Als der große und allerorten geliebte Dirigent Mariss Jansons am 1. Dezember letzten Jahres in Sankt Petersburg verstarb, war klar: Für diesen Chefdirigenten des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunkswird adäquater Ersatz nicht schnell zu finden sein. Damals flogen zwar viele renommierte Dirigenten in der Weltgeschichte herum, aber sie waren eben auch vielfach gebunden und ausgebucht.
Dann kam Corona. Und nun sieht es so aus, als ob das BR-Symphonieorchester doch schneller einen neuen Chef erhält als ursprünglich gedacht – auch weil in den letzten Wochen bei den Corona-Ersatz-Konzerten und in der Findungsphase drei klangvolle Namen vor das Ensemble traten, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie in der engeren Wahl auch deshalb stehen, weil sie in den vergangenen Jahren immer wieder gern als Gastdirigenten geholt worden waren. Sie hatten halt überzeugt. Die Namen: Daniel Harding, Franz Welser-Möst und Simon Rattle. Was die drei eint und wichtig als Voraussetzung ist: Jeder ist derzeit nur Chef eines Orchesters – Radio-Sinfonieorchester Stockholm, Cleveland Orchestra, London Symphony Orchestra –, jeder kann also bei den derzeit üblichen Verträgen noch leicht einen zweiten Klangkörper übernehmen.
Da die Lage aber ist wie sie ist, bleiben Spekulationen nicht aus. Weit wagt sich die Süddeutsche Zeitung aus dem Fenster, die in den letzten Wochen den Briten Daniel Harding in ästhetischer Hinsicht allerwärmstens empfahl und dessen Landsmann Rattle sowie den Österreicher Welser-Möst in ästhetischer Hinsicht – und durchaus nicht fair – deutlich abkanzelte. Da wurde ungut Politik gemacht – und großzügig darüber hinweg geblickt, dass Harding im Orchester viel mehr als Gastdirigent geliebt denn als Chefdirigent dringlich gewünscht wird.
Rattle, Welser-Möst oder Harding - wer wird der neue Chef des BR-Symphonieorchesters?
Von dem Strauss-Spezialisten Welser-Möst wiederum, sichere Bank auch bei den Salzburger Festspielen, wissen eingeweihte Musiker, dass er – bei aller Genialität – eine ganz eigene Persönlichkeit darstellt. Er kann zaubern mit denen, die ihm ergeben sind.
Simon Rattle indessen ist der unkomplizierteste der drei: so verbindlich wie aristokratisch-fein, dazu freundschaftlich, ja jovial. Als Mariss Jansons 2017 als sein Nachfolger bei den Berliner Philharmonikern gehandelt wurde, sah man ihn schon in München beim BR dirigieren. Es wäre damals quasi auf einen Stellentausch hinausgelaufen. Aber es kam nicht so. Freilich dirigierte Rattle fleißig weiter in München, unter anderem Wagner-Abende. Hinzu kommt: Brexit, Corona und der außerordentlich schwer zu realisierende Wunsch nach einem neuen Londoner Konzertsaal machen seine Chefdirigenten-Position an der Themse nicht zum reinen Glück.
Rattle hat die größten Chancen – auch weil sich der BR einen populären Namen holen würde. Aber ob er wirklich Chef wird, hängt auch noch von anderem ab, zum Beispiel von den Finanzen.
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