Es sind nur zwei Sätze: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Die beiden Sätze aber tragen den großen Titel „ Gemeinsame Erklärung 2018“ – und sind vor allem getragen von einer teils namhaften Liste an Unterzeichnern, zumeist Intellektuelle und Autoren.
Mit Sarrazin, Tellkamp und Mattusek
In erster Reihe: SPD-Mitglied und Ex-Spitzenbanker Thilo Sarrazin, mit dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“ die Migrationsdebatte ja bereits weit vor der Flüchtlingskrise Fahrt aufgenommen hatte; der Vordenker der Neuen Rechten, Karlheinz Weißmann, der in der Tradition seines einstigen Lehrers, des Schweizers Armin Mohler, für die nationalistisch-autokratische Form der „konservativen Revolution“ steht – weit rechts dessen, was Alexander Dobrindt kürzlich mit jenem Schlagwort gemeint haben wollte; der Schriftsteller Uwe Tellkamp, dessen Pegida-nahe Äußerungen kürzlich bei einer Dresdner Debatte samt folgender Distanzierung seines Suhrkamp-Verlags für Aufregung gesorgt hat; der ehemalige Spiegel-Mann Matthias Matussek, inzwischen längst und lautstark als Islam- und Angela-Merkel-Kritiker in Erscheinung getreten; die frühere Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, die unter anderem mit ihrem Frauenbild und Aussagen zur Nazizeit Empörung geerntet hat …
Aber auch: die als DDR-Bürgerrechtlerin bekannt gewordene, spätere CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld, der Historiker Jörg Friedrich und der immer debattenfreudige jüdische Welt-Journalist Henryk M. Broder. Und unter „weitere Unterzeichner“: der syrischstämmige Politikwissenschaftler Bassam Tibi, der Autor und AfD-Wahlkampfberater Thor Kunkel, der Österreicher Martin Semlitsch von der Identitären Bewegung unter seinem Künstlernamen Martin Lichtmesz …
Eva Leipprand spricht für den deutschen Schriftstellerverband
Datum dieser „Erklärung“ war der 15. März – für Aufregung aber hat das Dokument erst gesorgt, seit die Wochenzeitung Die Zeit sie nun im zentralen Artikel ihres Titel-Themas „Was ist heute konservativ?“ beleuchtet hat.
Keine Überraschung jedenfalls, dass dann der deutsche Schriftstellerverband in Person der Vorsitzenden protestierte: Die Art und Weise, wie diese Erklärung die Schuld an Verunsicherungen und Ängsten den Migranten in die Schuhe schiebe, sei „unterkomplex und einer intellektuellen Auseinandersetzung nicht angemessen“. Die Erklärung reduziere die Debatte auf ein Phänomen, das „nur eine Facette und eher Folge als Auslöser der gesamten Krise“ sei, nämlich die Migration. Migranten zu Sündenböcken zu machen, löse jedoch kein einziges Problem. Es trage im Gegenteil zu weiterer gesellschaftlicher Spaltung bei. So also sprach Eva Leipprand, ehemals für Bündnis 90/Die Grünen Kultureferentin im Augsburger Stadtrat. Da also ist sie wieder: die fundamentale Spaltung zwischen linksliberal und rechtskonservativ, oder?
Die Zeit fragte zum Inhalt des Schreibens: „Was soll das sein? Eine Soli-Bekundung zu Pegida?“ Und leuchtete dann noch die Hintergründe aus. Da gibt es seit Beginn der Flüchtlingskrise einen Gesprächskreis, der sich zweimal jährlich in Berlin zum nicht öffentlichen Gedankenaustausch trifft, mit mindestens 30, mitunter aber auch viel mehr Diskutanten. Aus diesem Gesprächskreis stammen viele der Erstunterzeichner. Einer, der dort auch teilnimmt, aber aus Scheu vor Öffentlichkeit nicht unterschrieben hat, ist der Historiker Jörg Baberowski. Er wurde wegen eines kritischen Artikels zur Einwanderung bereits angefeindet und erklärt: „Es ist ein Schutzraum … Manche sehen die Meinungsfreiheit in Gefahr, zu denen gehöre ich auch. Ich weiß nicht, warum Religionskritik, Kritik am Islam, rechts sein soll.“
Vom angeblichen Schwingen der Nazi-Keule
Aber es gab auch Fälle wie den der Autorin Ellen Kositza, Frau des rechten Chefideologen Götz Kubitschek, die offenbar im Kreis keine Aufnahme fand und deren Name nach erster Nennung unter der „Erklärung“ schnell verschwand. Der Philosoph Rüdiger Safranski wiederum gehört zum Kreis, hat aber nicht unterzeichnet. Auch er war an der Seite des Kollegen Peter Sloterdijk nach einer Kritik an der deutschen Grenzöffnung bereits in ein hitziges Gefecht verwickelt gewesen und hat sich kürzlich im Spiegel wieder beschwert, dass ständig „die Nazi-Keule“ geschwungen werde.
Passt das also nicht alles? Die Verfemten sammeln sich und holen sich möglichst breite Unterstützung für ihr Anliegen? Die „Erklärung“ jedenfalls erscheint als mehr oder weniger geschlossenes Zusammenstehen von mehr oder weniger Prominenten aus einem doch ziemlich breiten konservativen Spektrum zu einer doch offenbar für viele relevanten Besorgnis, für die sie vereinzelt in die rechte Ecke gestellt würden. Gerichtet gegen die so oft beklagte linksliberale Meinungsvorherrschaft in Deutschland mit „Sprechverboten“ und Nazivergleichen. Gegen die Spaltung also, wie sie demnach gerade Kommentare wie der Eva Leipprands manifestieren. Oder? Wer spaltet hier nun?
Tatsächlich tritt eine zweifache Spaltung zutage. Einerseits ist natürlich das klassische Gegeneinander wieder virulenter geworden in Zeiten, die politisch schwieriger, hitziger werden und die Parteien zu Profilierungen zwingen: die zwischen progressiv und konservativ. Und da bekommen nach den heftigen Reflexen auf Zuwanderungskritiker ja längst auch deren Kritiker Empörungwellen ab – ein Abtausch von Reflexen also. Als Zweites aber tritt in der „Gemeinsamen Erklärung“ zutage, was sich anlässlich der Dresdner Debatte zwischen Tellkamp und Grünbein gezeigt hat. Da nämlich meldete sich der rechte Vordenker Götz Kubitschek, Betreiber unter anderem des Antaios-Verlags, zu Wort und sprach von einem Riss, der durch die Gesellschaft gehe. Er forderte, dass man diesen vertiefen müsse.
Kritische Stimmen nutzen auch rechten Ideologien
Für radikales Denken ist am fruchtbarsten das reine Entweder-oder. Wer nicht eindeutig „Nein“ zur Zuwanderung sagt, sagt damit unweigerlich „Ja“ zu offenen Grenzen und Multikulti. Wer nicht eindeutig „Nein“ zum Islam sagt, gibt Deutschland der Islamisierung preis. So entsteht eine Kante, hart gezogen auch von Teilen der AfD, wenn sie mit Radikalem kokettieren und sich bei Kritik dann gleich wieder als Opfer der Nazikeule und des „Sprechverbots“ in der angeblich herrschenden linksliberalen „Mainstream“-Presse stilisieren. Als wären wesentliche überregionale Vertreter der Medien-Landschaft wie Bild, Welt oder FAZ links! In einer Entweder-oder-Welt allerdings … Wenn jede Kritik als linksverdächtig konnotiert ist, sorgt das im konservativen Lager für eine Bruchlinie – mit möglichst großen Gebietsgewinnen zur Mitte hin. Was tatsächlich links steht, ist hier nur Kontrastmittel des Konflikts, gar nicht der eigentliche Gegner. Liberal und konservativ sein soll immer weniger möglich erscheinen.
So weit das radikale Muster. Wie schwer die Differenzierung auch diesseits davon ist, zeigt sich in den Konflikten zwischen Merkel-CDU und Seehofer-CSU. Bedient man sich profilbildender Schlagworte wie der Frage der Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland, wird das schnell (und bereitwillig von Links wie Rechts) als Entweder-oder verstanden. Und hier manifestiert sich auch die eigentliche Stoßrichtung der „Erklärung“. Es formiert sich eine Querfront nicht gegen Links, sondern gegen liberale Konservative. Geeint durch die erste Spaltung wird einer zweiten zugearbeitet. Von zur Sache kritischen Stimmen verbunden mit rechten Ideologen. Mit der Wahrscheinlichkeit, dass es vor allem letzteren nützt.