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Premierenkritik: "Die Physiker" im Martini-Park: Das Staatstheater als Irrenhaus

Premierenkritik

"Die Physiker" im Martini-Park: Das Staatstheater als Irrenhaus

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    Drei Wissenschaftler – ein Heavy-Metal-Song: Johann Wilhelm Möbius (Sebastian Müller-Stahl), Albert Einstein (Klaus Müller) und Isaac Newton (Gerald Fiedler) in Friedrich Dürrenmatts tragischer Komödie „Die Physiker“.
    Drei Wissenschaftler – ein Heavy-Metal-Song: Johann Wilhelm Möbius (Sebastian Müller-Stahl), Albert Einstein (Klaus Müller) und Isaac Newton (Gerald Fiedler) in Friedrich Dürrenmatts tragischer Komödie „Die Physiker“. Foto: Jan-pieter Fuhr

    .Dass das Theater eine geschlossene Anstalt – sprich Klapse – sein kann, ist oft schon sarkastisch bemerkt worden. In den vergangenen Monaten wuchs diesem angeschärften Bonmot gar noch Doppelbedeutung zu: Die Türen blieben weitgehend zu.

    Jetzt aber werden sie unter Sicherheitsvorkehrungen wieder geöffnet – und worin befindet sich das Publikum des Staatstheaters Augsburg als erstes in der Spielstätte Martini-Park? Im Nervenheil-Sanatorium von Frau Doktor von Zahnd, jenem Ort, der Theater- und Schullektüre-Geschichte zu schreiben begann, als ihn Friedrich Dürrenmatt 1962 in Zürich einer Welt mit so wahnsinnigen wie apokalyptischen Zügen überantwortete. Seitdem ist wenig besser geworden, vieles aber schlechter.

    Klar, dass hier alle Mundschutz tragen

    Also „Martinipark“, das Genesungsheim für psychisch Angeschlagene. Klar, dass hier alle Mundschutz zu tragen haben; klar, dass hier nicht noch zusätzliche Konflikte gesucht werden. Alles ist auf klinische Sauberkeit und wahnsinnig positive Atmosphäre ausgelegt. Beruhigende Musik, beruhigender freundlicher Singsang des weiblichen medizinischen Personals, ständig verordnet-eingeschobene körperliche Entspannungsübungen. Sedativ und Aufheller bestimmen Sprache, Gang, Aktion. Alles ist gut. Und gäbe es unter den Voyeuren im 130-Personen-Auditorium Überspanntheiten: bitteschön, die Info-Broschüre zum Sanatorium liegt aus, man braucht sich nur bei Frau Doktor anzumelden.

    Regisseurin Antje Thoms, die in Augsburg wiederholt Gutes abliefert, zaubert mit ihrem Ausstatter Florian Barth generalstabsmäßig und ganzheitlich einen beklemmend-rosigen Dunstkreis – indessen Frau Doktor im Begriffe ist, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Dass dieses Wahnsinnsambiente mit seinen vielen Tics nerveux in Form sprachlicher und gestischer Repetitionen mitunter auch auf den Wecker geht, gehört eben zum Enervierungspotenzial von Irrenhäusern, in denen zwanghaft falsche Harmonie hergestellt wird.

    Szene aus Dürrenmatts Drama „Die Physiker“ am Staatstheater Augsburg im Martini-Park.
    Szene aus Dürrenmatts Drama „Die Physiker“ am Staatstheater Augsburg im Martini-Park. Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Wie das kippen kann, ist hübsch dargestellt bei der händischen Erdrosselung der euphorischen Schwester Monika durch den genialen Physiker Möbius, der zwar gefühllos, lethargisch auf einer Tonhöhe spricht, aber als einziger den Grips aufbringt, die möglichen Konsequenzen (eigener) wissenschaftlicher Forschung und deren Anwendung zu durchschauen. Sebastian Müller-Stahl macht aus seinem Rollenspiel ein theatrales Kabinettstückchen, große Klasse.

    Hollywoodmäßig dick aufgetragen

    Auch Klaus Müller mit seiner Idealmaske für Albert Einstein beeindruckt durch Schreckhaftigkeit und aufgerissene Augen – bevor er sich zusammen mit Isaac Newton (zu launigen Späßen aufgelegt: Gerald Fiedler) als physikalisch geschultes Geheimagenten-Paar entpuppt. Aber die drei Akademiker mit ihren unterschiedlichen Interessenlagen werden nichts ausrichten können gegenüber Frau Doktor, die – durch Wagners Walkürenritt hollywoodmäßig dick aufgetragen – die globale Macht übernimmt.

    Überhaupt die Musik an diesem Abend: Wir hören keinen ernst zu nehmenden Buxtehude (als groteskes Blockflöten-Trio), keine ernst zu nehmende Beethoven-Kreutzer-Sonate auf Einsteins Geige, sondern eher dämpfende Surrogat-Allgemeinplätze der Musik: Volkslieder, Schlager – mit Ausnahme eines gleichsam fluchenden Heavy-Metal-Songs durch Möbius, Einstein, Newton. Kriminalinspektor Voß (Andrej Kaminsky) bleibt vorgegeben macht- und einflusslos. Beim weiblichen medizinischen Personal läuft zunächst alles mehr oder weniger auf professionell antrainiertes Entgegenkommen, auf eine Art unverbindliche Dauer-Güte hinaus: Elif Esmen spielt Oberschwester Marta, Jenny Langner Schwester Monika und Ute Fiedler eine junge Frau Doktor. Sie verrät sich nicht zu früh als Alpha-Weib; andererseits kommt ihre tatsächliche Eiseskälte auch ein wenig zu spät.

    Dem Augsburger Sanatorium Martinipark ist ein volles Haus auf Dauer zu wünschen.

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