Als vor 100 Jahren "Die Vögel" von Walter Braunfels (1882 – 1954) an der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt wurde, traf diese Vertonung der gleichnamigen ernsten Aristophanes-Satire den Nerv des Publikums. Ein zeitlos relevanter Stoff zum Thema Größenwahn, dazu ein spätromantischer Klang-Rausch in Folge von Wagner und Strauss: Das ließ über Jahre hinweg die Augen aufreißen und die Ohren spitzen.
"Die Vögel": Nach der politischen Unterdrückung kam die ästhetische Abwendung
Dann kamen die Nazis und ihre Verfemung unbotmäßiger, missliebiger, ("halb"- und "viertel"-)jüdischer Künstler. Und Braunfels wurde abgesägt und mit Aufführungsverbot belegt. Zu seiner besonderen Tragik jedoch zählt, dass sein Werk auch nach 1945 nicht einmal in dem bescheidenen Maße wieder Fuß fasste wie – verspätet – die Opern etwa von Zemlinsky, Schreker und Korngold. Der politischen Unterdrückung folgte die ästhetische Abwendung: Weil Braunfels in den Fußstapfen Wagners und Strauss’ gewandelt war, wurde ihm gleichsam das einstige Etikett "Spitze der Avantgarde" aberkannt.
Begegnet man seinem opulent-sinnlichen Klangstrom unter dem selbst verfassten Libretto heute, so fällt – bei allen über die Maßen reizvollen Schönheiten – eine in der Tat deutliche Kluft auf zu den musikalischen und künstlerischen Tendenzen um 1920 (Neoklassizismus, Dada, Bauhaus, Zwölfton, Neue Sachlichkeit) – jene Kluft, die auch noch manches folgende Strauss-Werk ziemlich obsolet wirken ließ.
Wegen Corona liegt die Oper "Die Vögel" erst einmal auf Eis
Durchaus verständlich also, dass nun die Staatsoper München für ihre Neuproduktion, die – wie "I masnadieri" im März – unmittelbar nach der Premiere erst einmal auf Eis zu legen ist, ein Inszenierungsteam bestellte, das gewiss nicht für prächtig Überbordendes steht: Regisseur Frank Castorf und sein Bühnenbildner Aleksandar Denic. In Folge von Bayreuths letztem "Ring" und ihrer Münchner "Totenhaus"-Aufführung haben sie wieder eine mehrstöckig-trashige Brennpunkt-Szene zimmern lassen, die (über)deutlich plakativ all das bebildert, was Gegenstand der Verhandlung ist: Dass sich auf Verführung zweier Menschen (in Nazi-Uniform: Charles Workman, Michael Nagy) die Vogelwelt voller Bordsteinschwalben bereden lässt, sich in einem Wolkenkuckucksheim über die Götter zu erheben. Das geht natürlich gründlich schief, wie es heute schief geht, sich über die Gesetze der Natur hinwegzusetzen – um mal auf eine aktuell relevante Seite des Größenwahn-Stoffes hinzuweisen.
Gleichwohl ist dieser Aufstieg und Fall von Wolkenkuckucksheim in musikalischer Hinsicht prachtvoll besetzt, zum Beispiel durch Caroline Wettergreen als vokal-darstellerisch fabelhafte Nachtigall, zum Beispiel durch einen in seinem Furor explodierenden Prometheus (Wolfgang Koch), zum Beispiel durch Ingo Metzmacher am Pult, der vielleicht noch nie so ausgesprochen süffig und "romantisch" musizieren ließ wie zu dieser Premiere.
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