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Die Welt nach Wagner: Von Hitler bis "Der Herr der Ringe": Der Einfluss von Richard Wagner

Die Welt nach Wagner

Von Hitler bis "Der Herr der Ringe": Der Einfluss von Richard Wagner

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    Sein Einfluss ist bis heute nicht versiegt: Richard Wagner (1813–1883).
    Sein Einfluss ist bis heute nicht versiegt: Richard Wagner (1813–1883). Foto: dpa (Archiv)

    Noch ein Buch über Wagner? Als hätten nicht seit jeher Autoren jeglicher Couleur sich abgearbeitet an dem Meister von Bayreuth, als wären nicht ganze Bibliotheken gefüllt worden mit Untersuchungen seiner Musikdramen, seines Lebens und nicht zuletzt seines Nachlebens, dieses in Teilen so fatalen. Jetzt also folgt Alex Ross, Musikkritiker des US-Magazins The New Yorker, mit einer satten 900-Seiten-Abhandlung, und die eh schon Schwerlast tragenden Wagner-Regale haben noch ein wenig mehr zu ächzen.

    Immerhin beschränkt sich Ross, das verrät schon der Titel, auf „Die Welt nach Wagner“, was freilich Stoff genug hergibt. Selbst dann, wenn der Verfasser sich noch weiter einschnürt, indem er erklärtermaßen „ein Buch über den Einfluss eines Musikers auf Nicht-Musiker“ vorlegt. Was nicht heißt, dass Ross die Wirkmacht der Wagner’schen Musik aus seiner Betrachtung verbannt, wohl aber, dass er die kompositionsgeschichtlichen Folgen nicht weiter verfolgt. Ihm geht es um einen ungleich weiteren als nur die Musikprofession erfassenden Nachwirkungsradius.

    Alex Ross fasst Verstreutes über Richard Wagner zusammen

    Dabei bringt das Buch nicht viel essenziell Neues. Ross schöpft über weite Strecken aus der umfangreich vorliegenden Grundlagenarbeit von Generationen von Spezialisten, und das versteckt der Autor auch nicht, sondern nennt seine Quellen auf nicht weniger als 100 Seiten mit Nachweisen. Trotzdem ist „Die Welt nach Wagner“ weit davon entfernt, bloß simple Kompilation zu sein. Allemal kommt dem Verfasser das Verdienst zu, das vielfach nur in der engeren Wagner-Community kursierende Forschungsmaterial in weit ausholendem Umgriff eingesammelt und für ein breiteres Publikum aufbereitet zu haben.

    Wobei manche der Pfade, die Ross beschreitet, selbst für eingefleischte Wagner-Fans nicht unbedingt bekannt sein dürften. Wer kennt diesseits des Atlantiks schon die Formen der Wagner-Verehrung in den Vereinigten Staaten zur Hochzeit des „Wagnerismus“ in den Jahrzehnten rund um die vorvergangene Jahrhundertwende? Etwa die kreative Anverwandlung der Wagner-Welt durch die hervorragende Schriftstellerin Willa Cather? Ross weiß hier Erstaunliches zu berichten.

    Das gilt auch für den ein oder anderen Themenbogen, der auf den ersten Blick ein wenig gesucht wirkt mit Kapitelüberschriften wie „Wagner und die Schwulen“ oder „Schwule Wagnerianer“. Doch auch hier ist die Lektüre erhellend, allein schon, weil vermeintliche Gegensätze als obsolet vorgeführt werden.

    Selbst Lenin ließ Musik von Richard Wagner spielen

    Überhaupt wird mancher Mythos zurechtgerückt, der der Wagner-Rezeption anhaftet. Keineswegs, erklärt uns Ross, hätten die Opern aus dem germanischen Sagenkreis ihre Verführungskraft nur in rechtskonservativen Kreisen entfaltet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen auch eingefleischte Sozialisten den Schöpfer der „Götterdämmerung“ zum Kronzeugen – bis hin zu den Umstürzlern der russischen Revolution. Lenin höchstselbst ließ zum Gedenken an die toten Genossen von 1917 Siegfrieds Trauermarsch öffentlich aufführen.

    Standen sich nahe: Hitler und die Wagner-Schwiegertochter Winifred Wagner.
    Standen sich nahe: Hitler und die Wagner-Schwiegertochter Winifred Wagner. Foto: dpa

    Weder ist „Die Welt nach Wagner“ ein Buch für bedingungslose Wagner-Verehrer noch eines für rigorose Verächter. Der Blick auf all die Blüten, die durch „Tristan“, „Parsifal“ und den „Ring“ zum Austreiben gebracht wurden, ist nüchtern, das Urteil unvoreingenommen. Das gilt selbst im Falle des wohl folgenreichsten Wagner-Kults, demjenigen Hitlers. Dessen selbst vorgenommene Stilisierung, wonach eine in jungen Jahren erlebte Aufführung von Wagners „Rienzi“ ein entscheidender Impuls für seine – Hitlers – wahre Bestimmung gewesen sei, hält Ross für keineswegs außergewöhnlich, sondern im Kontext der damaligen Wagner-Begeisterung für schlichtweg normal. Was für Ross die Folgerung impliziert, dass die Herleitung der NS-Verbrechen aus Hitlers Bewunderung für den bekennenden Antisemiten Wagner eine allzu eindimensionale Angelegenheit ist. Von geistiger Brandstiftung mag Ross den Verfasser des Pamphlets „Das Judentum in der Musik“ deswegen noch lange nicht freisprechen.

    Wie es sich für eine Abhandlung in Sachen Wagner gehört, ist der Instrumentalisierung des Komponisten durch die Nationalsozialisten und der unverhohlenen Sympathie der Bayreuther Statthalter für die braune Bewegung ein eigenes Kapitel gewidmet. Doch Ross beschränkt sich darauf, das Notwendige zu sagen. Aber auch hier will er bestimmte Vorstellungen nicht durchgehen lassen. Wo in den Konzentrationslagern Musik gespielt wurde, sei das den Zeugnissen der Überlebenden zufolge zumeist nicht Wagner gewesen – zu schwierig zu spielen für die Lagerorchester. Ross verweist auch auf den Schriftsteller und KZ-Häftling Primo Levi, der von fröhlicher Unterhaltungsmusik berichtete und sich das damit erklärte, dass der ungeheuerliche Gegensatz zum faktischen Terror eine weitere, bewusst vorgenommene Erniedrigung war.

    Alex Ross nimmt auch Fantasy und Film in den Blick

    Zu den Qualitäten von Ross’ Buch gehört, dass der Autor weit über den Rand der vergangenen Jahrhundertmitte hinausblickt. Und Wagners Erbe auch nicht nur in den Neu-Bayreuther Festspielen und sonstigen Hochkultur-Unternehmungen weiterwirken sieht, sondern ebenso im kulturellen Mainstream. Wagners mythische Konzepte waren – mal mehr, mal weniger – Inspiration für zahlreiche Mythenschöpfungen der Fantasy-Literatur, vorneweg für die „Chroniken von Narnia“ und „Der Herr der Ringe“. Dieser Populärkultur widmet Ross ebenso breite Aufmerksamkeit wie Wagner und dem Kino. Rund 1000 Filme, hat er gezählt, setzen Wagners Musik in erstaunlich unterschiedlichen Zusammenhängen ein, bis hin zur ikonisch gewordenen ambivalenten Szene in „Apocalypse Now“, in der US-Hubschrauber einen Angriff auf ein vietnamesisches Dorf fliegen und dazu den Walkürenritt dröhnen lassen – gemäß der ausgegebenen Taktik: „Da scheißen sich die Schlitzaugen in die Hosen.“

    Alex Ross’ Weltumfahrung mit und nach Wagner ist gewaltig, kaum eine Gegend bleibt da ohne Licht. Das hat in dieser Reichhaltigkeit bisher noch keine andere einschlägige Expedition geleistet, in solcher Lesbarkeit schon gar nicht. Noch ein Wagner-Buch? Ja, dieses.

    Alex Ross: Die Welt nach Wagner. Rowohlt, 907 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 40 Euro.

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