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Buch-Trends: Die neuen Welt-Erklärer: Warum wissenschaftliche Sachbücher boomen

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Die neuen Welt-Erklärer: Warum wissenschaftliche Sachbücher boomen

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    Immer mehr von der Welt entdeckt die Wissenschaft. Was die oft komplizierten Vorgänge bedeuten, das erklären viele Sachbücher anschaulich.
    Immer mehr von der Welt entdeckt die Wissenschaft. Was die oft komplizierten Vorgänge bedeuten, das erklären viele Sachbücher anschaulich. Foto: adobe-stock

    Elektrische Widerstände, Nitrat-Kreisläufe, die Zusammensetzung der DNA und viele Formeln. Wenn man an Unterrichtsstunden mit solchen Themen zurückdenkt, kommen viele ins Schwärmen. Oder? Naja, normalerweise nicht. Naturwissenschaften gehören nur bei wenigen zu ihren Lieblingsfächern. Während Sport, Deutsch und Mathe in Beliebtheitsstatistiken weit vorne liegen, müssen sich Biologie, Chemie und Physik meist mit hinteren Plätzen zufriedengeben. Trotzdem sind naturwissenschaftliche Sachbücher sehr beliebt. Gerade in den letzten Jahren landen sie immer wieder auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Wie kommt das?

    In den vergangenen Wochen war „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ von Mai Thi Nguyen-Kim auf Platz eins der Sachbuch-Liste. Die promovierte Chemikerin schreibt damit nach „Komisch, alles chemisch!“ ihren zweiten Bestseller. Darin liefert sie wissenschaftlich fundierte Fakten zu Streitfragen der Gesellschaft. Margit Ketterle leitet die Sachbuchabteilung im Verlag Droemer Knaur, in dem Nguyen-Kims Bücher erscheinen. Für sie ist „,Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit‘ das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt“. Obwohl Mai Thi Nguyen-Kim das Buch schon vor der Corona-Krise geplant habe, sei das Thema wissenschaftliche Fakten gerade jetzt wichtig.

    Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat zwei Sachbuch-Bestseller geschrieben.
    Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim hat zwei Sachbuch-Bestseller geschrieben. Foto: Henning Kaiser, dpa

    Das Interesse an Naturwissenschaften ist an sich nichts Neues. Schließlich sind Fernsehsendungen dazu von „Wissen macht Ah!“ über „Terra X“ bis zu „Quarks & Co.“ seit jeher beliebt. Die Bücher des Physikers Stephen Hawking verkaufen sich seit Jahrzehnten sehr gut, obwohl sie alles andere als leicht verständlich sind. Was sich aber verändert hat, ist die Art, in der die Wissenschaften in Büchern erklärt werden. Aktuelle Sachbücher sind normalerweise verständlicher und unterhaltsamer als früher.

    Ketterle sagt, die Veränderung sei durch das Internet und die Sozialen Medien entstanden. Auf YouTube beispielsweise erklären Wissenschaftler in kurzen Videos grundlegende Fragen. „Themen werden jetzt einfacher und kreativer aufbereitet“, sagt sie. Erklärungen seien dadurch leichter verständlich, die Schwelle sei niedriger und unabhängiger vom Bildungsniveau.

    Naturwissenschaften werden für neue Zielgruppen interessant

    „Außerdem sind die Formate online häufig auch gut verdaulich und kurzweilig, man darf schon auch einen Scherz machen“, so Ketterle. Die Wissenschaftserklärer von heute geben sich anders als der behäbige Professor im weißen Kittel. Auch in Sachbüchern gibt es laut Ketterle inzwischen einen gewissen „Entertainment-Faktor“.

    Dadurch würden Bücher für andere Zielgruppen interessant. Häufig versuchen die Autoren dabei, dass Wissenschaft nicht allzu abstrakt wirkt. Bei „Komisch, alles chemisch!“ sagt bereits die Unterzeile: In allem vom Kaffee bis zum Handy steckt Chemie. Damit soll sich möglichst jeder angesprochen fühlen. „Es geht oft darum, eine Zielgruppe anzusprechen, die gar nicht weiß, dass sie eine ist“, fasst Ketterle zusammen.

    Sachbücher verkaufen sich immer besser

    Gerade jetzt in der Corona-Pandemie sieht Ketterle die Bestätigung, dass die Welt die Wissenschaft braucht. Aktuell bekomme der Verlag viele Angebote von Forschern, die ebenfalls in einem Buch Wissenschaft erklären wollen.

    Sachbücher verkaufen sich seit Jahren immer besser. Der Umsatz ist 2018 und 2019 nach Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels jeweils um etwa fünf Prozent gestiegen. 2020 gab es zwar ein leichtes Minus, allerdings ging der Umsatz nicht so stark zurück wie in den meisten anderen Buchkategorien. Grund für das schlechte Verkaufsjahr waren laut Börsenverein die wochenlang geschlossenen Buchläden.

    Der britische Astrophysiker Stephen Hawking, hier im Jahr 2008, schrieb zwar Bestseller, leicht verständlich waren sie aber nicht.
    Der britische Astrophysiker Stephen Hawking, hier im Jahr 2008, schrieb zwar Bestseller, leicht verständlich waren sie aber nicht. Foto: Stefan Zaklin/EPA (dpa)

    Den größten Anteil innerhalb der Sachbücher haben mit fast 40 Prozent Bücher über Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Zehn Prozent sind dagegen naturwissenschaftlich. Dazu zählen auch Themen aus der Medizin. Hier ist der Bezug zum Leben der Leser am eindeutigsten. Bücher über Rückenschmerzen, Hüftprobleme oder Wechseljahre landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten.

    Überraschungserfolg vor einigen Jahren war „Darm mit Charme“ von Giulia Enders. Der Erfolg lag wohl zum einen daran, dass viele nur wenig über den Darm wissen und doch jeder damit zu tun hat. Vor allem war es aber die unterhaltsame und eben charmante Aufbereitung, die viele zum Lesen brachte.

    Science Slam als Einstieg in die Wissenschaftsvermittlung

    Enders hatte mit einem Text zum Darm bereits den ersten Preis des Science Slam in Freiburg, Berlin und Karlsruhe gewonnen. Und das scheint ein Punkt zu sein, in dem vieles zusammenläuft. Auch Mai Thi Nguyen-Kim war Science Slamerin. Will man die neue Art der Sachbücher verstehen, muss man diese Wettbewerbe berücksichtigen, in denen junge Wissenschaftler ihre Forschung möglichst unterhaltsam oder spannend vorstellen.

    Julia Offe von dem Veranstalter ScienceSlam.de fasst drei Punkte zusammen, die ein guter Science Slam braucht. Zum einen der bereits mehrfach erwähnte Bezug zum Alltag des Publikums. Außerdem sei eine Begeisterung für das Thema wichtig. Der dritte Punkt ist für Julia Offe der wichtigste: Eine Augenhöhe mit dem Publikum herzustellen. „Man muss zeigen, dass man ein ganz normaler Mensch ist“, sagt sie.

    Nahbare Wissenschaftler stellen einen Bezug zu den abstrakten Wissenschaften her

    Zum einen erwähnen die Wissenschaftler dann auf der Bühne, welchen Fußballverein sie mögen oder wie viel Pizza sie essen. Zum anderen erzählen sie auch mal, dass sie die Arbeit von zwei Jahren im Labor wieder wegschmeißen mussten, weil etwas nicht funktioniert hat. „Es geht nicht nur um die Fakten, sondern auch darum, den Menschen zu sehen“, sagt Offe. Der Wissenschaftler als Mensch stellt einen Bezug zu den abstrakt geglaubten Wissenschaften her. Autoren moderner Sachbücher lassen es in ihren Texten ebenfalls oft menscheln. Sie sind nicht nur Erklärer, sondern auch Bezugspersonen. Mai Thi Nguyen-Kim hat beispielsweise in den sozialen Medien viele Follower.

    Zum Schluss dann noch eine Ausnahme, die die Regeln bestätigt: Auch Bücher über Themen fernab der Lebensrealität der Leser können erfolgreich sein. Mit „Was ist die Welt und wenn ja wie viele“ hat der Amerikaner Sean Carroll einen Bestseller ausgerechnet über Quantenmechanik geschrieben. Viel theoretischer geht gar nicht. Allerdings geht Carroll auch mit großer Vorsicht vor und gibt sich Mühe, seine Leser abzuholen. Sein Vorwort hat die Überschrift: „Keine Angst!“ Sachbuch-Autoren sind eben nicht mehr nur Erklärer, sondern begleiten durch die Welt der Wissenschaft.

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