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Interview: Cornelia Funke: "In Covid-Zeiten stolz, Deutsche zu sein"

Interview

Cornelia Funke: "In Covid-Zeiten stolz, Deutsche zu sein"

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    Cornelia Funke an ihrem Schreibtisch im kalifornischen Malibu. Gerade ist der vierte Band ihrer „Reckless“-Reihe erschienen.
    Cornelia Funke an ihrem Schreibtisch im kalifornischen Malibu. Gerade ist der vierte Band ihrer „Reckless“-Reihe erschienen. Foto: Michael Orth, Dressler Verlag, dpa

    Frau Funke, Sie haben in Ihren Büchern immer wieder menschliche Grenzsituationen ausgelotet. Hilft Ihnen das eigentlich, Verwerfungen wie die Covid-Pandemie mental besser zu meistern?

    Cornelia Funke: Ich glaube tatsächlich, dass einen das gut wappnet. Ich empfinde Situationen wie in diesem Jahr als Herausforderung und als eine Chance zu sagen: Wie können wir uns als nützlich erweisen? Es ist ja auch nicht so, dass die Welt davor heil und wunderbar war und uns dieses Virus plötzlich ins Chaos gestürzt hat. Wer hat denn zuvor in völliger Sicherheit gelebt? Aber vorher gab es ein enormes Maß an Verdrängung. Zur Klimakatastrophe etwa, von der die Leute zumindest schon mal gehört hatten, entwickelte sich kein größeres Bewusstsein. Jetzt muss die Welt endlich zugeben, dass sie an einem schlechten Ort ist.

    Gibt es Reaktionen der Gesellschaft, die Sie überraschen?

    Funke: Mich erstaunt, dass sich viele Leute so benehmen, als hätte es so etwas nie gegeben: Wieso dürfen wir plötzlich nicht aus dem Haus gehen? Warum läuft unser Leben nicht so, wie wir das gerne hätten? Da scheint es kein Gedächtnis für andere historische Situationen zu geben, die viel massiver und schwieriger waren. Man muss sich nur vorstellen, dass unsere Großväter noch in den Krieg gezogen sind. Gleichzeitig gibt es einen fast kindlichen Unwillen, kleine Opfer zu bringen, Beispiel: sich eine Maske aufzusetzen. Doch egal, über welche historische Epoche man liest, die Menschen haben sich nie vernünftiger benommen.

    Inwieweit hat die Pandemie Ihr persönliches Leben beeinträchtigt?

    Funke: Ich hatte letzte Woche meinen Covid-Test, weil Freunde von mir positiv getestet wurden, aber Gott sei Dank negativ. Und es wird wohl nicht der einzige bleiben. Ansonsten war es für mich ein sehr erfülltes Jahr. Denn Onlineveranstaltungen waren nicht mehr tabu. Früher musste ich viele Einladungen absagen, weil ich nicht permanent im Flugzeug sitzen will und Videoschaltungen nicht akzeptiert wurden. Das hat sich geändert. In dieser Zeit habe ich so viele Veranstaltungen und Gespräche mit allen möglichen Universitäten, Schulen oder Festivals gehabt wie noch nie. Gestern habe ich mit New York geredet, heute ist Mexiko dran und in drei Tagen Neu-Delhi. Da fühlt man sich auf seltsame Weise sehr mit der Welt verbunden.

    Andererseits bieten Sie mit Ihren Romanen eine Zuflucht vor unserer Realität – auch mit dem neuen Band der „Reckless“-Bücher, die eine detaillierte Alternativwelt ausbreiten. Inwieweit kann die Reise in solche Universen eine psychologische Erleichterung bieten?

    Funke: Meiner Meinung nach spiegeln fantastische Welten unsere Welt wider, und wir verarbeiten darin das, was uns in unserer Wirklichkeit begegnet, auf andere Weise. Gleichzeitig höre ich zunehmend von Lesern, dass das auch so etwas wie Heilorte für sie sind. Obwohl diese Fantasiewelt sehr selten friedlich und idyllisch ist, fühlt man sich hier geborgener. Das liegt wahrscheinlich daran, dass das Ganze einen Anfang und ein Ende hat, dass es Hoffnung und Zuversicht gibt. Denn man kann sich ziemlich sicher sein, dass die Autoren die Guten gewinnen lassen. Interessanterweise erleben Bücher in dieser Zeit einen großen Aufwind, vermutlich, weil sie eine andere Wirkung haben als eine Fernsehserie oder ein Film. Was wohl damit zusammenhängt, dass man sich in ihnen sehr lange zu Hause fühlen und seine eigenen Bilder hinzufügen kann.

    Bücher wie die Ihren dürften auch für Kinder eine wichtige Rolle spielen, nachdem die Möglichkeiten, sich zu treffen und gemeinsam Dinge zu erleben, für sie eingeschränkt werden.

    Funke: Dieses Gefühl hatte ich aber auch schon vor Covid. Es gibt ganz erschreckende Tendenzen, dass Kinder eben nicht mehr draußen spielen und ihre Welt entdecken können. Sie werden von der Schule so aufgefressen, dass sie nicht mehr wissen, wie es ist, unbeaufsichtigt in der Welt zu spielen. Deshalb muss man ihnen in Büchern wieder Lust darauf machen. Das ist für mich eine meiner wichtigsten Aufgaben.

    Nach all den Begegnungen mit den verschiedensten Kulturen, die Sie ja auch in den Spiegelwelt-Romanen reflektierten – wie nehmen Sie eigentlich Deutschland aus der Ferne wahr?

    Funke: Ich hatte vorgestern eine sehr interessante Veranstaltung mit dem Deutschen Haus an der New York University und dem Goethe-Institut, wo wir genau über dieses Thema sprachen. Seltsamerweise fühlen wir uns in Covid-Zeiten stolz, Deutsche zu sein. Man ist stolz auf die relativ erwachsene Politik und die Besonnenheit der Regierung. Ich stehe, was das politische Lager betrifft, deutlich links von Angela Merkel, aber ich bewundere, dass sie mit ihrer Flüchtlingspolitik das Mitleid zu einem politischen Prinzip gemacht hat. Insgesamt fühle ich mich jetzt mehr zu Hause im deutschen Denken, was eine sehr schöne Entwicklung ist, denn ich habe meine Wurzeln natürlich in der deutschen Kultur.

    Hierzulande ist freilich nicht jeder von der deutschen Pandemie-Politik begeistert.

    Funke: Das ist natürlich auch sehr deutsch: nicht zu sehen, was positiv an Deutschland ist. Viele Auslandsdeutsche nehmen wahr, wie gut ihre alte Heimat im Verhältnis zum Rest der Welt dasteht, aber zu Hause sieht man das nicht. Unsere Eigenschaft ist es leider oft, nur das zu sehen, was wir alles nicht haben, aber nicht glücklich und dankbar für all das zu sein, was wir haben.

    Sind Sie glücklich?

    Funke: Das bin ich. Vielleicht, weil ich an Dankbarkeit glaube und an das Glück, das sich in jedem Tag finden lässt. Wahrscheinlich hat mich diese Mentalität auch in die Ferne getrieben.

    Inwieweit fühlen Sie sich deutsch?

    Funke: Es gibt Eigenschaften, die mir die Amerikaner als deutsch ankreiden: Pünktlichkeit, Disziplin und eine Strukturiertheit beim Arbeiten und Denken, die einem keine Mühe bereitet. Ob das wirklich deutsch ist, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall wird das hier oft so interpretiert. Ich fühle mich jedenfalls zu Hause in einem kontinentaleuropäischen Denken, das nichts davon hält, dass die ganze Bevölkerung bewaffnet ist. Das daran glaubt, dass ein Staatswesen ein sozialer Vertrag ist, mit der Verpflichtung, sich auch um die schwächeren Glieder der Gesellschaft zu kümmern. Diese Prinzipien sind in den USA teilweise kaum vorhanden, weil sich das Land auf einen Gesellschaftsvertrag bezieht, der im 18. Jahrhundert geschlossen wurde. Das bereitet mir zunehmend Schwierigkeiten. Gleichzeitig sehe ich die Chancen in einem Land, das sich permanent über Immigration neu erfindet. Die Nationalstaaten Europas dagegen haben mit Einwanderung unglaubliche Schwierigkeiten, weil sie sich an bestimmte nationale Identitäten klammern, die teilweise sehr fragwürdig und ideologisch sind. Was sich da alles an Rassismus und Faschismus regt, ist erschreckend.

    Wie haben Sie auf die Präsidentschaftswahlen reagiert?

    Funke: Die Wahlnacht selbst war bestürzend, weil man sah, wie viele Menschen Trump immer noch wählen. Beim ersten Mal konnte man noch sagen, die wussten es nicht besser. Es ist ähnlich wie mit der bestätigten Brexit-Entscheidung der Engländer bei der letzten Parlamentswahl. Ich hatte Angst, dass wir eine ähnliche Situation erleben. Als sich dann die Wahlergebnisse aufgrund der Briefwahl änderten, gab es wieder Hoffnung, dass es das andere Amerika doch noch gibt. Nämlich das fantastische, aufgeklärte Amerika, wie ich es zum Beispiel von Kalifornien oder von der Ostküste kenne.

    Denken Sie, dass dieses andere Amerika, das Sie lieben, unter einer Regierung Biden die Oberhand gewinnen kann?

    Funke: Interessanterweise setzen Amerika und viele andere Länder nicht auf Charakter, sondern auf Charisma. Deshalb ist ein Trump, der dem Typ des Schulhof-Bullys entspricht, von so vielen Menschen gewählt worden. Aber ein so nachdenklicher Mensch wie Biden, der auch weiß, was Leid und Verlust bedeuten, tut mir ganz gut. Gleichzeitig ist er auch so klassisch amerikanisch, dass er diejenigen, die in den Nationalismus abgedriftet sind, teilweise erreichen kann. Der Multinationalismus dieses Landes lässt sich ja nicht mehr zurückdrehen. Und Biden kann vielleicht vermitteln, dass das ein Glück ist. Bei einer progressiveren Kandidatin, wie wenn etwa Kamala Harris Präsidentin wäre, wäre das unmöglich.

    Zur Person: Cornelia Funke, geboren am 10. Dezember 1958 in Dorsten, ist eine der bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen. Seit 2005 lebt sie in Kalifornien. Unter anderem schrieb sie „Tintenherz“, „Der Drachenreiter“ und „Die wilden Hühner“. Vor kurzem erschien der vierte Band ihrer „Reckless“-Reihe.

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