Als der Zollbeamte am Hafen sie nach dem endgültigen Ziel ihrer Reise fragt, zieht Tami (Shailene Woodley) langsam die Schultern nach oben und die Mundwinkel nach unten. Die 23-jährige Amerikanerin hatte gleich nach dem Schulabschluss den Rucksack gepackt, um ihre Heimatstadt San Diego weit hinter sich zu lassen. Seit ein paar Jahren tingelt sie nun schon durch die Welt und finanziert sich durch diverse Gelegenheitsjobs das Ticket zum nächsten Reiseziel.
"Die Farbe des Horizonts" im Kino: Kritik und Trailer
Jetzt ist sie auf Tahiti angelangt und bekommt Arbeit in einem Jachthafen. Als der britische Segler Richard (Sam Claflin) am Steg festmacht, finden die beiden schnell Gefallen aneinander. Richard lässt sich genauso wie Tami ohne Zielvorgaben durchs Leben treiben. Bald wird er sie fragen, ob sie mit ihm um die Welt segeln will, und wenig später werden beide den Auftrag übernehmen, eine Luxusjacht von Tahiti nach San Diego zu überführen.
Dass dieses Unternehmen nicht gut ausgeht, weiß man schon seit den ersten Filmminuten von Baltasar Kormákurs „Die Farbe des Horizonts“, in denen Tami aus der Bewusstlosigkeit erwacht, sich durch das knietiefe Wasser in der Kajüte den Weg an Deck bahnt und verzweifelt nach Richard ruft. Ihr Freund ist mit dem Sturm von Bord gespült worden, die Jacht stark beschädigt.
Ausgehend von dieser aussichtslosen Situation gleitet der Film von nun an zwischen desaströser Gegenwart und romantischer Vergangenheit hin und her. Mit den Rückblenden und der Erinnerung scheint auch die Schiffbrüchige zunehmend wieder an Kraft zu gewinnen. Sie flickt das Leck aus, setzt das Vorsegel und entdeckt in der Ferne auf einem Beiboot Richard. Der ist schwer verletzt und es ist klar, dass die mäßig erfahrene Seglerin die Geschicke in die Hand nehmen muss.
Baltasar Kormákur hat eine besondere Verbindung zum Meer
Als gebürtiger Isländer hat Regisseur Kormákur seit jeher eine besondere Verbindung zum Meer und zum Überlebenswillen in aussichtslosen Situationen. Vor fünf Jahren erregte er mit „The Deep“ internationale Aufmerksamkeit, in dem er einen Fischer porträtiert, der Kilometer durch das eiskalte Wasser an Land schwamm und zum isländischen Nationalhelden wurde. Auch „Die Farbe des Horizonts“ beruht auf wahren Ereignissen und befindet sich als Seglerdrama im Kino in bester Gesellschaft. Robert Redford zeigte in J. C. Chadors „All Is Lost“ (2013), was man alles auf dem engen Raum einer havarierten Jacht erzählen kann. Dieser klaustrophobischen Erzählsituation entzieht sich Kormákur mit seinen Rückblenden und öffnet die Aussichtslosigkeit der Tragödie mit romantischer Erinnerungsarbeit.
Denn es ist nicht allein der innere Überlebenstrieb, der Tami die ausweglose Situation meistern lässt, sondern die Liebe und Verbundenheit zu ihrem Freund. Das macht die Angelegenheit auf der Leinwand deutlich gefälliger, ist aber auch ein durchaus realistischeres Szenario. Denn die Kraft über sich selbst hinauszuwachsen entsteht selten allein aus eigenen Ressourcen, sondern sehr viel öfter aus der Verantwortung, die man für andere übernimmt. Dieser Punkt wird in „Die Farbe des Horizonts“ durch eine überraschende Schlusswendung eindrücklich unterstrichen. Shailene Woodley, die sich in „Divergent“ tapfer durch ein dystopisches Zukunftsszenario kämpfte, ist auch als Alleinseglerin wider Willen vollkommen überzeugend. Dasselbe gilt für die dramatischen Sturmsequenzen, die das Gefühl vollkommenen Ausgeliefertseins mit atemberaubender Effizienz direkt in den Kinosessel hinein transportieren.