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Bildbetrachtung: Das "Floß der Medusa" - ein Schiffbruch der Zivilisation

Bildbetrachtung

Das "Floß der Medusa" - ein Schiffbruch der Zivilisation

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    Theodore Géricault: „Das Floß der Medusa", 1818/19, zu sehen im Pariser „Louvre“. 
    Theodore Géricault: „Das Floß der Medusa", 1818/19, zu sehen im Pariser „Louvre“.  Foto: Foto: akg

    Bei bestem Wetter und seichter See läuft die Fregatte „Medusa“ im Juli 1816 vor der afrikanischen Küste auf Grund. Was nun folgt, hatte sich zuvor niemand an Bord vorstellen können. Der Bericht zweier Überlebender schockiert ganz Europa – vor allem wegen der amateurhaften Ursachen und wegen der kannibalistischen Auswüchse.

    Den französischen Künstler Théodore Géricault veranlassten die schlimmen, tragischen Vorfälle zu einem der heute berühmtesten Gemälde der Welt: „Das Floß der Medusa“, zu sehen im Pariser Louvre, wo es vor 200 Jahren, am 25. August 1819 erstmals im Rahmen des „Salon de Paris“, dieser jährlichen Kunstschau zu sehen war. Für das Öl mit den monumentalen Maßen von knapp fünf auf gut sieben Meter hatte Géricault die Hautfarbe von Toten und Sterbenden studiert. Das polarisierende Ergebnis: direkte und indirekte Darstellung menschlicher Grausamkeit in Folge einer Schiffskatastrophe. Er malte eine skandalöse Tragödie, an die Frankreich sich nur unter Schaudern erinnerte; er malte – und das ist so konkret wie metaphorisch zu verstehen – einen Schiffbruch der Zivilisation.

    Seinen bösen Lauf nahm alles Anfang 1816, als Hugues Duroy de Chaumareys das Kommando über ein Schiffsgeschwader mit symbolträchtigem Auftrag erhielt. Vier Schiffe, angeführt vom Stolz der französischen Marine, dem Flaggschiff „Medusa“, sollten nach Saint-Louis in Senegal segeln, um die dortigen Kolonien von England zu übernehmen. Der Royalist Hugues Duroy de Chaumareys war zwar Nachfahre eines Admirals, doch er selbst hatte sein letztes Schiff ganze 25 Jahre zuvor kommandiert. Das merken bald auch die Seeleute, die unter seinem Kommando stehen, als die Schiffe „Medusa“, „Loire“, „Argus“, „Echo“ im Juni 1816 von Frankreich aus aufbrechen.

    Schon nach wenigen Tagen fällt das Geschwader auseinander, da das Flaggschiff weit schneller ist. Als dann wenig später ein Schiffsjunge ins Meer stürzt und ertrinkt, weil die Rettungsmaßnahmen nicht schnell genug durchgeführt werden, bekommen es die Seeleute an Bord erst recht mit der Angst zu tun, weil es gilt, gefährliche Gewässer zu durchfahren. Es kommt nach Streit zwischen den Offizieren und dem Kommodore zu weit Schlimmeren: Chaumarey ernennt den Passagier Antoine Richeford zum Vorgesetzten aller Dienstgrade, obwohl auch dieser kaum nautische Erfahrung hat. Die „Medusa“ steuert in die Katastrophe.

    Anstatt Kap Blanc, die letzte große Landmarke vor der gefährlichen Arguin-Sandbank, zu umfahren, wählt Richeford einen Kurs nahe Afrikas Küste. Erfahrene Offiziere versuchen zu retten, was zu retten ist: Eigenmächtig loten sie die Tiefe des Wassers mit einem Senkblei aus. Als der wachhabende Offizier den ahnungslosen Richeford warnt, die „Medusa“ steuere auf eine Sandbank zu, winkt dieser überheblich ab. Schießlich passiert, was viele der Seeleute befürchtet hatten: „Medusa“ läuft in nur fünfeinhalb Meter tiefem Wasser auf.

    200 Menschen sollen auf ein Floß, das eilig zusammengeschustert wurde

    Mannschaft und Passagiere verfluchen die Befehlshaber, Offiziere stellen Chaumareys und Richeford zur Rede. Im Bericht an das Marineministerium wird es später heißen: „Das Unglück verbreitete die tiefste Bestürzung.“ Doch der eigentliche Schrecken beginnt erst, nachdem alle Versuche scheitern, das 47 Meter lange und zwölf Meter breite Schiff wieder frei zu bekommen. Dabei hat die „Medusa“ nicht ansatzweise genügend Rettungsboote für alle der 400 Menschen an Bord.

    Ein irrwitziger Plan der Kommandierenden wird umgesetzt: Die rund 200 Personen, die nicht mehr in den Beibooten Platz finden, sollen auf einem eilig zusammengeschusterten Floß von den Rettungsbooten bis nach Saint-Louis gezogen werden. Ob es Alternativen zu diesem Himmelfahrtskommando gegeben hätte, wird später Gegenstand eines Gerichtsprozesses sein. Am 5. Juli 2016 besteigen die Passagiere der Fregatte, unter ihnen der künftige Gouverneur von Senegal, Julien Schmaltz, hohe Offiziere und Beamte, die Boote. Das Floß macht indes einen derart seeuntüchtigen Eindruck, dass viele der Schiffbrüchigen – vor allem Soldaten, denen man die Gewehre abnimmt –, aber auch Handwerker nur mit Waffengewalt hinauf gezwungen werden können.

    Die Schiffsbrüchigen erstechenund erwürgen sich gegenseitig

    Über die etwa 20 Meter lange und sieben Meter breite Konstruktion aus Masten, Planken und Takelage schreiben zwei Überlebende später: „Die Menschen standen auf dem Floß bis zu den Hüften im Wasser.“ Nachdem 150 Personen auf das Floß evakuiert waren, standen diese bereits so eng zusammen, dass „keiner auch nur einen einzigen Schritt hätte tun können“. Von den zugewiesenen letzten 50 Mann blieben 17 lieber auf dem Wrack der „Medusa“ zurück, als sich der Konstruktion anzuvertrauen. Die anderen werden doch noch auf die Boote verteilt.

    Dann passiert, was erwartbar war: Die ziehenden Boote werden zum Spielball der Wellen. Und ihre Insassen sind sich selbst näher als die Schiffsbrüchigen auf dem Floß. Ein Seil nach dem anderen wird gekappt. Auch dies ein Umstand, dem später der Gerichtsprozess nachgeht, bei dem Chaumarey, der die Küste erreichte, zu drei Jahren Festungshaft verurteilt wird.

    Nachdem alle Seile gelöst waren, sind die 150 Menschen auf dem Floß sich selbst überlassen – und zwar ohne Ruder, ohne Segel, fast ohne Proviant. Nach Stunden des Fluchens, Weinens und Betens nehmen sich die ersten das Leben und stürzen sich ins Meer, andere verklemmen ihre Gliedmaßen derart schwer zwischen den zusammengebundenen Balken des Floßes, dass keine Hilfe möglich ist. Ein wilder Kampf entbrennt zwischen denen, die mit ihrem Leben bereits abgeschlossen haben, und jenen, die noch einen letzten Funken Hoffnung in sich tragen. Über Stunden hinweg fallen die Rettungssuchenden immer wieder übereinander her, erstechen und erwürgen sich gegenseitig, werfen Leidensgenossen über Bord. In einer Nacht sterben 60 Menschen.

    Savigny, ein Wundarzt, und Corréard, ein Geograph, die wie durch ein Wunder dem Massaker entkommen, werden sich später in ihren Aufzeichnungen erinnern: „Nun waren wir noch achtundzwanzig. Aber nur fünfzehn von uns schienen ihr Leben noch ein paar Tage fristen zu können.“ Das Trinkwasser an Bord war zu dieser Zeit nahezu aufgebraucht und so fassen die Kräftigeren einen schrecklichen Entschluss: Um ihr eigenes Leben zu retten, stoßen sie dreizehn Sterbende ins Meer.

    Erst sechs Tage später entdeckt die Brigg „Argus“ das Floß der „Medusa“ auf dem offenen Ozean. Die fünfzehn Männer an Bord sind mehr tot als lebendig; Leichenteile, von denen sie sich ernährt hatten, liegen verstreut umher. Théodore Géricault hält später genau diese Szene der beginnenden Rettung in seinem Gemälde fest, das zunächst neutral „Schiffbruchsszene“ bzw. „Untergangsszene“ hieß. Als ein Punkt am Horizont neben den beiden mit Tüchern winkenden Schiffsbrüchigen taucht die „Argus“ auf, die realiter aber zunächst am Floss vorbeifuhr, bevor sie die 15 Überlebenden aufnahm. Géricault bereitete sich präzise auf sein Werk vor – auch indem er mit dem überlebenden Arzt Savigny sprach, das Meer bei Le Havre studierte – und eben Sterbende und Tote.

    Savigny taucht auf dem Gemälde auch auf – so wie manch anderer Zeitgenosse Géricaults. Savigny ist der sinnende Bärtige links vom Mast, an dem zum Zeitpunkt der Katastrophe Menschenfleisch zum Dörren aufgehängt war; Maler-Kollege Eugène Delacroix war – im grunde unkenntlich – das Modell für den mit ausgestrecktem Arm Sterbenden in der Mitte vorn, und Géricaults Assistent Louis-Alexis Jamar ist verewigt in dem nackten Mann vorne links, der ins Wasser zu gleiten droht.

    Was für ein Historiengemälde! Was für ein Sinnbild!

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