Herr Schätzing, in dieser besonderen Zeit die normalste Frage: Wie geht’s?
Frank Schätzing: Danke, gut. Ich bin froh und dankbar, dass ich arbeiten kann. Viele meiner Freunde sind Musiker, Gastronomen, Schauspieler, und alle haben praktisch nichts mehr zu tun, mit prekären Folgen. Ansonsten nervt mich Corona ebenso wie jeden anderen …
Arbeiten Sie bereits an der Verfilmung von „Der Schwarm“? Nachdem lange eine Hollywood-Verfilmung im Raum stand, wird daraus jetzt eine ZDF-Serie. Trotzdem nicht enttäuscht?
Schätzing: Ganz im Gegenteil! Eine Serie ist viel besser! Das ZDF produziert den „Schwarm“ für den internationalen Markt, die Voraussetzungen sind perfekt, das Budget erlaubt es, visuell in die Vollen zu gehen. Wir stecken mitten in der Stoffentwicklung.
Und wann wird das denn zu sehen sein?
Schätzing: So Corona will, fangen wir plangemäß an zu drehen. Lassen Sie sich überraschen.
Frank Schätzing zur Corona-Politik: "Das versteht keiner mehr"
Wo stehen Sie zwischen Verständnis und Verdruss im Umgang der deutschen Politik mit der Krise?
Schätzing: Das versteht keiner. So gut die Politik zu Beginn 2020 performt hat, so planlos hangelt sie sich jetzt von Tag zu Tag. Man hätte im Sommer, in dieser tollen Ausgangslage, Strategien für kommende Wellen erarbeiten, flächendeckende Tests implementieren und Hilfszahlungen vorbereiten können, die unbürokratisch fließen. Stattdessen begann ein konfuses Bund-Länder-Hickhack. Zuletzt blickte keiner mehr durch. Man einigte sich in nächtelangen Pow Wows, 24 Stunden später machte jeder, was er wollte. Abgesehen von der kleinen „Wir sind das Volk!“ brüllenden Gurkentruppe, die dem eigentlichen Volk die Solidarität aufkündigt, sind die Menschen unverändert bereit, Opfer zu bringen. Dafür braucht es Klarheit. Schauen wir mal, was die bundesweite Notbremse bringt. Es kann nur besser werden.
Ihr Buch geht über eine andere Krise: das Klima. Aber auch da wird es darum gehen, wissenschaftliche Erkenntnis in politisches Handeln umzusetzen und die Menschen mitzunehmen. Versuchen Sie, schon mal zu vermitteln?
Schätzing: Im Rahmen meiner Möglichkeiten. So wichtig die Bekämpfung der Pandemie ist, bleibt der Klimawandel die existenziellere Bedrohung. Ich will Wissenslücken schließen und dem Thema das Glaubenskriegerische und Schreckgespenstische nehmen. Eines unterscheidet den Klimawandel maßgeblich von der jetzigen Krise: Corona hat uns in kollektive Ohnmacht gestürzt. Man kann nichts tun, außer nichts zu tun. Die Menschen wollen wieder gestalten, zurück ins Handeln finden, und Klimaschutz bietet immens große Gestaltungsräume.
Schätzing: "Nach Corona kein Zurück zur Normalität mehr"
Bloß nicht zur Normalität der Vor-Corona-Zeit zukehren?
Schätzing: Genau. Corona bietet ja eine Chance: dass wir uns bewusst machen, was zuvor alles schiefgelaufen ist. Wir haben unsere Narrative zu lange nicht auf den Prüfstand gestellt, etwa das vom endlosen Weltwirtschaftswachstum. Corona überlagerte alles, doch vielleicht bedurfte es ja der Pandemie, um uns vor Augen zu führen, wie die Dinge zusammenhängen: Klima und Epidemien, unsere Reisegewohnheiten, die Zustände in der Massentierhaltung, die Ungerechtigkeiten in der Welt … – eines bedingt das andere. Das größere Bild kann helfen, dass wir nicht zur gedankenlosen Ressourcenverschwendung zurückkehren. Wir brauchen ein neues Narrativ, nämlich dass jeder Mensch ein Recht auf ein auskömmliches Leben und einen intakten Planeten hat.
Die globale Dimension der Krise trifft aber nicht gerade auf eine einige Welt …
Schätzing: Stimmt, wir ziehen nicht wirklich an einem Strang. Aber der Klimawandel könnte mit etwas Glück einigende Wirkung entfalten. Nicht, dass sich alle von Versöhnungsromantik ergriffen in die Arme sinken, sondern weil die Krise global und im Zweifel so katastrophal verläuft, dass es keine Gewinner gäbe. China und die USA sind nicht gerade arm an Differenzen, aber in ihren Green Deals können und müssen sie kooperieren. Schon aus Pragmatismus. Wenn etwas die Welt ein Stück zusammenbringen kann, dann ist es Klimaschutz.
Sie schreiben, dass die Menschheit nie zuvor von so vielen existenziellen Krisen zugleich bedroht war – und dass es eine gute, eine schöne Zeit ist zu leben. Wie geht das zusammen?
Schätzing: Wir leben in zwei Wahrnehmungen. Einerseits unser Alltag. Da wir das Glück haben, in einem reichen Land zu wohnen, geht es den meisten von uns gut. Medizinisch sind wir weiter denn je. 1918 bis 1920 waren die Menschen der Spanischen Grippe hilflos ausgeliefert. 2020 haben wir innerhalb weniger Monate mehrere Impfstoffe entwickelt! Unser Alltag ist geprägt von Normalität und den kleinen positiven Erfahrungen am Rande. Wissenschaft und Internet erweitern unseren Horizont, wir verstehen heute besser, was in der Welt vor sich geht, haben auf allen Feldern mehr Handlungsoptionen, was uns in Krisen hilft. Zugleich führt die globale Vernetzung zum Gefühl konstanter Überforderung. Das ist die zweite Wahrnehmungsebene: die mediale. Allabendlich liefern uns die Medien die Befindlichkeiten eines ganzen Planeten frei Haus. Ein Komprimat dessen, was schiefgeht. Also denken wir, in diese Welt könne man keine Kinder mehr setzen. Dummes Zeug, kann man! Aber Fakt ist, Pandemien, Atomwaffen und Klimawandel sind zusammen von historisch beispielloser Dimension. Diese Krisen müssen – und können! – wir lösen.
Frank Schätzing: Der nächste Thriller ist kein Klimakrisen-Thriller
Sie haben für das Buch einen neuen Thriller unterbrochen. Warum?
Schätzing: Weil es kein dringlicheres Thema gibt. Auf Seite 250 des Thrillers wusste ich: Du musst das Klimabuch jetzt machen! Nicht erst danach. Ich meine, ich bin nicht von der Hybris getrieben, die Welt brauche unbedingt meine Bücher …
Wobei aus der Tatsache, als einer der meistgelesenen Autoren die Leute erreichen zu können, ja schon ein Verantwortungsgefühl erwachsen kann …
Schätzing: Absolut! Wir sogenannten Promis sind Meinungsbildner, ob es uns gefällt oder nicht. Wir tragen Verantwortung.
Aber der Thriller handelt nicht auch vom Klima, wie das Sachbuch nach „Der Schwarm“ auch von der Tiefsee?
Schätzing: Ha! Netter Versuch. Nein, es geht darin um was vollkommen anderes. Das Klimabuch war eine spontane Herzensangelegenheit. Thematisch zu wichtig, als dass ich es mit Fiktion hätte vermischen wollen. Also ein Sachbuch.
Schätzing zum neuen Buch: "Wer nicht mehr lachen kann, ist tot"
Das ernste Thema servieren Sie aber doch mit guter Laune, Witz, auch sogar mal in Thriller-Dramaturgie.
Schätzing: Wer nicht mehr lachen kann, ist tot. Ich will ja die Menschen gewinnen, für die Sache begeistern. Was hilft es, wenn sie mittendrin gelangweilt oder zu Tode deprimiert aussteigen? Ich bin Geschichtenerzähler, und wir leben in einer Geschichte. Wir erschaffen täglich den Roman unseres Lebens. Wenn man keine Kraft mehr aus positivem Denken schöpft und vor lauter Angst in die Verdrängung flieht, wird man kein fröhlicher Klimaretter. Panik und Pessimismus lösen keine Probleme. Es gibt einen expliziten Thriller-Teil im Buch, in dem ich das laut Weltklimarat derzeit wahrscheinlichste Szenario schildere, RCP8.5, und da landen wir in der Hölle. Wir sollten uns des Ernstes der Lage bewusst sein. Aber auch, dass wir gute Chancen haben, im „Best Case“-Szenario zu landen, wenn wir unsere Optionen nutzen und an einem Strang ziehen. Der Werkzeugkasten ist da.
Von Verboten wollen Sie zur Rettung der Welt jedenfalls nichts wissen.
Schätzing: Weil ich nicht glaube, dass sie funktionieren. Sie können Menschen etwas verbieten, politisch, ideologisch, moralisch – aber wozu führt das? Dazu, dass sie unter autoritärem Druck vielleicht anders handeln, doch zugleich werden sie entmündigt. Ich möchte keine entmündigten Mitstreiter im Klimaschutz! Ich möchte, dass Menschen aus Überzeugung handeln, weil sie sich dann viel stärker für das Richtige engagieren. Es geht nicht um Komplettverzicht oder darum, uns die Freuden des Lebens zu nehmen. Sondern darum, zu einem maßvollen Gesellschaftsmodell zu finden, in dem nicht ständig alles zu Dumpingpreisen verfügbar ist, wir uns aber mehr den Wert der Dinge bewusst machen. Es geht ums Teilen. Große Teile der 7,77 Milliarden Menschen auf der Erde leben in menschenunwürdigen Verhältnissen.
Das Zeitfenster dafür ist aber eng. Geht der Wandel nicht zu langsam?
Schätzing: Er kriecht seit langem dahin. Doch wir können uns das Schneckentempo nicht länger leisten. Ein Jahrzehnt bleibt uns, um die Weichen zu stellen. Gelingt es uns nicht, die Erderwärmung in dieser Zeit bei 1,5, maximal 2 Grad zu stoppen, geraten wir in eine Spirale von Kaskadeneffekten. Dann droht der Kontrollverlust. Aber mein Eindruck ist, dass das Bewusstsein in der Gesellschaft sich Richtung Nachhaltigkeit dreht. Die gute Nachricht: Wir müssen nicht jeden einzeln überzeugen. Es reicht, dass eine als relevant erachtete Kerngruppe Klimafreundlichkeit vorlebt. Ist diese Gruppe groß genug, zehn, zwanzig Prozent der Bevölkerung, zieht sie die anderem im Sog nach. So funktionieren gesellschaftliche Transformationen: Lange passiert wenig. Ist die kritische Masse erreicht, kann es plötzlich sehr schnell gehen.
Schätzing: "Mein Herz schlägt grün." Die nächste Regierung? Schwarz-Grün
Sie fordern eine Revolution. Aber sind die Menschen damit nicht überfordert?
Schätzing: Wären sie von Revolutionen überfordert, gäbe es kein modernes Frankreich. Genau genommen säßen wir noch auf Bäumen. Manche Revolutionen erkennen wir nicht direkt als solche, die digitale Revolution etwa, die schon in vollem Gange ist. Ich glaube, sobald Menschen die Notwendigkeit von Veränderungen einsehen, sind sie bereit zum Umschwung. Aber die großen Weichenstellungen muss die Politik treffen. Was Deutschland betrifft, heißt das: Vor 2030 raus aus der Kohle und der fossilen Subventionierung, rein in die Vollversorgung durch erneuerbare Energien, grüne Innovation ankurbeln. Die Wirtschaft muss auf nachhaltige Produkte und faire Wertschöpfungsketten umstellen, die Politik muss den Industrien Planungssicherheit geben. Wenn die Angebote nachhaltiger werden, wird auch das Interesse in der Bevölkerung zunehmen, sie zu nutzen. So schließen sich die Kreise.
Keine Frage,welche Partei Sie wählen.
Schätzing: Mein Herz schlägt grün, aber überparteilich. Grün ist eine Haltung, die sich auch in einem Koalitionsbündnis niederschlagen kann, in dem Partner sitzen, die sich traditionell nicht grün sind, aber zusammen das meiste erwarten lassen. Mir persönlich geht gedankliche Freiheit über Parteibuchtreue.
Sie wünschen sich also Schwarz-Grün. Oder gar Grün-Schwarz?
Schätzing: Das sind die Farben der nächsten Regierung. Spannend wird die K-Frage.
Also: Baerbock oder Habeck?
Schätzing: Ich halte beide für geeignet, aber keiner wird es werden. Schwarz bleibt stärkste Partei, grün wird noch stärker. Es wird eine Art neue, ganz andere große Koalition geben.
Keine Sorge, dass es nach rechts kippen könnte, zu denen, die Klimaschutz als unnötig ansehen und von Zumutungen und Verdruss profitieren könnten?
Schätzing: Den Kipppunkt hatten wir doch schon. Und es zeigt sich, dass von dieser Seite keinerlei Lösungen zu erwarten sind. Joe Biden, Xi Jinping, Südkorea, die EU, selbst Japan überbieten sich mit Green Deals. Trump ist Geschichte, die AfD schreddert sich selbst. Politik überzeugt mittelfristig nur durch Handlungsfähigkeit und Klarheit. Die aktuelle Situation zeigt: Man kann den Menschen wahnsinnig viel zumuten – aber man muss ihnen die Wahrheit sagen und Perspektiven bieten. Sonst verlieren sie das Vertrauen. In Sachen Klima hat man sie lange belogen und in falscher Sicherheit gewiegt. Jetzt geht es darum, ihren Gestaltungswillen zu mobilisieren. Mit der frohen Botschaft, dass wir für erfolgreichen Klimaschutz belohnt werden – mit einer besseren Welt für alle.
Zu Person und Buch Der Kölner Frank Schätzing, 63, ehemaliger Werbe-Texter, ist seit dem Thriller „Der Schwarm“ (2004) einer der meistgelesenen deutschen Autoren – und schreibt auch mal ein Sachbuch. Aktuell: „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ (Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 20 Euro). Er spielt gerne E-Gitarre.
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