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Buchtipp: Die Auferstehung des tief gefallenen Benjamin von Stuckrad-Barre

Buchtipp

Die Auferstehung des tief gefallenen Benjamin von Stuckrad-Barre

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    Der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre hat ein neues Buch verfasst.
    Der Autor Benjamin von Stuckrad-Barre hat ein neues Buch verfasst. Foto: Daniel Reinhardt, dpa

    Eigentlich unglaublich, das alles. Da sitzt der Held nun, gut 20 Jahre, nachdem er mit all den Träumen von Größe und Bedeutung aus der niedersächsischen Provinz aufgebrochen ist, im legendären Luxushotel Chateau Marmont in West-Hollywood, hier untergebracht von seinem Freund Udo Lindenberg, und schreibt über ein Jahr hinweg sein Leben auf. In dem sich die Träume ja tatsächlich alle erfüllt haben: Er war einer der führenden Musikjournalisten hierzulande, eine Sensation der jüngeren deutschen Literatur, MTV-Starmoderator und Feuilleton-Promi. Er war Gag-Schreiber für Harald Schmidt, auf Augenhöhe mit all seinen Kunst- und Musikgöttern, auch mit Christoph Schlingensief und Helmut Dietl. In Los Angeles trifft er jetzt auch Thomas Gottschalk, Bret Easton Ellis, Elvis Costello – und auf dem Weg zum Film über seinen ehemaligen Rock-Jesus Kurt Cobain plaudert er dann auch noch mit dessen Witwe Courtney Love …

    Aber dieses Buch „Panikherz“, in dem das alles nun nachzulesen ist, ist trotzdem eine einzige große Tragödie. Und deren Held ist der Anti-Held seines eigenen irren Lebens.

    Benjamin von Stuckrad-Barre wurde mit Soloalbum bekannt

    Sein Name ist Benjamin von Stuckrad-Barre. Aufgewachsen als Pastoren- und Ökoelternsohn. Den meisten wohl bekannt geworden, als er 1998 mit „Soloalbum“ den deutschen Poproman mitbegründete.

    Übrigens indem er damals, er war Anfang 20, als eine Art Assistent von Friedrich Küppersbusch frech zu dessen Verlag spazierte und anstelle eines Buches, für das der renommierte, aber hier säumige Publizist bereits Vertrag und Vorschuss erhalten hatte, einfach ein eigenes Manuskript anbot – und tatsächlich triumphierte.

    Der Fernsehmoderator und Autor Benjamin von Stuckrad-Barre.
    Der Fernsehmoderator und Autor Benjamin von Stuckrad-Barre. Foto: Jens Kalaene, dpa

    Der dann aber, während er im gleißenden Licht der Öffentlichkeit stand, persönlich herunterkam bis zur Verwahrlosung, psychotisch und vereinsamt ins Dunkel abgleitend, nur noch nachts lebend, immer wieder vergiftet bis zur unmittelbaren Lebensgefahr.

    Hatte alles also einst begonnen wie mit den atemberaubenden Hochstapeleien von Thomas Manns Figur des Felix Krull – so folgte hier nun der zweite Teil, den es im Fragment gebliebenen Romanklassiker nicht gibt: der tiefe Fall des Überfliegers. Bloß, dass das hier eben kein Roman ist. Sondern das Leben des Autors.

    Es geht um den Autor selbst - und sein Leben

    Wobei: Man kann bei dieser Unterscheidung inzwischen ja gar nicht vorsichtig genug sein. Denn zahlreiche Autoren zeitgenössischer Romane schreiben mehr oder weniger exakt an ihrer Biografie entlang: allen voran der Norweger Karl Ove Knausgård, in den USA junge Helden wie Ben Lerner, in Deutschland etwa Andreas Maier und ganz aktuell Maxim Biller mit seiner „

    Auf Benjamin von Stuckrad-Barres „Panikherz“ aber steht nirgendwo das Wort Roman. Tatsächlich wirkte das auf fast 600 Seiten Dargestellte als Fiktion wohl auch schlicht zu unrealistisch.

    Und noch mehr: Wenn der Ich-Erzähler hier beschreibt, wie ihm in seiner Provinzkindheit nur die alten Songs von Udo Lindenberg Fluchten in die weite Welt ermöglichten; wie er als Kritiker später jenen Udo in gnadenlosen Verrissen verspottete; wie dessen Lieder aber immer, auch in den dunkelsten, besinnungslosen Nächten bei ihm blieben und ihn stützten; und wie der leibhaftige Udo schließlich mitsamt seiner Panik-Familie im Hamburger Hotel Atlantic dann zu seiner Rettungsinsel wurde – wäre das als Roman-Konstruktion nicht geradezu abgeschmackt?

    So aber erzählt es Stuckrad-Barre aus der Wirklichkeit, seinem Leben, immer wieder durchsetzt mit Udo-Zitaten, ihn als Heiligen preisend – obwohl es nach der vierten Entzugsklinik und dem völligen finanziellen Ruin faktisch wohl sein älterer Bruder war, der ihn letztlich auffing, ein Pastor übrigens, wie der Vater.

    Das mag also mehr dem popliterarisch stilisierenden als dem aufrichtig bekennenden Autor geschuldet sein. Und merkwürdig manieriert kommt daher, dass auf praktisch jeder Seite mehrfach wichtige Wörter in Großbuchstaben hervorgehoben sind. Ansonsten aber rührt die Geschichte dieses Absturzes wirklich an.

    Denn Stuckrad-Barre war immer schon ein betont unterhaltsamer Erzähler. Und so beschreibt er nun auch den Dreck und den Wahn, in dem er gelandet war, mit einem Schwung, der die Auswirkungen des Dramas erst begreiflich werden lässt: Der Drogenabsturz gehört für ihn in guter Tradition des Rock ’n’ Roll offenbar dazu zur Heldengeschichte.

    Dieser Stolz macht die Selbstentblößung nur noch kompletter und trauriger. Und dann noch das fast mythische Drama: Gerade er, der immer ins Rampenlicht, immer gesehen werden wollte, mochte dann selbst nicht, was er sah. Fand sich zu dick, fand sich unerträglich – und begann einen zerstörerischen Kampf gegen sich selbst. Und ob der nun, da er nüchtern auftritt und sich seine Lebensbeichte gut verkauft, schon ausgestanden ist, bleibt wohl erst noch abzuwarten.

    Buch: Benjamin v. Stuckrad-Barre: Panikherz Kiepenheuer & Witsch, 576 S., 22,99 Euro

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