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Bayreuther Festspiele: Premierenkritik: „Tannhäuser“ ist knackig, frech und tolldreist

Bayreuther Festspiele

Premierenkritik: „Tannhäuser“ ist knackig, frech und tolldreist

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    Stephen Gould (Tannhäuser) und Elena Zhidkova (Venus).
    Stephen Gould (Tannhäuser) und Elena Zhidkova (Venus). Foto: Enrico Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

    „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ – so schrieb es Richard Wagner 1849 in seinem Manifest „Die Revolution“. Da war er Komponist und – noch – ein Sozialrevolutionär.

    Wenn jetzt die neue Bayreuther „Tannhäuser“-Produktion diesen Appell immer und immer wieder zitiert, indem sie ihn einer recht losen Künstlerkommune rund um Tannhäuser als Politparole mit auf den Weg gibt, dann stellt sie sich gleichzeitig en passant auch selbst einen ästhetischen Freifahrtschein aus – und mahnt oder verpflichtet das Publikum ganz elegant zu lustvoller Akzeptanz: „frei im Genießen“.

    Tobias Kratzer gelingt mit seinem „Tannhäuser“ ein spielfreudiger Regie-Streich

    Das ist tricky oder hinterfotzig, wie man will. Jedenfalls hilft es. Es wird genossen. Am Ende dieses großen, klugen, espritvollen, bilderüberbordenden und über weite Strecken amüsanten Opernabends steht trotz einer umwerfend schwuchteligen Drag-Queen, trotz Bayreuth-Parodie, trotz „Tatort“-Anmutung und stets erwartbarem Publikumswiderspruch fest: Das ist ein spielfreudiger Regie-Streich, wie es zuletzt der Herheim-„Parsifal“, das Castorf-„Rheingold“ und die Kosky-„Meistersinger“ waren.

    Wo beginnen beim Erzählen, was sich alles an Unerwartbarem ereignet? Am Besten bei der von Regisseur Tobias Kratzer vor allem durch zahlreiche eingeblendete Videos ausgedeuteten Vorgeschichte der Story: Schon einmal hatte ja Tannhäuser durch ein Preislied Elisabeth gewonnen. Aber dann wandte er sich doch lieber den Verheißungen und Sex-Praktiken der blonden Bombe Venus zu – bis die im alten Citroën-Kastenwagen mutwillig einen Polizisten über den Haufen fährt und Tannhäuser, eine Art verkrachter Clown, diese ganze Kommunen-Polit-Geschichte zu heiß wird. Also zurück zur liebenden Elisabeth, zurück zur hehren Minne, zurück zur offiziellen Hochkultur, die sich als Festspielhaus-Bühnenbild manifestiert – einschließlich pilgerndem, sich Luft zufächelndem Festspielpublikum. Zunächst aber entlohnt Elisabeth den Tannhäuser durch eine saftigen Watschn für den langen vorehelichen Seitensprung mit Venus. Recht hat sie. Aber es nutzt ihr nichts.

    Der neue "Thannhäuser" in Bayreuth lebt vom Spiel im Spiel

    Und nun kommt der zweite Aufzug, ein Showdown unter den zwei Frauen – und der ist knackig, frech, tolldreist. Im Spiel-im-Spiel-Festspielhaus wird der „Tannhäuser“ gegeben, Sängerkrieg auf der originalgetreu aufgebauten Wartburg. Venus hat nicht locker gelassen, schwor Rache, muss unbedingt dabei sein sein. Zusammen mit besagter Drag-Queen, zusammen mit dem kleinwüchsigen Oskar Matzerath aus Günter Grass’ „Blechtrommel“ – das sind Tannhäusers ehemalige Kumpane –, entert sie über die Leiter den Königsvorbau des Bayreuther Festspielhauses und dringt ein in die Eingeweide des Allerheiligsten. Herrlich, herrlich die Film-Sequenz, da diese schrille Drag-Queen namens Le Gateau Chocolat (deutsch: Schokoladentorte), die im wirklichen Leben ein schwarzer, bekennend homosexueller Musikkabarett-Künstler ist, in einem Garderobengang ein Foto-Porträt Christian Thielemanns inspiziert. Da blicken sich zwei in die Augen! So was hat Zündstoff in mehrerlei Hinsicht. Das Publikum wiehert vor Vergnügen.

    Und dann schafft es Venus rechtzeitig zum großen Vorsingen. Und rechtzeitig auch, damit Tannhäuser wieder umpolt – von Elisabeth zurück auf Venus. Die alten diversen Kameraden und ihre politisch-ästhetischen Überzeugungen – „frei im Thun“ – stehen ihm letztlich doch näher als die verknöcherten, lustfeindlichen Überzeugungen der herrschenden Klasse in Sachen Liebe. Und Venus nimmt ihn – ausgelassen tanzend – gern zurück.

    Oben Videoinstallation, unten Bühne - der Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen 2019 lebt vom Spiel im Spiel.
    Oben Videoinstallation, unten Bühne - der Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen 2019 lebt vom Spiel im Spiel. Foto: Enrico Nawrath, dpa

    Aber die beiden haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Tannhäuser wird auf offener Bühne von der bayerischen Staatspolizei verhaftet, weil er ja damals mit dabei war, als Venus den Polizisten mutwillig über den Haufen fuhr. Mit ihrem Polit-Parolen-Leitmotiv, das sie überall hinterlassen, auch am Festspielhaus, haben sie sich verraten. Es kommt ein Hauch „Tatort“ ins Spiel. Übrigens sehen wir im Video parallel zum Sängerkrieg, wie Bayreuth-Chefin Katharina Wagner selbst per Notruf die Gesetzeshüter in Gang gesetzt hat. Mit Blaulicht und angelegten Waffen stürmen sie. Wagners Revolutionsparole am Festspielhaus: das bedeutet höchste Terrorgefahr. Und dann wird Tannhäuser abgeführt. Nun heißt es: Sühne, Buße, Strafe. Bei Wagner bedeutet das: Pilgerfahrt gen Rom, Ablass durch diesen Stellvertreter im Vatikan.

    Aber mit der Religion hält es Tobias Kratzer nicht so. Er blendet sie aus – so wie Regisseursgenerationen vor ihm weitgehend ausgeblendet haben, wie viel von Richard Wagner in der Figur des Tannhäuser steckt. Wir treffen diesen wieder – und nun wird es tieftragisch und ein wenig nihilistisch – auf einem Schrottplatz, unter Obdachlosen. Oskar, der Trommler (Manni Laudenbach), speist stumm die umherirrende Elisabeth, die sich zunächst Wolfram von Eschenbach hingibt, weil der sich als Tannhäuser verkleidet hat, sich aber dann – noch einmal – die Pulsadern aufschneidet. Jetzt mit letalem Ausgang.

    Tannhäuser hat sie endgültig verloren. Und ein Zurück in die alte Künstler-Outlaw-Polit-Kommune scheint ebenfalls aussichtslos: Le Gateau Chocolat hat als Drag-Queen solo Karriere gemacht; ein Riesenplakat zeigt sie neben einer Bling-Bling-Luxus-Armbanduhr als Eigenkreation. Wahn, überall Wahn; Verrat, überall Verrat!

    Dragqueen Le Gateau Chocolat - hier bei einer Performance vor dem Festspielhaus - spielt im Tannhäuser den Begleiter der Venus.
    Dragqueen Le Gateau Chocolat - hier bei einer Performance vor dem Festspielhaus - spielt im Tannhäuser den Begleiter der Venus. Foto: Tobias Hase, dpa

    Dirigent Valery Gergiev hat bei seinem Debüt in Bayreuth mit der Akustik zu kämpfen

    Tobias Kratzer aber hat es begriffen: Der beste Platz, auch als Künstler, ist der zwischen allen Stühlen. Der Wahrheiten und Widersprüche zwischen Hoch- und Underground-Kultur gibt es viele. Kratzer inszeniert sie als „Kunststück“ zusammen mit den ebenbürtigen Kollegen Rainer Sellmaier (Ausstattung) und Manuel Braun (Video) überlappend, genialisch, respektlos. In einem Atemzug ruft er „Toleranz“ und mahnt und warnt dennoch. In einem Atemzug bietet er Werkgerechtigkeit und Parodie. Er wird der Bühnen-Dialektiker der Zukunft sein, er wird die alt gewordenen Heroen des so genannten Regietheaters ablösen. Bayreuth hat in ihm das nötige Heil gefunden, auch hinsichtlich von Selbstironie: Der Abend startet mit einem Video, in dem der Venus-Citrën an einer Biogasanlage vorbei fährt, die „mangels Nachfrage“ geschlossen wurde. Eine Anspielung auf die letzte, komplett missratene „Tannhäuser“-Inszenierung – und ein Seitenhieb unter vielen für alle Eingeweihten.

    Vielleicht wird die nächste „Tannhäuser“-Inszenierung irgendwann Ende der 2020er-Jahre einen Seitenhieb auf Valery Gergiev am Pult vor dem diesjährigen Festspielorchester parat halten. Nicht, dass es keine schönen Stellen gegeben hätte – wofür sich insbesondere die außerordentlich warmen Streicher und das Holz des Bayreuther Festspielorchesters stark machten. Aber insgesamt mangelte es doch an Zauber und Überhöhung. Zu viel blieb im rein Illustrativen und Handwerklichen stecken.

    Übermächtige künstlerische Aura ging bei der Premiere nur von einer einzigen Bühnenfigur aus, von der im zweiten Aufzug autoritativ einschreitenden Elisabeth. Lise Davidsen sang sie als ein neues Stimmwunder. Was für ein durchschlagender Edelstahl-Strahl! Da wächst wohl peu a peu eine Hochdramatische von Weltklasse heran. Letztlich kann ihr auch der etwas behäbige Stephen Gould als Tannhäuser nicht das Wasser reichen. Singt er auch zuverlässig und weitgehend höhensicher, so wirkt sein Heldentenor in der Romerzählung dann doch leicht angegriffen und rau. Kantabel gestaltet Markus Eiche die Partie des Wolfram; bei Stephen Milling als Landgraf Hermann vermisst man doch ein wenig vokal gebietende Macht. Eine aufgekratzt-präsente Darstellerin ist Elena Zhidkova als Venus. Sie hat es gewiss nicht leicht, im Citroën gegen Tannhäusers Überdruss anzusingen, manches verrutscht ihr, aber im Finale dann singt sie sich frei.

    Jubel und wenige Buhs für Kratzer, gebremster Applaus und wenige Buhs für Gergiev, reine Euphorie über Lise Davidsen. Bayreuth hat eine begeistert begrüßte „Tannhäuser“-Dreistigkeit.

    Lesen Sie auch das Interview mit Regisseur Tobias Kratzer: „Wagners Pathos muss man nicht um jeden Preis brechen“

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