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Bayreuther Festspiele: Bildband zeigt, was ein Dirigent wie Christian Thielemann macht

Bayreuther Festspiele

Bildband zeigt, was ein Dirigent wie Christian Thielemann macht

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    Deutschland, Dresden, Semperoper Dresden, Verdi-Requiem, Giuseppe Verdi, Konzertprobe, Sächsische Staatskapelle Dresden, 11. Februar 2014
    Deutschland, Dresden, Semperoper Dresden, Verdi-Requiem, Giuseppe Verdi, Konzertprobe, Sächsische Staatskapelle Dresden, 11. Februar 2014

    Es ist eines der faszinierendsten Geheimnisse der Interpretation von großer orchestraler Musik: Wie sehr ein Stück, obwohl es doch in Noten festgelegt ist, mit jeder Aufführung variieren kann – und dass diese Wandlungsfähigkeit ganz wesentlich zu tun hat mit dem Dirigenten, der da vor dem Orchester seine Zeichen gibt. Diese Kommunikation zwischen den Musikern und dem gestikulierenden Mann (oder der Frau) am Pult ist seit jeher ein Nährboden für Mythen und dunkel raunende Vermutungen. Was macht dieser Dirigent bloß so anders als sein Kollege, wenn ein und dasselbe Werk so grundverschieden klingt? Selbst Orchestermusiker sind oft ratlos, wenn man sie um Auskunft fragt.

    Der österreichische Fotograf Lois Lammerhuber hat sich aufgemacht, mit der Kamera in dieses Mysterium vorzustoßen. Und das bei einem Dirigenten, der aktuell nicht nur als einer der besten gilt,sondern auch als derjenige, der die Tradition des immer schon mythenumrankten deutsch-österreichischen Kapellmeisterwesens, manifestiert in Namen wie Furtwängler, Walter, Knappertsbusch oder Karajan, wie kein zweiter in der heutigen Zeit fortführt: Christian Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, künstlerischer Leiter der Osterfestspiele in Salzburg und Musikdirektor der Bayreuther Festspiele. Pünktlich zum 60. Geburtstag des gebürtigen Berliners am 1. April ist Lammerhubers kiloschwerer Prachtband erschienen, mit Bilderstrecken, die nur einem Gedanken folgen: dem Maestro bei der Arbeit zuzuschauen.

    Die Kamera rückt porentief an Thielemann heran

    Wer als fotografisches Objekt weiß, dass ihn die Kamera beobachtet, wird die Selbstinszenierung wohl nie ganz abschütteln können (oder wollen). Um diese Tendenz aber möglichst gering zu halten, hat Lammerhuber ganze Proben am Stück durchfotografiert, bis hin zu einer vollständigen Generalprobe von Wagners „Tristan“ im Graben des Bayreuther Festspielhauses, wo der Fotograf sich eines eigenen Gehäuses bediente, um die Geräusche seines Apparats zu minimieren. Aber nicht nur der ganzseitigen Fotos wegen, die oft porentief an den Mann am Pult heranrücken, ist „Christian Thielemann: Dirigieren“ eine außergewöhnliche Dokumentation. Es ist das ganze Konzept des Folianten, der nicht bloß ein Bildband über, sondern mit Thielemann sein will. Was nichts anderes heißt, als dass der Porträtierte eine große Anzahl an Aufnahmen selbst kommentiert, und das mit offenem Visier. Ein Coup, denn nicht zuletzt dadurch fällt einiges Licht auf den Mythos des Dirigierens.

    Zur Sache also: Weshalb hält Thielemann sich beim Dirigieren immer mal wieder den Mund zu? „Hand vor dem Mund – das heißt in der Regel: leiser.“ Was dagegen soll den Ausführenden ein deutlich geöffneter Mund signalisieren? „Der offene Mund mahnt Textdeutlichkeit an.“ Das ist natürlich an den Chor gerichtet, bei Aufführungen wie etwa dem Requiem von Mozart oder Verdi, wo zum Orchester noch Sänger hinzutreten. Mimik jedenfalls ist ein wesentliches Arbeitsmittel des Dirigenten, eines freilich, das man in den meisten Konzertsälen kaum wahrnimmt, weil man den musikalischen Leiter nur von hinten sieht und meist nur in den Bewegungen der Arme und Hände erlebt.

    Tatsache ist, dass das Repertoire der intentionalen Mitteilung an die Interpreten beschränkt bleibt und sich während des Musizierens zwangsläufig auf stumme Kommunikation reduzieren muss. Im Gegenzug kann das schon mal zu Überdeutlichkeit führen. Thielemanns „ultimative Geste, um maximale Aufmerksamkeit für leise Stellen“ zu erhalten, geht so: „Ich steige vom Stuhl und gehe mit gebeugten Knien ganz tief runter.“ Allerdings, bedauert der Orchesterleiter, stehe ihm dieses Mittel leider nur in der Probe zur Verfügung. In der Aufführung vor Publikum würde sich das allzu drastisch ausnehmen.

    Sämtliche Fotos sind mit Uhrzeit versehen, dokumentieren damit das Prozesshafte der Probenarbeit, was gerade auch die körperliche und geistige Anstrengung herausstreicht. Zu einer während der „Tristan“-Generalprobe gemachten Aufnahme, die sein Gesicht schweißglänzend unter verklebten Haaren zeigt, schreibt Thielemann: „Schon nach einer Stunde … ist zu spüren und zu beobachten, wie kräftezehrend das Werk ist.“

    Thielemann wählt die Farbe seiner Shirts mit Bedacht

    Ein paar Mal wendet sich die Kamera ab von Thielemann und blickt in die Partitur hinein. Im Falle des „Tristan“ ist es die ehrwürdige, Gebrauchsspuren tragende Bayreuther Dirigierpartitur aus der Zeit um 1900. Dass Thielemann nicht aus eigenen Partituren dirigiert, ist eines der vielen aufschlussreichen Details, die dieses Buch liefert. Dazu gehört auch, aufgrund welcher Überlegung Thielemann entscheidet, mit oder ohne Stab zu dirigieren. „Sobald ein Chor beteiligt ist, vermeide ich den Taktstock. Sonst wirken die Bewegungen so stechend, was für den Klang kontraproduktiv ist.“ Apropos Taktstock: Dass dieser Dirigent so gerne farbintensive Poloshirts bei der Probe trägt, erklärt sich ebenfalls fachspezifisch. „Der Taktstock muss sich davor abheben. Weißes T-Shirt und weißer Taktstock – das geht gar nicht.“

    So kann man aus den vier dokumentierten Probensitzungen und einem mitgegebenen Interview manches erfahren über die Alchemie des Dirigierens, das „im Zweifel“, wie Thielemann sagt, nicht so sehr auf Charisma als vielmehr auf Handwerk beruht. Was aber hat es mit diesem auf sich, etwa mit der viel beschworenen Schlagtechnik? Eine „völlig untergeordnete Geschichte“, findet Thielemann. Am Ende komme es nur auf eines an: „Musikalische Regie führen. Genauer gesagt: Klangintensitätsregie.“

    In so einem Wortungetüm schleicht dann doch wieder der Mythos an dieses schöne Buch heran. Was nun aber kein Schaden ist. Denn unergründlich die Wellen, die ein Dirigent aussendet, im Letzten auch sein mögen: Sie sind es, die mit beitragen zum anhaltenden Zauber der Musik.

    • Christian Thielemann: Dirigieren – Conducting. Herausgegeben von Lois Lammerhuber und Clemens Trautmann, 258 Fotos, dt./engl. Edition Lammerhuber, 318 S., 99 €
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