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Interview: Bezirksheimatpfleger: "Wir wollen die Zeit nicht zurückdrehen"

Interview

Bezirksheimatpfleger: "Wir wollen die Zeit nicht zurückdrehen"

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    Christoph Lang ist der neue Bezirksheimatpfleger Schwabens.
    Christoph Lang ist der neue Bezirksheimatpfleger Schwabens. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Lang, Sie sind jetzt hundert Tage im Amt. Haben Sie schon alle Antrittsbesuche gemacht?

    Christoph Lang: Hätte ich gern, aber auch ohne Corona-Beschränkungen hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Mit den meisten Partnern setzt man sich gern zusammen, Telefon oder Videokonferenz sind dafür nur ein schwacher Ersatz.

    Vermutlich haben Sie einen Sack voller Wünsche mit nach Hause gebracht?

    Lang: Ja klar, wobei der größte Anteil darin der Wunsch nach guter Zusammenarbeit und der Weiterführung der bisherigen Arbeit der Bezirksheimatpflege ist. Sei es bei der Tagung zur Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben oder bei dem Arbeitstreffen der Kreis- und Stadtheimatpfleger oder das Januartreffen der historischen Vereine. Sonst halten sich konkrete Erwartungen noch zurück, sie werden üblicherweise eher beiläufig geäußert. Es ist einfach etwas anderes, wenn man bei historischen Tagungen ein anregendes Pausengespräch führt.

    Welche Pflichtaufgaben hat der Bezirksheimatpfleger?

    Lang: In erster Linie ist es die fachliche Beratung im Haus, des Bezirkstags, seines Präsidenten und der gesamten Bezirksverwaltung. Dann im weitesten Sinne die Mitwirkung an allem, was die Heimatpflege betrifft. Wir sind zum Beispiel berechtigt, Stellungnahmen bei Bauvorhaben abzugeben. Wir haben relativ wenige, konkret definierte Pflichtaufgaben. Vieles liegt im Bereich von Forschen und Vermitteln.

    Man beschreibt Sie als jung und dynamisch: Wie viel Elan und Lust auf Neues steckt in Ihnen?

    Lang: Viel. Ich gehe gern zur Arbeit. Ich hatte immer das große Glück, dass einerseits Interesse und Hobby mit dem Beruf andererseits zusammenfallen. Ich habe Lust, mit Menschen zu kommunizieren. Für mich ist hier vieles neu, selbst Formate, die vor dreißig Jahren eingeführt wurden, sind für mich zum Teil neue Themen. Ich werde nicht alles umkrempeln, denn das, was mein Vorgänger Peter Fassl angepackt hat, war solide, verdienstvoll und gut.

    In 33 Amtsjahren hat Bezirksheimatpfleger Fassl große Fußstapfen hinterlassen: Wie gehen Sie damit um?

    Lang: Er hat mir verboten zu sagen, ich träte in große Fußstapfen. Aber Dr. Fassl hat wirklich beachtliche Arbeit gemacht, er hat viel geleistet, vor allem wenn man sich überlegt, woher die Heimatpflege kam. Noch in den 60er und 70er Jahren steckte Ideologie drin, wenn man nur bedenkt, was alles germanisch-keltischen Ursprungs hat sein sollen. Es war so notwendig, dass jemand die Heimatpflege einmal auf wissenschaftliche Grundlage gestellt hat. Peter Fassl hat sich mit Themen befasst, die für die Heimatpflege zuvor völlig undenkbar waren: NS-Geschichte in unseren schwäbischen Dörfern! Oder die Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben anzugehen – das ist so verdienstvoll. Und er ist bewusst nüchtern aufgetreten, nie im Trachtenjanker. Das hat dazu geführt, dass die Bezirksheimatpflege nie mehr als Brauchtumspflege empfunden wurde, sondern als ernst zu nehmende Institution.

    Wir erleben einen epochalen Wandel durch die Digitalisierung und Globalisierung. Welche Chance hat darin die Heimatpflege überhaupt noch?

    Lang: Sie haben Recht. Es ist ein bisher nie gekannter, rasanter Wandel. Betrachten Sie nur die Einstellung gegenüber Kirche und Religion. Wir können diesen Wandel nicht aufhalten und nur geringfügig beeinflussen. Wir können ihn bestenfalls begleiten und dokumentieren.

    Ergibt sich dann überhaupt noch eine Identifikation mit der Heimat?

    Lang: Die Basis, Heimat sinnlich zu erleben, wird deutlich dünner. Wir müssen heute mehr mit Zeitzeugen arbeiten und sie erzählen lassen. Das ist natürlich ein schwaches Surrogat für eigenes Erleben. Wenn ich die Kindheit meines Großvaters mit der meiner Kinder vergleiche, ihre Lebensumstände: Der Wandel in diesen hundert Jahren ist so groß, dass sie sich nicht mehr verstehen würden. Heimatpflege hat die Aufgabe, dass die Menschen die Kulturgeschichte ihres Bezirks wertschätzen.

    Wie viel Denkmal soll es sein? Wie viel Erneuerung muss sein?

    Lang: Es ist ein Problem, ein großes. Wir haben heute einen zu hohen Verlust an Substanz. Nicht bei den herausragenden Denkmalen, bei Kirchen und Schlössern. Aber wir verlieren Bürgerhäuser in der Stadt und vor allem Bauernhäuser auf dem Land. Mit reiner Verbotspolitik, ja nichts verändern zu dürfen, kämen wir nicht sehr weit. Aber wir sollten den Denkmalbegriff weiter fassen, einen Kernort in seinem Ensemble als Denkmal sehen. Wenn daraus ein Anwesen herausgebrochen und nicht ersetzt wird, sondern einfach ein Parkplatz für dahinter liegenden Siedlungshäuser klafft, dann ist dadurch das Ortsbild zerstört. Unser Dilemma ist, dass wir einem Besitzer nicht anschaffen dürfen, wie er sein Haus herzurichten hat. Wir müssen mit ihm reden und an ihn appellieren. Wenn eines von zwanzig Häusern dadurch erhalten wird, ist schon viel gewonnen.

    Peter Fassl hat sich mit dem Aufsehens erregenden Sieben-Kapellen-Projekt verabschiedet. Ist Heimatpflege auch ein Treiber der Moderne?

    Lang: Wir haben keine Möglichkeit, den tief greifenden Wandel aufzuhalten. Wir können ihn in manchen Punkt ein bisschen beeinflussen und bewusst mitgestalten. Wir wollen als Heimatpflege nicht alles stoppen und die Zeit zurückdrehen. Aber man kann ein gutes Beispiel geben. Peter Fassl hat mit seinem Kapellen-Projekt eindrucksvoll bewiesen, dass zum Beispiel Bauen auch so geschehen kann, dass es einen positiven Effekt auf die Kulturlandschaft hat, das ist eine wichtige Aufgabe der Heimatpflege.

    Wie sollte die Erinnerungskultur von morgen aussehen? Inzwischen werden ja auch weiter zurückliegende historische Ereignisse wie der Bauernkrieg oder die Schlacht bei Höchstädt im öffentlichen Raum thematisiert.

    Lang: Die Heimatpflege, die Museen und Archive leben von Erinnerungskultur. Sie ist die Basis unserer Arbeit. Bestimmte Dinge bleiben gleich: Wir werden nach wie vor die Geschichte wissenschaftlich erforschen. Aber es ändern sich die Deutungen: Den Bauernkrieg können Sie als Grundpfeiler der Demokratiegeschichte verstehen, Sie können ihn aber auch aus sozialistischer Perspektive sehen oder als marodierenden Pöbel und selbst für die politische Rechte würde er sich eignen, um sich im Windschatten des Aufstands des gemeinen Mannes anzuhängen. Für uns hat Erinnerungskultur die wichtige Aufgabe, demokratiestärkend zu sein. Wir beschäftigen uns mit Geschichte, auch weil wir daraus lernen wollen, um das gesellschaftliche Miteinander zu erhalten.

    Unsere Gesellschaft ist in Bewegung geraten. Inwiefern sollte schwäbische Heimatpflege die Migration aus dem In- und Ausland berücksichtigen?

    Lang: Migration ist ein wesentliches Element in Geschichte und Gegenwart Schwabens, das wir umfassend berücksichtigen müssen. Aber ich denke, wir müssen beim Erklären der Heimat weiter ausholen. Das betrifft nicht nur die, die von irgendwoher zugewandert sind, das betrifft auch unsere eigenen Kinder. Es ist einfach so viel durch diesen Wandel abgebrochen. Wenn ich heute den Wert eines intakten Innenortes erklären will, verstehen das meine Kinder schon nicht mehr. Sie kennen diese Orte nur löchrig. Sie wissen nicht, was ihnen abgeht, wenn man bei uns daheim in Dinkelscherben keinen Laden mehr hat, wo man Kinderkleidung kaufen kann.

    Unsere Jungen leben in zwei Welten, einerseits in der Globalkultur des Internets und andererseits mit einer Sehnsucht nach Heimat. Sie tragen wieder Tracht, hören die neue Volksmusik, schafft sich ein eigenes Brauchtum. Ist das eine künstliche Heimat?

    Lang: Je mehr dieser Heimatverlust spürbar wird, desto mehr versucht man, die Lücke wieder aufzufüllen. Die Generation meiner Kinder spricht um ein Vielfaches weniger dialektal, aber im gleichen Atemzug gehen sie mit der Lederhose aufs Volksfest. Das war noch vor dreißig Jahren undenkbar. Ich ging in Jeans.

    Sie haben schon einmal den Augsburger Fugger History Slam gewonnen: Wie unterhaltsam muss Geschichte vermittelt werden?

    Lang: Wenn ich in einem Gremium mit lauter Professoren spreche, ist es nicht notwendig. Aber wenn eine Präsentation ein gewisses Maß an Unterhaltsamkeit hat, ist der Inhalt leichter zu vermitteln. Der History Slam ist sicher das eine Extrem, dagegen zielen historische Tagungen oft auf reine Wissensvermittlung ab, womit es uns schwerfällt, 95 Prozent der Bevölkerung zu erreichen. In der Bezirksheimatpflege sollten wir auf die gesamte Bandbreite gehen. Mir persönlich ist es ein Anliegen, meine Vorträge so zu halten, dass die meisten Zuhörer aufmerksam dabeibleiben können. Indem ich möglichst frei spreche, gut bebildere und auf Fremd- und Fachwörter soweit möglich verzichte.

    Sie spielen selbst Volksmusik. Hier gibt es heute sehr belebende Mischformen, alte Weisen mit neuen Instrumenten. Müssen wir um das echte, alte bangen?

    Lang: Das funktioniert in der Musik so gut wie eine Kombination zwischen Lederhose und T-Shirt. Was wir oft als echte Volksmusik betrachten, war meistens auch nur eine Mode. Der Dreigesang etwa lässt sich quellenmäßig nicht nachweisen. Er wird in der Zwischenkriegszeit entwickelt, wird in den 50er, 60er Jahren populär und nimmt Hörgewohnheiten von Schlager, Big-Band-Sound und amerikanischer Unterhaltungsmusik auf. Erfolgreiche Volksmusik richtet sich immer nach dem Geschmack des Publikums und verarbeitet zeitgenössische Elemente. Mir geht es als Heimatpfleger nicht um das Erhalten von etwas vermeintlich Reinem. Damit hatte ich immer schon Probleme, es führt nur in die Irre. Wenn es uns dagegen gelingt, Dörfer und Landschaften in allem Wandel als lebenswerte Nahbereiche zu erhalten, auch in ökologischer Hinsicht, dann haben wir viel für die Zukunft erreicht.

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