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Buchkritik: Alter schützt vor Schönheit nicht: Lyrisches "Sprachlaub" von Martin Walser

Buchkritik

Alter schützt vor Schönheit nicht: Lyrisches "Sprachlaub" von Martin Walser

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    "Blind zu fallen wie ein Blatt": Schriftsteller Martin Walser.
    "Blind zu fallen wie ein Blatt": Schriftsteller Martin Walser. Foto: Ralf Lienert

    Martin Walser, Jahrzehnte lang hauptsächlich hervorgetreten mit Romanen, schlägt inzwischen kürzere literarische Wege ein. Das Alter dürfte daran nicht ganz unbeteiligt sein, der Schriftsteller begeht am 24. März seinen 94. Geburtstag. Doch wo andere Autoren längst nicht mehr schreiben, ist bei Walser die Produktion in permanentem Fluss. Nur dass er sich zunehmend auf Kürzeres verlegt: Nach „Spätdienst“ (2018) ist mit „Sprachlaub“ nun ein weiterer Gedichtband erschienen, und der Schriftsteller vom Bodensee liefert darin auch gleich einen Vers dafür, weshalb er nicht aufhören mag mit der Literatur: „Schreiben und Leben fielen bei mir / fast von Anfang an zusammen“. Auch in biblischem Alter kann er nicht anders.

    Es sind unprätentiöse, meist nur wenige Zeilen umfassende Texte, die hier versammelt sind, und der anspruchsvolle Lyrikleser wird mit diesen „Augenblickspoesien“, wie sie der Klappentext treffend nennt, wohl nicht im selben Maße sein Vergnügen haben wie der Liebhaber der Romanwelten und der Sprachkunst dieses Autors. Umkreisen die zumeist reimlosen Verse doch nicht nur dessen bevorzugte Themen, sondern intonieren diese auch im typischen Walser-Sound. In ihrem kompakten Zuschnitt erinnern die Texte an japanische Haikus, ohne doch die strenge Form dieser Kurzlyrik penibel aufzugreifen. Auch bei Walser kommt der Betrachtung der Natur eine hervorragende Rolle zu, die in zenbuddhistisch anmutender Genügsamkeit ihren poetischen Niederschlag findet. Blätter rascheln, ein Zweig knackt, der See wirft Sonnenstrahlen zurück, und der Autor – das lyrische Ich ist merklich eins mit ihm – macht sich seine Gedanken darüber. Über Werden und Vergehen, über Gott und die Welt.

    Blind zu fallen wie ein Blatt, lautet Martin Walsers Losung

    Das schließt das Nachsinnen über das Alter und den nun in Sichtweite gekommenen Tod mit ein, doch ist Walser weit davon entfernt, in Larmoyanz und Bitternis zu verfallen. Wohl aber hält er den in sich erspürten Drang nach Ende-Finden und Auflösung fest, womit die Absage an die Bedeutsamkeiten des Alltags einhergeht, die in ihrer Scheinhaftigkeit längst enttarnt sind. Die ausgegebene Losung für sich selbst lautet stattdessen: „blind wie die Blätter fallen / im Vergessenswind“.

    "Ich ersticke an den Schönheiten der Welt", schreibt Martin Walser.
    "Ich ersticke an den Schönheiten der Welt", schreibt Martin Walser. Foto: Ralf Lienert

    Walsers „Sprachlaub“ ist aber keineswegs nur auf Verdorren und Vergehen gestimmt. Immer wieder überrascht die Farbigkeit, in der sich diese Blätter auch zeigen können. „Ich ersticke an den Schönheiten der Welt“ heißt es dann, gefolgt von dem Eingeständnis, dass die diesseitige „Welt“ den Betrachter nach wie vor mit ihren Reizen zu stimulieren vermag. „Wahr ist, was schön ist“, lautet denn auch der Zweittitel des Bandes. Und es geht sogar noch enthusiastischer: „Unbedacht / leben, erfüllt sein von / jedem Augenblick, basta. / Nicht rückwärts und nicht vorwärts denken. / Tanzen wie die Eintagsfliege …“ Dass auch einem Bewusstsein im Angesicht seiner nahen Endlichkeit noch zum Daseinsjubel zumute ist, findet hier unmissverständlich ins Wort. Eine Ambivalenz des späten Empfindens, zu der sich die von Walser-Tochter Alissa verfertigten Aquarelle passend gesellen, die mit kalligrafisch bewegtem Strich in gedämpfter Farbgebung den Band durchziehen.

    Martin Walsers nicht mehr zu erreichendes Vorbild

    Für Walser, kein Zweifel, stellt das Schreiben einen Jungbrunnen dar. Dass da kontinuierlich eine geradezu Goethe’sche Häutung und Verjüngung stattfindet, zeigt das schönste Gedicht der Sammlung. Wunderbar diskret nimmt es auf den Verfasser der „Römischen Elegien“ Bezug, wenn das schreibende Walser-Ich darüber klagt, dass es sich „nie erzog“ zu „dem schönen alten Gesetz“ des kunstgerechten Versbaus. „Jetzt hätt ich’s gern intus / um damit Wirkungen zu bilden. / Aber statt einer dreisilbigen Schönen / hämmere ich mir nur aufs eigene Knie“ – Anspielung darauf, dass Goethe dagegen einst seiner römischen Geliebten Faustina den Hexameter sacht auf den nackten Rücken zu trommeln vermochte.

    Lebenssättigung und Lebenshunger, zwischen diesen Polen oszillieren die lyrische Notate. „Stich mich nicht in die Hüfte, Freund, … ich wehre mich nicht“, formuliert das letzte Gedicht, und wer hörte da nicht Freund Hein hervor? Martin Walser weiß um die Nähe des Todes („ich bin bedacht“) – und doch schließt er Gedicht und Band mit der trotzigen Absichtserklärung: „will / bis zum letzten Abend leben.“ Und schreiben, darf man angesichts des schon erwähnten Diktums hinzufügen. Was werden wir von diesem hochbetagten Nimmermüden noch erwarten dürfen?

    Buch Martin Walser. Sprachlaub oder: Wahr ist, was schön ist. Mit Aquarellen von Alissa Walser. Rowohlt, 142 Seiten, 28 Euro.

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