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Buchkritik: Joachim Meyerhoff und das Hirnkino im Krankenhaus

Buchkritik

Joachim Meyerhoff und das Hirnkino im Krankenhaus

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    „Sie sind doch immer so ein ganz Lebendiger gewesen“: Joachim Meyerhoff, Schauspieler und Autor.
    „Sie sind doch immer so ein ganz Lebendiger gewesen“: Joachim Meyerhoff, Schauspieler und Autor. Foto: Ole Spata, dpa

    Wien, ein Krankenwagen steht am Gehsteig. Im Wagen liegt Joachim Meyerhoff, Burgschauspieler, Schriftsteller, erfolgreich, berühmt, gerade mal Anfang Fünfzig. Es ist ihm grauenhaft übel, eine Seite seines Körpers fühlt sich an wie wegradiert. Schlaganfall. Als er das Hufgetrappel vom vorbeitrabenden Fiakergespann hört, spürt er kurz einen Funken der Erleichterung darüber, „dass ich gleich mit einem Krankenwagen davonbrausen und nicht mit einer Krankenkutsche in ein vorsintflutliches Spital verfrachtet werden würde“.

    Es kommt dann aber anders: Der Krankenwagen braust nicht davon. Es vergehen Minuten und Minuten, fast eine Dreiviertelstunde, weil die Sanitäter auf die Anweisung warten, in welches Spital sie ihren Patienten bringen sollen. „Sie müssen in eine Stroke“, erklärt ihm der junge, vor Nervosität schwitzende Sanitäter. Aber gerade ist halt nirgends ein Platz frei.

    Erster Szenenapplaus an dieser Stelle für Joachim Meyerhoff, der in seinem neuen Roman „Hamster im hinteren Stromgebiet“ mit dieser grauenhaften Situation einsteigt – wie er um sein Leben fürchtet, um seinen Beruf, um seine Sprache – und dennoch im gleichen Moment schon das Absurde daran sehen und beschreiben kann. „Zeit ist Hirn“, zitiert er im vor sich hin wartenden Krankenwagen verzweifelt den Slogan der Schlaganfall-Nothilfen.

    Meyerhoff, Libeling der Literaturszene

    Es ist genau das, was er als Schriftsteller so wahnsinnig gut kann: Dem Leben, und ist es gerade auch noch so mies, eine komische Seite abzugewinnen. Das Schwere ein wenig leichter zu machen. Alle seine Bücher waren deswegen Bestseller.

    Er schrieb über sich und seine Familie, über seine Kindheit auf dem Gelände einer Psychatrie, seine Zeit als Austauschschüler, als junger Schauspiel-Adept, übers Liebeschaos als junger Schauspieler. Und immer auch über den Tod. Und das las sich so zärtlich, schön und tragikomisch, mit solch funkelndem Sprachwitz, dass Lesungen ebenso schnell ausverkauft waren wie seine großen Auftritte als Schauspieler. Liebling Meyerhoff.

    Nun also wieder ein Buch über einen Verlust – wobei Joachim Meyerhoff sich zum Glück ganz erholt hat, mittlerweile nicht mehr in Wien, aber in Berlin auch wieder auf der Bühne steht, demnächst in einer Adaption des Romans „Das Leben des Vernon Subutex“ von Virginie Despentes. Aber verloren hat er in diesen Tagen vor zwei Jahren den Glauben an die Unverwüstlichkeit des eigenen Körpers, „die Selbstverständlichkeit der Existenz“, wie er im Prolog schreibt. Auch davon handelt dieses Buch, das sich als fünftes des Romanzyklus „Alle Toten fliegen hoch“ nun dennoch von den bisherigen abhebt.

    Bislang schrieb Meyerhoff über die ziemlich weit zurückliegende Vergangenheit, letztes Jahrtausend jedenfalls. Diesmal vom Dezember 2018 und den Tagen, die er nach seinem Schlaganfall in einer Klinik verbrachte. Ganz ohne zeitliche Distanz. Als er begann zu schreiben, waren die Finger der linken Hand noch ganz zittrig...

    Joachim Meyerhoff als Sosias im "Amphitryon" an der Berliner Schaubühne.
    Joachim Meyerhoff als Sosias im "Amphitryon" an der Berliner Schaubühne. Foto: Fabian Sommer, dpa

    "Was war ich denn jetzt?"

    Und so begegnet der Leser nun also auch einem ganz anderem Protagonisten: Nicht mehr dem jungen, oft etwas unsicheren Jungen aus Schleswig-Holstein, den es in die große Welt verschlägt. Sondern einem Mann Anfang Fünfzig mit schärferem, erbarmungsloseren Blick auf sich und die Umgebung, der über sein Leben reflektiert, über die Trennung von der Mutter seiner zwei Töchter, sein neues Glück mit der Mutter seines Sohnes, über Schuld und Liebe nachdenkt.

    Und natürlich auch über die Frage sinniert, ob er es womöglich doch mal etwas langsamer angehen muss, und wie das aber gehen soll: „Wenn ich nicht brannte, war ich niemand. Mein Ich, war ich sicher, würde sich auflösen im Stillstand. Nur das Tempo meines Lebens hielt mich an der Oberfläche.“ Im Krankenhaus wird er übrigens auch gleich erkannt. „Sie sind doch immer so ein ganz Lebendiger gewesen“, sagt eine Ärztin mit schadenfreudig-heiterem Unterton. Und Meyerhoff denkt sich: „Was war ich denn jetzt? Ein ganz ein Toter?“

    Joachim Meyerhoff bei der Fotoprobe des Stücks «Die Welt im Rücken» im Akademietheater in Wien.
    Joachim Meyerhoff bei der Fotoprobe des Stücks «Die Welt im Rücken» im Akademietheater in Wien. Foto: Robert Jaeger, dpa

    Es wird gestöhnt, geröchelt, geweint

    Tagsüber erlebt er den Irrsinn Intensivstation. Schwerkranken wird Fleischsalat serviert. Im Bett nebenan verzweifelt ein junger Anlageberater: „Shit, shit… warum funktioniert das nicht …“ Es wird gestöhnt, geröchelt, geweint. Die Apparate piepsen. Die Nächte sind schlaflos, weil ihn da die Angst vor einem zweiten Schlaganfall packt. Um sie klein zu halten, hangelt er sich entweder langsam an einer Stange den Krankenhausflur entlang – nicht ohne kleine Balletteinlage – oder durchstöbert das geschädigte Organ nach Erinnerungen, reist noch einmal mit dem Bruder nach Norwegen, mit der großen Liebe in den Senegal, oder durchlebt den missglückten Patchwork-Familien-Urlaub auf Mallorca. „Hirnkino.“ Der Schriftsteller beginnt im Grunde schon im Krankenhaus wieder zu arbeiten und rettet sich mit seinen Erzählungen durch die Nacht …

    Ein anderer Meyerhoff also. Ein anderer Roman als die bisherigen. Näher dran am Heute, an sich, am Alltag, den eigenen Kindern, manchmal so nah, dass man als Leser fast ein wenig zurücktreten möchte. Und dann aber doch wieder ganz der alte Meyerhoff, der lakonisch feststellt: „Von der Rampensau zum sterbenden Schwan war es nur ein Katzensprung.“

    Als er das Krankenhaus verließ, hatte er den Titel für seinen Roman schon im Kopf. Das hintere Stromgebiet ist jenes Areal im Kleinhirn, in dem ein kleiner Propfen seine Arterie verstopfte. Den Hamstern begegnete er nachts, bei seinen Streifzügen. Eine ganze Kolonie lebt auf dem Krankenhausgelände. Er schrieb einem Onkel, Biologe, fragte ihn, was er denn über die Tiere wüsste. Der antwortete: „ Man sieht sie fast nie, also schätze Dich glücklich, wenn Du einen getroffen hast!“

    Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet. Kiepenheuer & Witsch, 320 S., 24 €.

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