Dirigenten und Solisten als Sachwalter, ja als „Erben“ großer Komponisten anzusehen und anzuhören, hat einen aparten, mitunter auch komischen Reiz. Leonard Bernstein war sozusagen Gustav Mahler junior und Celibidache ein Kind Bruckners.
Affinitäten, Wellenlängen, Seelenverwandtschaften lassen sich eben pflegen, intensivieren, stilisieren. Dabei schwimmen die musizierenden Kollegen womöglich auch nicht auf der Brennsuppe daher. Im Falle der Beethoven-Sinfonien galt Karajan über viele Jahre hinweg als ein Non-plus-ultra-Interpret, was seiner Plattenfirma und ihm selbst nicht ganz unrecht kam. Heute ist das nicht mehr so.
Und wenn nun, passgenau zum 250. Geburtstag des musikalischen Genies aus Bonn, der Pianist Igor Levit als überragender Interpret der Klaviersonaten gefeiert wird, so verbindet sich doch seit Jahrzehnten mit dem Klavierwerk Beethovens unbedingt auch der Name Rudolf Buchbinder – selbst wenn der viel mehr als LvB, mehr auch als die Wiener Klassik spielte.
Wäre Corona nicht dazwischengekommen, so wäre der quasi als ein Widergänger Beethovens gehandelte Buchbinder bestens ausgelastet gewesen auch im Frühjahr und Sommer. Jetzt aber, da das Festival der Nationen sich allen Corona-Widrigkeiten entgegenstemmte, spielte Buchbinder, mittlerweile 73, die vier Dur-Klavierkonzerte Beethovens in Bad Wörishofen (1., 2., 4., 5.), während Daniil Trifonov zuvor schon das dritte, das c-Moll-Konzert überantwortet bekam.
Im Dienst von Liebe, Schönheit und Freude
Dabei war Buchbinder als ein Mittler zwischen entgegengesetzten Beethoven-Behandlungen zu hören, als ein Mittler zwischen philharmonischem, schönheitsgesättigtem Musizierwillen und der oft körnigeren, historischen Aufführungspraxis. Er sucht nicht die Rekonstruktion eines mutmaßlichen Originalklangs, zeigt sich aber mit modernen Instrumenten sehr wohl musikgeschichtlich informiert, wenn er durchweg zügige Tempi fordert bei schlanker Orchesterbesetzung – hier die Wiener Symphoniker, ohne Frage erfahrene Interpreten der Wiener Klassik.
Die musikalische Haltung, die gemeinsam entwickelt wurde, war weniger getragen von der (möglichen) schroffen Darstellung des auch musikalisch aufbrausenden Beethoven-Naturells als von der Darlegung des ästhetischen Moments in den Klavierkonzerten. Das Geburtstagskind wurde gleichsam gehegt; die vier Wiedergaben mit eher gemäßigt gesetzten Beethoven-Widerhaken in Sachen Rhythmus und Artikulation standen im Dienste von Liebe, Schönheit, auch (Genuss-)Freude – so unrevolutionär dies auch strenge Beethovenianer betrachten mögen.
Mit anderen Worten: Buchbinder spielte – klanglich und formal ausgewogen – die ersten beiden Klavierkonzerte Beethovens im (musikgeschichtlich gebotenen) Geiste Mozarts und die letzten beiden Klavierkonzerte mit (musikgeschichtlich gebotener) ausgreifender symphonischer Emphase. Die handwerkliche Grundlage aber dieser Ästhetik und aller Freude am Spiel, das blieb der glänzende Ton Buchbinders am Flügel: gerundet, geschliffen und edel hier, glocken- und glöckchenhaft da (bei minimalem Flügel-Klirren im hohen Diskant), absolut ebenmäßig perlend im Laufwerk dort.
Bei den Zugaben wird Villazon in Bad Wörishofen auch zum Clown
Insbesondere der zweite Abend im akustisch weiter verbesserten, nun im Grunde fertigen Kursaal bot blitzsauber konturierte Finessen des stupend auswendig spielenden, auch dirigierenden Buchbinder. Technik, Erfahrung, Wissen und Zuneigung: Sie griffen ineinander und führten letztlich zu Standing ovations und zu rhythmischem Klatschen des Publikums – erfolglos allerdings am Freitagabend, was eine Zugabe betraf.
Tags darauf gestalteten Tenor Rolando Villazón und der Harfenist Xavier de Maistre ein Programm, das beinahe ohne große Effekte auskam. Moll war das vorherrschende Tongeschlecht, manchmal auch tauchten modale Klänge auf. Die Werke, durchgehend von lateinamerikanischen Komponisten stammend, griffen auf Elemente der südamerikanischen Volksmusik zurück – und auf menschliche Sehnsüchte, unerfüllte Träume, Hoffnungen, Sorgen und Nöte.
All das lotet Rolando Villazón höchst sensibel aus: Berührend klagt er mit abgetönter Stimme, dunkel und warm. Am Ende, zwischen den Zugaben, lässt Rolando Villazón den Clown heraus. Das kann er ja, erwiesenermaßen. Faxen und feixen. Fast wirkt das in diesen herausfordernden Zeiten wie ein trotzig formulierter Widerstand.
2020, das war ein besonderes Festival in jeder Hinsicht. Auch weil die Stars der Klassik zwei identische Konzerte an einem Abend gaben. 2800 Besucher kamen insgesamt – nach 5500 Besuchern im Vorjahr. Intendant Winfried Roch zieht gleichwohl zufriedene Bilanz. „Wir haben noch nie ein Festival erlebt, in dem die Kunst derart im Mittelpunkt stand“, sagt er. Man habe „Leidenschaft und Solidarität“ in der außergewöhnlichen Festivalwoche gespürt.
Und, so Roch: „Wir hoffen sehr, dass wir auch bei der Kultur in Bayern bald wieder zur Normalität zurückkehren können, um insbesondere jungen Menschen wieder eine Perspektive zu geben.“
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