Fidel und Che, Che und Fidel: Der eine starb am 8. Oktober 1967, noch nicht mal 40 Jahre alt, im bolivianischen Dschungel, bei einem wie zuvor schon im Kongo kläglich gescheiterten Revolutionsversuch, gefangen genommen und erschossen – und wurde zur Pop-Ikone. Der andere wird nun bei einem Staatsbegräbnis in Havanna feierlich beigesetzt, nach einer letzten Triumphtour im Sarg durch ganz Kuba, gestorben eines natürlich Todes als 90-jähriger Greis, nach angeblich 638 Attentatsversuchen auf sein Leben und fast einem halben Jahrhundert an der Regierung – eine Politik-Ikone.
Aber wie das? Stand Fidel Castro nicht auch für eine eisenharte Diktatur, die Andersdenkende brutal verfolgte? War Ernesto „Che“ Guevara nicht einfach ein skrupelloser Terrorist, wenn er sagte, „Wir müssen den Weg der Befreiung auch dann gehen, wenn er Millionen atomarer Opfer kosten sollte“? Und kennzeichnet ihre gemeinsame „Heldenreise“ gleich zu Beginn nicht Folterungen und Exekutionen?
Fidel und Che, Che und Fidel. Es ist eine Geschichte von Mythos und Verklärung, deren zwei Ikonen den beiden Seiten derselben Medaille ein Gesicht verleihen: dem Ehrentaler einer Revolutionsromantik, die zeitlos weltweit für viele Menschen golden zu schimmern scheint. Weil sie im Kern doch für eine echte Heldenerzählung steht?
Che Guevara: frei und radikal
Da ist Che, eigentlich Sohn aus gutem argentinischem Hause und promovierter Arzt, dessen Porträt bis heute eines der am häufigsten reproduzierten Fotos der Welt ist: einst von Alberto Korda gemacht, dann vom linksradikalen Verleger Giangiacomo Feltrinelli in alle Welt verbreitet, bis heute auf T-Shirts und Kaffeetassen gedruckt, auf Oberarme tätowiert – aber auch von den mit der RAF verbündeten palästinensischen Terroristen im Oktober 1977 bei der Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“. Dieser Che wurde als „Christus mit Waffe“ bezeichnet und von Jean-Paul Sartre als der „vollkommenste Mensch unserer Zeit“ verehrt. Denn in ihm sah der Philosoph das Ideal der völligen Übereinstimmung von Denken und Handeln verkörpert, frei und radikal.
Der Mythos nimmt seinen Anfang in Kuba, als Che nach ersten Revolutionsversuchen nur noch mit Fidel und 15 anderen übrig ist und schließlich 1959 doch den Diktator Battista von der Macht putscht. Eigentlich wird er Chef der Nationalbank und Industrieminister, aber vor allem reist er sendungsbewusst umher, mit seiner „Botschaft für die Völker aller Welt“. Er kündet von Entkolonialisierung und Weltrevolution, von Antiimperialismus und Internationalismus: „Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!“ Tatsächlich hält er sich an sein Motto: „Es gibt kein Leben außer der Revolution.“ Er verlässt nach einem Streit mit Fidel um die Treue zum sowjetischen System der Planwirtschaft den Ministerstuhl – und zieht weiter, im Namen des Ideals, in den Kampf, asketisch und kompromisslos. Vor allem in ihm und seinem Porträt findet die linke Revolte jener Zeit das ikonische Ersatzbild, geradezu sexy im Vergleich zu den grauen Kadern des russischen Sozialismus, ganz zu schweigen vom millionenfachen Morden Stalins. Und Che stirbt genau zur rechten Zeit und jung genug für die Rolle als Galionsfigur der 68er. Auch Wolf Biermann singt vom „Comandante Che Guevara“.
Che Guevaras Wiederauferstehung Mitte der 90er
Mitte der 90er feiert er als Ikone große Wiederauferstehung. Nicht nur, weil in Mexiko die Zapatisten unter Subcomandante Marcos einen ähnlichen Weg beschreiten. Sondern weil sich da generell eine neue, linke Kapitalismus- und Globalisierungskritik formiert, die auch bei weltweit wahrgenommenen Rockstars Widerhall findet. Also auch im Inneren des Klassenfeinds. Die Band Rage Against The Machine aus Los Angeles etwa tritt unter dem roten Stern von Ches Mütze auf die Bühne, packt Kordas Porträt auf ihr Fan-Shirt und singt reinsten Antiimperialismus: „We’ll kill them off, take their land and go there for vacation“ – wir rotten sie aus, nehmen ihr Land und fahren in den Urlaub hin.
Was außer der Wut gegen das kapitalistische System darin fortlebt: eine Bewunderung für die rückhaltlose Hingabe an ein Ideal, die den eigenen Lebenssinn mit dem Schicksal der Welt verknüpft. Umso mehr wirkt das, weil das klägliche Scheitern des tatsächlichen, globalen Umsturzversuchs die eigene Untätigkeit beruhigend abfedert. So können sich sogar Giselle Bündchen und Robbie Williams mit Che und einem gewissen „radical chic“ schmücken – statt der linken Weltrevolution geht es ja längst nur höchstens noch um soziale Gerechtigkeit. So wird Che zu einer Projektionsfläche, die kaum noch politisch ist, sondern nur noch die eigene Unangepasstheit symbolisieren soll. Wo die Rolle des Rebellen zur Image-Pose wird: Pop.
Als hätte Che diese Spiegelfechtereien geahnt: Sein Held ist die Titelfigur seines Lieblingsromans – der „Don Quijote“. Mit Verweis auf ihn hatte er sich auch von seiner Familie in den letzten Kampf nach Bolivien verabschiedet. Der Held ist eine ins Absurde gebrochene, romantische Figur, die man für seine poetische Verklärung der Welt liebt, vielleicht gerade weil die wirklichen Windmühlen unbesiegbar sind.
Fidel Castros politisch aufgeladene Asterix-Geschichte
Und da ist, auf der anderen Seite der Medaille, Fidel. Wer hier Romantik sucht, entdeckt eine Art politisch aufgeladene Asterix-Geschichte, spätestens nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Wie das kleine gallische Dorf den Römern trotzt Castros Kuba der Weltmacht nebenan, den USA. Zum Mythos gehört hier wesentlich die ursprüngliche Rettergeschichte: Die Karibikinsel ist zuvor Casino und Bordell der Amerikaner, Hort für die zynischen Abgründe eines entfesselten Kapitalismus – jetzt kommt mit Fidel ein kostenloses Bildungs- und Gesundheitswesen. Er, der einst als unehelicher Sohn gehänselt wurde und trotz des relativen Wohlstands seiner Familie auf einer katholischen Dorfschule mit dem einfachen Volk lebte, arbeitet nach seiner Politisierung im Studium auf die Ermächtigung und die Rechte eben dieses Volkes hin.
Mit dieser Gewissheit tritt er schon als Angeklagter beim Prozess nach dem ersten gescheiterten Putschversuch auf: „Verurteilt mich, die Geschichte wird mich freisprechen.“ So wie später bei bis zu neunstündigen Ansprachen vor dem Volk. Denn seiner Ideale ist er sich gewiss, schon 1961: „Ich bin Marxist-Leninist und werde es bis zum letzten Tag meines Lebens bleiben.“ Die Unbeugsamkeit, mit der Fidel diese Überzeugung als Herrscher einer kleinen, armen Insel im Zeitalter technisierter Kriege und riesiger Machtapparate verfolgt, hat gerade für die sonst zunehmend ernüchterte Linke romantischen Appeal, führt den Triumph des Willens vor. Und so erweisen gerade auch weltberühmte Kulturschaffende dem „Máximo Líder“ immer wieder ihre Referenz: die Amerikaner Oliver Stone und Sean Penn, Steven Spielberg und Francis Ford Coppola, aber auch Henri Cartier-Bresson.
In Zeiten des politischen Opportunismus und der alternativlos erscheinenden Verstrickungen in die Globalisierung wollen auch sie sich ein Bild von dem Häuptling dieses wirklichen gallischen Dorfes machen (der freilich alles andere ist als Majestix und die Insel weit entfernt von der fröhlichen Anarchie bei Asterix). Die Besucher zeigen sich jedenfalls ausnahmslos beeindruckt. Und spätestens dadurch erfüllt sich, was schon der Stundent Fiedel seinen Kommilitonen als sein Lebensziel ausformuliert hat: „Ruhm und Glorie“. Noch im Oktober dieses Jahres, als US-Präsident Obama als Zeichen der Versöhnung nach Kuba kam, schreibt Castro in der Parteizeitung Granma: „Wir haben es nicht nötig, dass uns das Imperium etwas schenkt.“ Fidel hat bis zuletzt an die Ikone geglaubt, für die ihn viele hielten. Und halten. Im Guten wie im Bösen. Für ihn, den Führer, war das immer klar entschieden. Wie für Che, den Ritter.