Bob Dylan mag keine Interviews. Früher hat er Reporter gerne mit Nonsens-Antworten vergackeiert. Heute schweigt er. Zuletzt drei Jahre lang.
Jetzt ist Bob Dylans neues Album erschienen. Zur Werbung für das Werk hat er mal wieder geredet. Die Wahl des Gesprächspartners sagt viel über den Status von Dylan. Kein Musikjournalist, sondern Douglas Brinkley, ein Geschichtsprofessor, der als Buchautor erfolgreich ist, durfte ihn für die New York Times interviewen.
Der Gesprächsbedarf ist groß. Denn „Rough And Rowdy Ways“ (Sony) ist Dylans erstes Album mit eigenen Werken nach acht Jahren. In der Zeit war er zwar unermüdlich auf Konzertreisen und veröffentlichte auch drei Alben. Aber zur Verwirrung und zum Missfallen vieler Anhänger enthielten die lediglich Interpretationen von Songs aus der Hochzeit von Frank Sinatra & Co.
Jetzt aber endlich wieder eine „echte“ Dylan-Platte. Oder besser: zwei. Die zehn Stücke sind insgesamt etwa 70 Minuten lang, ließen sich also auf einer CD unterbringen. Dylan verteilt sie auf zwei. Eine Marotte des Meisters, die man schon von den „Sinatra“-Alben her kennt.
Neues Album von Bob Dylan: Ein Wortschwall wie sonst nur auf Hip-Hop-Platten
Vielleicht will Dylan seinen Zuhörern mit dem erzwungenen Plattenwechsel eine Verschnaufpause verschaffen. Denn wer auf die Textinhalte achtet, der wird von dem 79-Jährigen ziemlich gefordert. Das amerikanische Branchen-Magazin Variety bescheinigte jedenfalls dem neuen Opus einen Wortschwall, wie man ihn sonst nur von Hip-Hop-Platten kenne.
Viele Worte – über was? Über alles, was ihm gerade so durch den Kopf geht. So lassen sich, vereinfacht, Dylans Antworten auf die „Was-haben-Sie-sich-dabei-gedacht“-Fragen des professoralen Interviewers zusammenfassen.
Ein tieferer Plan? Nein. „Diese Songs kommen aus heiterem Himmel... They kind of write themselves and count on me to sing them.“ Sie schreiben sich wie von selber und setzen darauf, dass ich sie singe. So einfach geht das bei Bob Dylan.
Und so entstehen waghalsige Zeilen, in denen er lässig seltsamste Assoziationsketten aufbaut. „I’m just like Anne Frank, like Indiana Jones, and them British Bad Boys, The Rolling Stones“. Ein Auszug aus „I Contain Multitudes“, ein programmatischer Titel, der sich mit „Ich bin vielfältig“ übersetzen lässt.
Interviewer Brinkley bohrt nach, warum er das jüdische Mädchen mit der Hollywood-Figur und den britischen Rock’n’-Rollern in einem Atemzug nennt. Dylans antwortet ausführlich – und unverständlich.
Gerne würde man auch wissen, was ihn zu „My Own Version of You“ inspiriert hat. Der Ich-Erzähler geistert wie eine Art Dr. Frankenstein durch die Welt und bastelt sich seinen Lieblingsmenschen.
Bob Dylan und sein neues Album: Das Namedropping ist ständiges Stilmittel
Auch seine eigene Endlichkeit thematisiert Dylan. Bei einem bald Achtzigjährigen nicht überraschend. Er trifft den „Black Rider“, den schwarzen Reiter. Singt darüber, dass er den Rubikon überquert, damit nur noch einen Schritt vom Jenseits entfernt ist. Und raunt düster: „I go right to the end.“ Ich gehe ganz bis ans Ende. Von da aus richtet sich der Blick vor allem zurück. Es fällt auf, dass in den zehn Songs permanent historische Referenzen auftauchen, von den Kreuzzügen bis zum Kennedy-Mord. Auch das Namedropping, das dauernde Nennen von mehr oder minder bekannten Namen, ist zum nahezu manisch angewandten Stilmittel geworden.
Dylan-Deuter haben gezählt: Alleine in dem Mammutstück „Murder Most Foul“ werden in knapp 17 Minuten rund 80 Personen erwähnt. Politiker, Künstler, Mörder, Wohltäter, Stars, Sternchen, fiktive Figuren, reale Menschen… Ein Hörspiel, hinterlegt mit dezentester Hintergrundmusik in einer meditativen Endlosschleife.
In den anderen, strukturell konventionelleren Stücken, ist seine in vielen Tourjahren eingespielte Begleitband präsenter, spielt mal kräftig zupackend, mal hauchzart, aber immer elegant und präzise. Raum für solistische Ausflüge gewährt Dylan seinen Begleitern allerdings kaum. Das gesprochene, gesungene, gekrächzte Wort beansprucht den Platz im Rampenlicht.
Mit „Rough And Rowdy Ways“ hat Dylan ein faszinierendes, packendes akustisches Wimmelbild entworfen. Wollte man die Songs auf eine Leinwand übertragen, Pieter Bruegel und – für die dunkleren Stellen – Hieronymus Bosch wären die Meister, die den Job übernehmen könnten. Mit einem Gemälde vergleicht Dylan sein Werk auch im Interview mit dem Professor. „The song is like a painting, you can’t see it all at once if you’re standing too close.“ Den Inhalt könne man nicht sofort erfassen, wenn man zu nahe am Bild stehe.
Überwältigende Wortgewalt oder hohles Wortgeklingel? In der englischsprachigen Welt sind die Kritiker vom neuen Werk des alten Dylan fast durchweg begeistert. Variety (USA) attestiert„fesselnde Rätselhaftigkeit“, der Rolling Stone (USA) findet, dass Dylan „Terrain erforscht, das noch niemand zuvor erreicht hat“.
Der Guardian in England erkennt Vorzüge für alle: „Die hartgesottenen Fans können Monate damit verbringen, die verzwickten Texte zu enträtseln. Aber man braucht keinen Doktortitel in Dylanologie, um die einzigartige Klasse und Wucht zu genießen.“
Und beim Sydney Morning Herald in Australien sind sie sich sicher: „Dieses Album wird den Lauf der Zeit überstehen.“
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