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Dietrich Fischer-Dieskau ist tot: Der Jahrhundert-Bariton

Dietrich Fischer-Dieskau ist tot

Der Jahrhundert-Bariton

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    Dietrich Fischer-Dieskau (Berlin 28. Mai 1925 – Berg am Starnberger See 18.Mai 2012).
    Dietrich Fischer-Dieskau (Berlin 28. Mai 1925 – Berg am Starnberger See 18.Mai 2012). Foto: dpa

    Augsburg Diesen Freitag mochte man nicht kommen sehen. Um dieses Datum bangten alle, denen in den vergangenen sechzig Jahren die Oper, das Oratorium, das Lied zu Herzen ging. Doch dieser Freitag kam, und nun ist leidvoll Abschied zu nehmen von einem, der in vieler Hinsicht über Jahrzehnte hinweg den Maßstab für das Singen setzte.

    Dietrich Fischer-Dieskau ist tot

    Der Jahrhundert-Bariton, ein künstlerisches Vorbild für solch anscheinend altmodisch zu werdenden Tugenden wie Disziplin, Genauigkeit und Ernsthaftigkeit, starb kurz vor seinem 87.Geburtstag in Berg am Starnberger See, wie seine Frau, die Sopranistin Julia Varady, erklärte. Sanft sei er entschlafen, sagt sie. Doch für den, der Dietrich Fischer-Dieskau kannte, heißt das nicht, dass durch dieses sanfte Entschlafen der Kunstlied-Hohepriester nicht auch mit einer gewissen Bitternis, also fremd ausgezogen ist – um auf eine Textzeile anzuspielen, die weiß Gott im Zentrum von Fischer-Dieskaus unglaublich umfangreichen Schaffen stand. Sie stammt aus Schuberts „Winterreise“.

    Fremd ausgezogen aus dieser Welt, in einem Zustand der Resignation, ist Fischer-Dieskau deshalb, weil sich viele jener Ideale, mit denen er 1947 seine beispiellose Weltkarriere startete und die er dann ausbaute und pflegte und an seine Gesangsschüler weiterzugeben trachtete, vielfach wieder verschliffen wurden im sich beschleunigenden Klassik-Geschäft. Diese Ideale hatten vornehmlich mit einem uralten Streitfall der Musikgeschichte zu tun: mit dem Streitfall, ob in der Musik den Noten oder dem Text der Vorrang gebühre.

    Annähernd 5000 Kompositionen auf 400 Schallplatten

    Genau auf diese Debatte aber mochte sich Fischer-Dieskau mit seinem sensationell prononcierenden, sensationell sonorem Bariton nicht einlassen: Er stellte das Gleichgewicht her zwischen Musik und Wort; und so, wie er den Legato-Gesang pflegte, so pflegte er die Artikulation, die Deklamation, die Diktion. Fischer-Dieskau verschluckte nichts. Er las genau, er deutete intelligent, er sang verständlich und lyrisch-suggestiv – und erwartete zu Recht vom Publikum, dass es darob konzentriert die Ohren aufsperren möge. Gelang es, wurde der Abend zum Faszinosum: Das Singen als erhobener und erhebender Zustand.

    Vom Kritiker wiederum verlangte Fischer-Dieskau, dass er ein „getreues Echolot“ sein möge. Das aber ist schier unmöglich angesichts einer Lebensleistung von nahezu 5000 aufgenommenen Kompositionen auf 400 Schallplatten – darunter bald ein Dutzend mal Schuberts „Winterreise“ –, angesichts seines schriftstellerischen Schaffens, seines Dirigierens, seiner Alters-Malerei. Dieses preisüberhäufte Leben war rastlos, leistungsbereit, selbstfordernd und unerhört aufgeschlossen auch gegenüber dem Neuen. Dass Fischer-Dieskau sowohl 1961 Henzes „Elegie für junge Liebende“ als auch 1962 Brittens epochales „War Requiem“ aus der Taufe hob, dass ihm Aribert Reimann 1987 seine gewaltige, auch heute noch immer wieder gespielte „Lear“-Oper auf den Leib schrieb und widmete, dies besagt alles über das Charisma des gebürtigen Berliners.

    Das dortige Opernhaus, natürlich auch die Opernhäuser von Bayreuth, Salzburg, München und New York waren Fischer-Dieskau Stätten des Triumphs. Sie zu erobern, brannte ihn unter beiden Sohlen. Aber die Hauptsonne zwischen den Nebensonnen Oper und Oratorium ist und bleibt für Fischer-Dieskau das Lied von Monteverdi bis Lutoslawski. Schwerlich erreichbar sind seine klingenden Exegesen der Schubert-, Schumann-, Brahms-, Wolf- und Mahler-Werke.

    Freilich musste auch dieser erfolgreiche Alleskönner mit Widerspruch rechnen – zu feierlich, zu pedantisch, zu manieriert sei mitunter seine Textbehandlung. Es bellten die Hunde, es rasselten die Ketten – zuletzt, als seine Stimme vor seinem Bühnen-Rückzug 1992 naturgemäß brüchig geworden war.

    Berliner Beisetzung im engsten Familienkreis

    Übergangen blieb in diesen kritischen Einwürfen auch Fischer-Dieskaus einfühlsame Emphase in den Klage-, Verzweiflungs- und Todes-Gestus der Romantik mit ihren Nachtgedanken; übergangen blieben seine Formvollendung und kluge Programm-Dramaturgie.

    Der Todtenacker für den Jahrhundert-Bariton wird ein Berliner Friedhof sein. Der Ehrenbürger soll in der kommenden Woche im engsten Familienkreis beigesetzt werden. Man wünscht, dass ihm künftig ein Licht freundlich vorher tanze.

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