen zur Ermahnung und Trost, den Bösen aber zum Schrecken und zur Warnung.
Aus dem Benediktinerstift St. Ulrich und Afra stammt die 1622 gedruckte Ausgabe der bayerischen Chronik des „hochgelehrten Geschichtsschreibers“ Johannes Aventin. An dem Band haben sich allerdings schon etliche Würmer gütlich getan und ihr Fraßbild hinterlassen.
Frisch wie am ersten Tag wirken indes die kolorierten Illustrationen der Augsburger Künstler Johann Elias Ridinger, Johann Jakob Haid und Bartholomäus Seuter im dickleibigen Pflanzenbuch des Regensburger Ratsassessors und Pharmakologen Johann Wilhelm Weinmann, erschienen 1737.
Was katholische Theologen Mitte des 18. Jahrhunderts in Moral und Scholastik wissen mussten, fasste der Pollinger Universalgelehrte Eusebius Amort in seiner „Theologia Eclectica“ (1752) zusammen. Oder wie wäre es mit der saftigen Lebensbeschreibung des „Erz-Schelms“ Judas Ischariot des Barockpredigers Abraham a Sancta Clara von 1686?
Augsburgs Bibliothek war im 17. Jahrhundert eine der bedeutendsten im deutschsprachigen Raum
Digitalisiert wurden die historischen Augsburger Bände zwischen 2014 und 2020 unter Mitarbeit der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg im Rahmen eines Massendigitalisierungsprojekts. Mit der Teilnahme am Google-Programm steht die Staats- und Stadtbibliothek nun in einer Reihe mit der Österreichischen Nationalbibliothek und den Universitätsbibliotheken von Oxford und Harvard – was durchaus ihrem Rang entspricht. Die Augsburger „Liberey“, im Zuge des reformatorischen Bildungseifers im Jahr 1537 gegründet, galt im 17. Jahrhundert als eine der bedeutendsten Bibliotheken im deutschsprachigen Raum. Sie umfasst sowohl bürgerliche Gelehrtensammlungen als auch Bestände aus aufgehobenen schwäbischen Klöstern wie Ottobeuren und Irsee.
Die Originale stehen selbstverständlich weiterhin zur Einsicht für wissenschaftliche Zwecke, betont Bibliothekar Mayer. Aber „nicht einfach so zum Durchblättern“ für jeden. Dafür seien die alten Bücher oft zu empfindlich. Lese-Vergnügen kann man sich nun aber am heimischen Bildschirm selbst bereiten. Allerdings räumt Mayer ein, dass nicht jedes Digitalisat allerhöchsten Qualitätsansprüchen genügt. Und dass es etwas Geduld erfordert, einen größeren Band durchzublättern. Er empfiehlt, zum leichteren Gebrauch die jeweilige pdf-Datei aufs eigene Gerät herunterzuladen.
Service: Zugang über den Online-Katalog der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg
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