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Interview: Autorin Juli Zeh: „Unserem Land geht es hervorragend“

Interview

Autorin Juli Zeh: „Unserem Land geht es hervorragend“

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    Die Star-Schriftstellerin Juli Zeh wird mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet, weil sie die Menschen zu demokratischem Engagement und zum Einsatz für Bürgerrechte animiere.
    Die Star-Schriftstellerin Juli Zeh wird mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet, weil sie die Menschen zu demokratischem Engagement und zum Einsatz für Bürgerrechte animiere. Foto: Luchterhand

    Sie werden mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Nach all den literarischen Auszeichnungen: Ist das etwas Besonderes für Sie? Ihr Vater war ja auch mal Direktors beim Deutschen Bundestag

    Juli Zeh: Ganz unabhängig von meinem Vater bedeutet mir die Auszeichnung viel. Wie viele andere bekennende Demokraten mache ich mir seit einigen Jahren Sorgen um Europa und unser Land. Der anwachsende Rechtspopulismus, das zunehmend irrationale Verhalten der Staaten in der Europapolitik, Donald Trump … Es gibt viele Gründe, noch offener und selbstbewusster zur Demokratie zu stehen als sonst. Das Bundesverdienstkreuz ist für mich ein Symbol für dieses Bekenntnis.

    In der Begründung heißt es, Sie ermunterten zum demokratischen Engagement und zum Einsatz für Bürgerrechte. Das war ja auch Hauptthema ihrer letzten Romans „Leere Herzen“ – vielmehr das Gegenteil: Wenn sich immer mehr Menschen aus dem Politischen ins Individualistische zurückziehen, stärkt das die Extreme. Wie groß ist die Gefahr dafür tatsächlich?

    Zeh: Leider ist vieles, was ich in „Leere Herzen“ beschrieben habe, bereits wahr geworden – die Wahlerfolge der AfD, die wachsende Verunsicherung und Hilflosigkeit der Bürger.

    Wie kann man gegenhalten?

    Zeh: Wir müssen uns darauf besinnen, worum es tatsächlich geht. Wir dürfen uns nicht blenden lassen von medial aufgeheizten Diskursen und Szenarien. Wir leben auf einem Höhepunkt von Demokratie, Freiheit und Wohlstand, und unser Ziel muss es sein, das zu erhalten und möglichst viele Menschen daran teilhaben zu lassen. Im Grunde sind die Dinge viel weniger kompliziert, als es manchmal scheint, wenn wir nur nicht vergessen, worauf es uns ankommt und was unsere Werte und Ziele sind.

    Sie selbst sind nicht lange vor der zurückliegenden Bundestagswahl in die SPD eingetreten. Wie sind Ihre Erfahrungen damit bislang? Und wie ist Ihr Blick auf die aktuelle Regierung?

    Zeh: Ich stehe der Partei schon lange nahe und bin im Herzen eine überzeugte Sozialdemokratin. Die momentane Regierung ist natürlich eine Art Notlösung, aber sie ist auch nicht so schlimm, wie immer getan wird. Mir geht es auf den Geist, dass von der Presse und zum Teil auch von den Politikern selbst ständig alles in den Dreck geredet wird. Gut, vielleicht haben die Leute keine Lust mehr auf GroKo. Aber das ist auch keine Apokalypse. Unserem Land geht es hervorragend, es wird in der Regierung gut gearbeitet. Dieses Gerede von „frischem Wind“ und „Neuanfang“ macht mir manchmal richtig Angst. In den USA sehen wir, wie der „frische Wind“ dann aussehen kann. So viele Menschen beneiden uns um unser System, um unsere politische Klasse, um unsere gut funktionierende Verwaltung! Nur aus Langeweile und Überdruss gegen das vermeintliche Establishment anzurennen oder sogar populistisch zu wählen, hat nichts mit Vernunft und Mündigkeit zu tun.

    Klingt wie eine Herausforderung zur Aufklärung gerade an „politisch aktive Intellektuelle“ – als eine solche werden Sie ja geehrt. Gibt es davon zu wenige?

    Zeh: Ich finde, dass es seit einigen Jahren eigentlich wieder recht viele Schriftsteller und Intellektuelle gibt, die sich am Diskurs beteiligen. Manchmal wünscht man ja auch, sie täten es nicht.

    Autoren wie Uwe Tellkamp und Rüdiger Safranski, irgendwo zwischen konservativ und rechts, klagen, dass sie angegriffen würden, wenn sie sich politisch äußern – weil sie gegen den Mainstream sprächen. Darum ja kürzlich die migrationskritische Sammelaktion „Erklärung 2018“. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

    Zeh: Ich finde es ziemlich schwach, wenn man ständig Meta-Debatten darüber führt, wer was sagen darf und was man angeblich nicht sagen darf und wer ein Opfer des Mainstream ist und so weiter. Das sind doch alles Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Problemen. Solange nicht Klartext geredet wird, kann man nicht einschätzen, wer sich eigentlich für was einsetzen will. Hinter der „Erklärung 2018“ stehen ganz verschiedene Menschen mit wahrscheinlich völlig unterschiedlichen Zielen. Wichtig ist, dass man klar zu erkennen gibt, ob man für oder gegen die offene, europäisch integrierte Gesellschaft ist. Denn nur dann wissen wir, worüber wir reden und mit wem.

    Politik und Literatur – gehört das für Sie unweigerlich zusammen wie der Einzelne und die Gesellschaft?

    Zeh: Nicht unbedingt. Ich schreibe viele Texte, die überhaupt nicht politisch sind. Aber in meiner Person gibt es eben beide Seiten, die künstlerisch-kreative und die politisch-aktive. Und beides schlägt immer wieder auf meine Arbeit durch.

    Wächst mit steigendem Erfolg eigentlich der Druck an Verantwortung, mit welchen Ansichten man sich zu erkennen gibt? Die innere Verpflichtung?

    Zeh: Die innere Verpflichtung wächst tatsächlich. Ich sage immer zu mir: Du hast ein gewisses Forum, du hast die Möglichkeit, öffentlich zu sprechen. Also komm dieser Verantwortung nach und tu etwas.

    Sie melden sich ja immer wieder in Essays zu Wort, in Zeitungen und Magazinen, mitunter auch in Buchlänge. Ist als Nächstes von Ihnen vielleicht so was zu erwarten oder wird es wieder ein Roman sein?

    Zeh: Als Nächstes wird es einen Roman geben, der im September erscheint. Übrigens ein ganz unpolitischer Text und trotzdem für mich einer der wichtigsten, den ich je geschrieben habe.

    Die Verfilmung Ihres Erfolgsromans „Unterleuten“ ist ja bereits geplant, im ZDF als „Event-Serie“. Sind Sie beim Dreh eigentlich eingebunden?

    Zeh: Ich bin in Kontakt mit Drehbuchautor, Regisseur und Produzent und habe mich beratend an der Entwicklung der Drehbücher beteiligt. Beim Dreh werde ich allerdings nur als Zuschauerin dabei sein. Oder vielleicht darf ich ja auch mal durchs Bild laufen, als eine typische Unterleutnerin.

    Zur Person: Juli Zeh ist Juristin, Philosophin und eine der bedeutendsten deutschen Autorinnen der Gegenwart. Bereits ihr Debüt „Adler und Engel“ 2001 war ein großer Erfolg und wurde vielfach übersetzt. Die höchsten Verkaufszahlen erzielte sie mit dem Gesellschaftsroman „Unterleuten“ 2016, er wird vom ZDF als Serie verfilmt. Bücher wie „Schilf“ und „Corpus Delicti“ wurden auch für Kino und Theater adaptiert. Daneben schreibt die heute 43-jährige und reich mit Preisen dekorierte Bonnerin immer wieder Essays und veröffentlicht Bücher wie „Die Diktatur der Demokraten“. Juli Zeh ist verheiratet, Mutter zweier Kinder, lebt in einem Dorf in Brandenburg und auf Lanzarote.

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