Das graue Haar ist zerzaust, als würde in diesem Kopf ein Kampf ausgetragen. Ernst und konzentriert führt der Blick aus den dunklen Augen in eine ungewisse Ferne. Gleich schwirren die Götterfunken auf diesen Genius herab, den Griffel hat er schon in der Hand. Und dann landen die nächsten Takte der „Missa solemnis“ auf dem Notenblatt. Tatsächlich sieht der ewig unzufriedene Ludwig van Beethoven hier so dermaßen gut aus, dass er selbst ganz angetan war. Und begreiflicherweise ist es das vor 200 Jahren entstandene Porträt, das um die Welt geht und jetzt, im Beethoven-Jahr, erst recht über die Musikszene hinausschwappt. Aber der Maler?
Im Vergleich zum Komponisten zählt Joseph Stieler zu den weniger bekannten Größen seines Fachs. Dabei hat jeder seine Bilder im Kopf. Goethe, Humboldt, Schelling – immer sind es die Gemälde Stielers, die in die Geschichtsbücher, auf Briefmarken oder Plakate gelangen. Und es waren längst nicht nur die Forscher und die Kreativen, die sich von ihm „abconterfeien“ ließen, sondern auch die Schönen und Reichen und Mächtigen. Seit den 1820er Jahren hat ein Stieler-Porträt zu den Must-haves der Celebrities gehört, und gerade bei den Wittelsbachern ist er gut beschäftigt. Erst bei Max I. Joseph, der die Pfalz verlassen hat, um in München den Thron zu besteigen, dann als Hofmaler bei dessen Sohn Ludwig.
Wobei es eine Reihe attraktiver Münchnerinnen sogar ohne dynastische Verewigungsansprüche auf die Leinwand schafft. Ludwig I., der jedem Rockzipfel hinterherjapst, lässt Stieler ab 1827 die Schönheiten der Stadt porträtieren. Hübsche Bürgerstöchter wie die kesse Auguste Strobl oder die etwas arglos wirkende Dienstbotin Helene Sedlmayr. Aber auch diverse Grazien aus Adelskreisen wie die Marchesa Florenzi, die der bayerische König oft in Italien besucht. Nur Lola Montez malt Stieler mit einigem Zögern. Ludwigs dominante Mätresse wird vom Volk verachtet, und der Künstler will mit diesem öffentlichen Ärgernis, das bald zu einer Staatskrise führt, nichts zu tun haben.
Joseph Stieler, ein talentierter Mann aus Mainz
Widerspruch kann er sich in den 1840er Jahren durchaus leisten. Stieler ist über sechzig, etabliert und hoch verehrt, Allüren sind ihm dennoch fremd. Eher hat sich dieser Maler eine wohltuende Bescheidenheit bewahrt, es hätte ja auch ganz anders kommen können für den talentierten Mann aus Mainz. Zwar wird Stieler am 1. November 1781 in eine Künstlerfamilie geboren. Doch die unbeschwerte Kindheit nimmt ein Ende, als der Vater stirbt.
Joseph kompensiert den Verlust mit exzessivem Zeichnen. Bald traut er sich an Porträts, und bereits mit 14 malt er die Mutter mit einer Spitzenhaube überm bleichen, sorgenvollen Gesicht. Genauso gelingt das Miniaturbildnis seiner Schwester Babette so gut, dass nicht nur der Rahmenmacher Modell sitzen möchte. Stieler kommt im damals noch überschaubaren Mainz schnell vorwärts, lernt einflussreiche Mentoren wie den Reichsfreiherrn und Erzbischof Karl Theodor von Dalberg kennen, die ihm an den Höfen Europas Kontakte verschaffen.
Auch das Studium beim einflussreichen Klassizisten Heinrich Füger, dem Direktor der Kaiserlichen Akademie in Wien, dürfte Dalberg vermittelt haben. Füger sieht sofort sein Potenzial und will ihm die Historienmalerei schmackhaft machen. Allerdings kehrt ein altes Augenleiden zurück und vermasselt Stieler eine sichere Karriere als Chronist bedeutender Ereignisse. Er muss sich auf kleinere Formate beschränken und fährt damit letztlich sehr viel besser. Porträts sind immer gefragt. Und Stieler ist ein angenehmer Zeitgenosse, gesellig, gebildet und verlässlich.
Auf seinen Reisen quer durch Europa lässt er kaum eine Galerie aus, und er hat keine Scheu, von München aus zu Fuß nach Paris zu wandern. 2000 Kilometer legt er in zweieinhalb Monaten zurück, kommt durch Augsburg, Konstanz und Zürich, um sich an der Seine „als Glücklichsten aller Sterblichen“ zu bezeichnen. Denn jetzt kann er sich beim Porträtisten François Gérard mit dem Klassizismus französischer Prägung beschäftigen.
Auch die Bayern begeistern sich für Joseph Stieler
Wichtiger wird freilich die Bekanntschaft mit Napoléons Adoptivsohn Eugène de Beauharnais. Dessen Gemahlin Auguste Amalie von Bayern lässt ihre Kinder von Stieler malen und schickt die Bilder nach München zu den Großeltern: Max I. Joseph und seine Frau Karoline sind hellauf begeistert – das ebnet den Weg in die Residenz. Stieler bringt die Regenten und deren Familien mal staatstragend, mal privat auf die Leinwand. Auch Prinzen und Prinzessinnen wie Sisis Mutter Ludovika, die sich aus politischer Räson mit Herzog Max in Bayern vermählen muss und dann vom vermeintlich leutseligen „Zithermaxl“ ein Leben lang betrogen wird. So wie ihre Schwägerin Therese, die mit Kronprinz Ludwig immerhin noch eine rauschende Hochzeit feiern darf und damit die Oktoberfest-Tradition begründet.
Die Galerie der Schönheiten ist für Therese eine Kränkung in 38 Etappen und in der damaligen Zeit ein unfassbarer Skandal. Der integre Stieler hat seine liebe Not, und doch liegt ihm diese Arbeit ganz besonders. Die besten Seiten einer Person herauszukehren, sie geschmackvoll- elegant und ohne Pomp in Szene zu setzen, gehört zu seinen Vorzügen. Und sei es mit einer für ihn typischen Stola – man denke an das aparte Wiener Tuch mit seinen türkischen Mustern und kräftigen Farben, das er der Münchner Hofsängerin Katharina Sigl 1828 über die Schulter legt.
Man mag diese Porträts heute als zu glatt und geschönt bekritteln und vergisst dabei, dass das Faltenkillen, Wegpixeln und Weichzeichnen, kurz, das Aufhübschen mit digitalen Bildprogrammen im Grunde nichts anderes ist. Nur sehr viel weniger kunstvoll. Denn dass Stieler sein Metier beherrscht hat, kann man ihm kaum absprechen. Die Innovation, die seit der Moderne so eilfertig eingefordert wird, war in diesem Genre kaum gefragt. Eher der feinfühlig zugewandte Umgang mit den nicht immer einfachen Klienten.
Goethe nahm sich 1828 Zeit für über zehn Sitzungen, mit dem belesenen Stieler konnte er sich angeregt unterhalten. Nur der unwillige Beethoven floh angeblich beim vierten Treffen. Deshalb sind etwa die Hände, die der Künstler aus dem Gedächtnis konstruieren musste, nicht sonderlich gelungen und für einen 50-Jährigen zu zart. Andy Warhol, der selbst zum Society-Porträtisten avancierte, hat das nicht interessiert, als er den Rockstar der Klassik in den späten Achtzigern durch die knallbunte Pop-Art-Maschinerie trieb. Seine Beethoven-Siebdrucke bringen bei Auktionen sechsstellige Summen ein. Die Originale Stielers, der 1858 mit 77 Jahren starb, wechseln oft für deutlich weniger den Besitzer.
Aktuell Im Allitera Verlag ist eine neue Publikation über den Maler erschienen (Sonja Still: Joseph Stieler. Der königlich-bayerische Hofmaler. 196 S., 35 €).
Die Geschichte der Frau, die Stieler ebenfalls porträtierte:
Liebhaberin von Ludwig I., Hochstaplerin, Tänzerin: Wer war Lola Montez?