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Alte Pinakothek München: Drei Utrechter Maler und die unkonventionellen Werke Caravaggios

Alte Pinakothek München

Drei Utrechter Maler und die unkonventionellen Werke Caravaggios

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    Gerard van Honthorst beleuchtete 1625 in seinem Gemälde „Die Kupplerin“ ein ausladendes Dekollete.
    Gerard van Honthorst beleuchtete 1625 in seinem Gemälde „Die Kupplerin“ ein ausladendes Dekollete. Foto: Centraal Museum Utrecht

    Zum Greifen nah ist der Leichnam Christi, bleich und kühl und viel zu schön, um schon hinabzugleiten in das Reich des Todes. Doch was bleibt den Beteiligten anderes, als den schweren Körper in die Gruft zu hieven? Voller Entsetzen, schmerzversunken, keiner Regung mehr fähig – die tiefsten Emotionen sind hinaufgefächert bis zu den hochgerissenen Armen der Maria des Kleophas. Schlaglichtartig ist die Szene beleuchtet – als hätte sich der finstere Himmel für einen kurzen Moment geöffnet.

    Erschüttert müssen schon die Rom-Pilger des 17. und 18. Jahrhunderts vor diesem Bild gestanden sein. Caravaggio zieht bei dieser „Grablegung Christi“ (1602/03) sämtliche Register, und man begreift sofort, weshalb dieser schillernde Malerstar schnell zum Idol von Künstlern geworden ist. Und zum großen Vorbild. Die Jungen sollten nicht nur seine „wunderlichen Dinge“ studieren und kopieren, sondern am besten noch übertreffen, empfahl Karel van Mander schon 1604. Dabei denkt der Kunstschriftsteller aus Amsterdam besonders an die Compassio, das Mitleiden, und das Chiaroscuro, diese packenden Hell-Dunkel-Kontraste, die sich in ganz Europa herumsprachen.

    Eine ausnehmend widerliche Schlächtergrimasse

    Rom roch schon immer nach Abenteuer. Auch deshalb wandern Künstler scharenweise in die Ewige Stadt. Aus Frankreich, Spanien, Flandern und aus den Niederlanden, wo es ziemlich gut ankommt, wenn sich einer im kulturellen Zentrum der Welt den letzten Schliff holt – und den Thrill Caravaggios noch weitertreibt. Sei es durch einen gewagten Bildschnitt, sei es durch eine ausnehmend widerliche Schächergrimasse bei der Verspottung Christi.

    Dieses Ausreizen der Möglichkeiten kam in Konjunktur und gelang vor allem drei Malern aus Utrecht, die jetzt im Mittelpunkt einer opulenten Schau der Alten Pinakothek in München stehen: Da ist der Magier des Kunstlichts Gerard van Honthorst, den die Italiener anerkennend Gherardo delle notti, also der Nachtstücke, nennen. Da ist der zupackende Dirck van Baburen, der Caravaggios Realismus zuweilen ins Derbe steigert und Details wie die Füße der Schriftgelehrten im Tempel gleich noch schmutziger und schrundiger zeigt. Und schließlich gehört zu diesem Trio auch der eigenwillige, rätselhafte Hendrick ter Brugghen, der beim Inkarnat zu eindrucksvollen Lösungen findet, indem er beispielsweise die morbide Wirkung eines Leichnams durch die Beimischung grüner Pigmente unterstreicht.

    Die Dramatik des Südensist so aufregend

    Die Namen der Utrechter Caravaggisten sind weniger geläufig als die der etwas später wirkenden Überflieger Rembrandt und Vermeer. Doch gerade das Aufeinandertreffen einer langen realistischen Bildtradition des Nordens auf die frühbarocke Dramatik des Südens macht die Fortbildungsreise so aufregend. An Qualität mangelt es keineswegs. Honthorst, Baburen und ter Brugghen sind bestens ausgebildet und mit 17, 18 Jahren neugierig und ausdauernd genug, sich Hals über Kopf ins überschäumende römische Kreativbecken zu stürzen.

    Die Konkurrenz ist enorm, in der Kernphase des Caravaggismus zwischen 1600 und 1630 werden 2700 Künstler registriert, fast 600 aus dem Ausland. Wer vorwärtskommen will, braucht Kontakte. Wobei allein die Betrachtung von Originalen die Inspiration für eine ganze Karriere liefert.

    Ein Bild reiste mit Polizei-Eskorte nach München

    In den verdunkelten Räumen der Alten Pinakothek jetzt kann man das Staunen dieser Rom-Ankömmlinge gut nachvollziehen, als sie in Santa Maria del Popolo Caravaggios „Kreuzigung Petri“ (1602/05) zum ersten Mal sahen oder die eingangs erwähnte „Grablegung“ in der Chiesa Nuova.

    Dieses Andachtsbild, das inzwischen in den Vatikanischen Museen beheimatet ist, durfte erst nach zähen Verhandlungen mit einer italienischen Polizei-Eskorte nach München reisen, wo es (bis 19. Mai) zu den Höhepunkten der Schau zählt. Nicht zuletzt, weil man im Umkreis dieser perfekt gestaffelten Personenkomposition studieren kann, wie stark sie einst junge Künstler inspirierte. Bei Baburen wird die Grablegung zum Kraftakt. Johannes und Nikodemus droht der schwere, muskulöse Leichnam zu entgleiten, und der Betrachter wird zum Voyeur unbändiger Verausgabung. Dagegen scheint der tote Christus beim französischen Kollegen Nicolas Tournier federleicht zu sein – entsprechend elegant kann er zu Grabe getragen werden.

    Nationale Eigenheiten wurden in Rom nicht unbedingt abgelegt. Und gerade die Möglichkeit des Vergleichens macht den Reiz dieser aus Utrecht übernommenen und erweiterten Ausstellung aus. Ob es nun um den von Pfeilen durchbohrten Körper des Heiligen Sebastian geht – vielleicht ist ter Brugghens Darstellung mit der pflegenden Irene das anrührendste unter den insgesamt 75 Gemälden – oder um fröhliche Musikanten und ausgebuffte Zockernaturen, die nach all den Martyrien dringend nötig sind.

    Ein Maler besucht gern käufliche Damen 

    Gerard van Honthorst inszeniert hier seine Nachtgestalten geschickt im Kerzenlicht – und gezielt erotisierend. Wie der Galan nur mehr die tiefliegenden Reize der ihm angedienten Lautenspielerin im Blick hat (Bild links), so wird auch das Auge des Betrachters direkt zum nachgerade blendenden Dekolleté geführt. Aus dieser raffinierten Lichtregie muss man sich schon bewusst lösen, um „Die Kupplerin“ (1625) oder den prallen Geldbeutel des hormongesteuerten Verehrers zu betrachten.

    Der Maler war übrigens selbst kein Verächter käuflicher Damen. Sowieso kam der Realismus der Caravaggisten und ihres Vorbilds nicht von ungefähr. Rom war ein hartes Pflaster, das sollte man bei allen kulturellen Höhenflügen nicht vergessen. Saufgelage und Schlägereien beschäftigten auch Künstlerkreise; der jähzornige Caravaggio war sicher nicht der einzige, der zum Messer griff. Und wenn man am Richtplatz vorbeikam, konnte es schon vorkommen, dass da seit Tagen ein Korb mit abgeschlagenen Köpfen stand. Die Brutalität war allgegenwärtig – und wie so oft blieb nur die Frage, wie deutlich man sie zeigt.

    „Utrecht, Caravaggio und Europa“, bis 21. Juli in der Alten Pinakothek München, Di., Mi. 10 bis 21 Uhr, Do. bis So. 10 bis 18 Uhr, Katalog 34,90

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