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Der Freund ein Spitzel - Herta Müller bestürzt

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Der Freund ein Spitzel - Herta Müller bestürzt

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    Der Freund ein Spitzel - Herta Müller bestürzt
    Der Freund ein Spitzel - Herta Müller bestürzt Foto: DPA

    Das Schicksal des rumäniendeutschen Lyrikers ist der Kern ihres Romans "Atemschaukel", für den sie 2009 den Nobelpreis bekam.

    Kurz vor der Lesung an diesem Donnerstagabend hatten die Ticker die ungeheuerliche Meldung geliefert: Oskar Pastior war von 1961 bis 1968 unter dem Decknamen "Otto Stein" Informant des rumänischen Geheimdienstes Securitate. Der Münchner Germanist Stefan Sienerth hat in Pastiors Akte eine entsprechende Verpflichtungserklärung entdeckt, die der Dichter unter dem Druck eines Verhörs abgegeben hatte.

    Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagt Müller, sie sei sehr bestürzt über diese Entdeckung. Als sie davon vor einigen Wochen erstmals erfuhr, habe sie "Erschrecken, auch Wut" verspürt: "Es war eine Ohrfeige." Ihre nächste Reaktion sei aber Anteilnahme und Trauer gewesen.

    Hat Herta Müller schon länger geahnt, dass der geliebte Freund trotz der scheinbar rückhaltlosen Vertrautheit diesen dunklen Punkt vor ihr geheim gehalten, ja vielleicht sogar geleugnet hat? War er besonders erpressbar, weil er die Entdeckung seiner Homosexualität fürchtete? Bei der Lesung am Donnerstagabend lässt sich Herta Müller nichts anmerken. Immer wieder ist an diesem Abend von der Securitate die Rede, diesem krakenhaften, alle Lebensbereiche lähmenden Ungeheuer - aber nie in Zusammenhang mit Oskar Pastior.

    Stattdessen schildert die Schriftstellerin in ihrer dichten, atemberaubenden Sprache, welche Bedeutung der Freund für sie und ihren preisgekrönten Roman über das Schicksal der in russische Lager deportierten Rumäniendeutschen hatte. "Es war das große Glück, dass er mir über die Lager erzählt hat - in so genauen, poetischen Erinnerungen, dass ich sagte, wir schreiben das Buch zusammen."

    Dazu kommt es nicht. Pastior, 26 Jahre älter als die heute 57-jährige Müller, stirbt 2006 unerwartet während der Frankfurter Buchmesse - der Georg-Büchner-Preis konnte ihm nur noch posthum verliehen werden. "Ich hatte vier große Hefte mit Notizen und vielleicht 30, 40 Seiten Text, die wir getippt hatten", erzählt Müller. "Das war wie ein Brachland."

    Zunächst gibt sie den Gedanken auf, das Buch zu schreiben: "Ich hatte ja in erster Linie einen sehr nahen Freund verloren. Ich musste mich verabschieden von dem Wir". Doch nach einem Dreivierteljahr wagt sie sich langsam wieder an die Notizen heran, rekonstruiert die Geschichten so gut es geht in seinem Sinne, schreibt mit dem Gedanken an sein Schicksal weiter. "Ich habe ihn gezwungen, noch ein bisschen zu leben, als ich an dem Buch gearbeitet habe."

    In der Lesung herrscht Stille. Der Berliner Publikum ist betroffen von der Schilderung, es ist ein sehr persönlicher Einblick. Was die Schriftstellerin wirklich fühlt, lässt sich nur erahnen. Schon einmal hat sie einen geliebten Menschen an den Geheimdienst verloren - als ihre einst beste Freundin Theresa sie nach der Übersiedelung in den Westen auszuspionieren versuchte. Die Erinnerung daran ist in den Roman "Herztier" (2007) eingeflossen, aus dem die Autorin an diesem Abend auch liest. Über Theresa sagt sie einmal: "Sie konnte nicht merken, dass "Du und Ich" vernichtet war."

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