Die erste Frage, gleich eine sehr persönliche: Wie lange liegt Ihre letzte Drogenerfahrung zurück?
T.C. Boyle: Meine Erfahrungen mit LSD habe ich im Alter von 20 bis 30 gemacht, als ich mit allen verfügbaren Drogen (und einer Menge anderer Dinge) experimentierte. Die meisten meiner Trips waren letztendlich unbefriedigend. Da mein Geist hyperaktiv ist, nehme ich lieber Drogen, die Dinge verlangsamen und fokussieren, als solche, die den Verstand lähmen und mit Sinneseindrücken überfluten. Was meine momentane geistige Verfassung angeht: Ich halte mich gerade noch an der Kante fest, meine Finger rutschen langsam ab und unter mir gähnt der tiefe Abgrund.
In Ihrem neuen Roman schreiben Sie über den LSD-Guru Timothy Leary, der Anfang der 60er Jahre einen Kreis Jünger um sich scharte. Wären Sie damals auch ein Kandidat für diese „Familie“ gewesen?
T.C. Boyle: Mich fasziniert die Vorstellung, einem Guru zu folgen, und ich habe über solche Szenarien bereits in früheren Romanen wie „Dr. Sex“ und „Die Frauen“ geschrieben. Diese Faszination kommt daher, dass ich persönlich mir niemals vorstellen könnte, von jemandem kontrolliert zu werden. Also kurz gesagt: Nein!
Ohne über das Ende zu sprechen: Es gibt in diesem Roman Passagen, da kann man sich auch fragen, ob man vielleicht doch die eine oder andere bewusstseinserweiternde Erfahrung im Leben verpasst hat. Im Rückblick - wie bewerten Sie Ihre eigenen Erfahrungen mit LSD heute?
T.C. Boyle: Während ich das Buch schrieb, habe ich mit dem Gedanken gespielt, mal wieder einen Trip einzuwerfen. Die Welt eines Romans zu betreten – egal ob als Autor oder als Leser – ist aber natürlich gewissermaßen selbst eine Art von Fantasiereise. Und wie ich oben schon erwähne, mein Bewusstsein ist wie ein Ei - mit einer sehr zerbrechlichen Schale. Ich finde meine Befreiung in der Natur, besonders in der Sierra Nevada, wo ich jeden Tag Stunden alleine in der Wildnis verbringe und die Kraft dieses Planeten und seiner vielfältigen Schönheit aufsauge.
Kalifornien ist nicht Kanada
In Kanada wurde nun Marihuana legalisiert, in Deutschland tobt die Debatte. Was ihre Meinung dazu?
T.C. Boyle: Seit ich denken kann, bin ich ein Befürworter der Legalisierung. Alle Drogen sollten legalisiert werden und in sicheren Dosierungen in Apotheken verkauft und besteuert werden. Wie Alkohol. Und ja – ich leben in Kalifornien.
In Amerika herrscht in einigen Regionen eine regelrechte Drogen-Epidemie, ausgelöst durch Opioide. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Drogentoten auf 72000. Wie muss die Politik ihrer Ansicht nach darauf reagieren? Was würde eine Freigabe beispielsweise ändern?
T.C. Boyle: Mein Wissen über die Opiate-Epidemie ist aus zweiter Hand, basierend auf der Berichterstattung in der Presse. Meine Kenntnisse über die Drogen selbst sind jedoch aus erster Hand – wiederum basierend auf meinen Jugenderfahrungen. Sicher werden diese Medikamente zu leichtfertig verschrieben, aber hier kommen auch gesellschaftliche Faktoren ins Spiel – der Mangel an Arbeitsplätzen, Motivation, Zielsetzung. Diese Probleme dauern an und nehmen zu, haben deshalb dem rechten Flügel die Übernahme der Regierung ermöglicht. Ein Junkie zu sein, bedeutet, man muss das wollen – das bedeutet, man hat keine andere Möglichkeit zum Loslassen oder Zielsetzung. Ich war glücklicherweise in der Lage, all dem den Rücken zuzukehren, als ich New York verlassen habe und am Iowa Schriftsteller Workshop teilnahm um meinen M.F.A.- und Ph.D.-Abschluss zu machen. Ein Ereignis, das meinem Leben ein Ziel und eine Vision gab.
Haben Sie mit ihren Kindern über Drogen gesprochen, und wenn ja, wie?
T.C. Boyle: Meine Kinder sind schon erwachsen. Als sie jünger waren, habe ich ziemlich offen mit ihnen über Drogen und Alkohol gesprochen. Ratschläge jedoch helfen nur ein Stück weit. Wie es der Vater in „Back in the Eocen“ – meiner Geschichte über D.A.R.E. , das Anti-Drogen-Programm in L.A.’s Schulen – beschreibt: „Er hatte alle Warnungen gehört, alle Filme gesehen, aber was gilt schon das Wort der anderen?... Ja, er hatte alle Warnungen gehört, aber als die Zeit kam, stach er die Nadel in seinen Arm, zog den Kolben zurück, um zu beobachten, wie sich die klare Lösung mit seinem Blut vermischte und rot färbte.“
Nur mal so, ein Gedankenspiel: T.C. Boyle als Guru – wie könnte Ihre Vision aussehen?
T.C. Boyle: Künstler sind eine Art Gurus, aber Künstler geben kein Programm vor – solch eine Vorgabe ist der Tod der Kunst. Kunst muss verführen. Und zudem ist die Vision des Künstlers nicht starr, sondern wächst und verändert sich bedingt durch das Werk und die Karriere.
Als Autor ist man nicht gerade Guru, aber doch jemand, der Menschen zum Umdenken bewegen kann. Haben Sie das beim Schreiben im Kopf?
T.C. Boyle: Nein, ich orientiere mich an meinen eigenen künstlerischen Zielen, aber Bücher wie „America“ über Mauern und Immigration, „Wenn das Schlachten vorbei ist“ über das Thema Umwelt und „Ein Freund der Erde“ über die globale Klimaerwärmung scheinen tatsächlich einen weiten und andauernden Einfluss zu haben.
Glauben Sie denn, dass es die Menschheit zum Beispiel durch die Umsetzung von technischen Visionen noch schaffen kann, den Klimawandel aufzuhalten?
T.C. Boyle: Ich hoffe es natürlich, um des Wohls unserer Kinder willen, ganz zu schweigen von all den anderen Spezies, die durch unsere verschmutzten Meere schwappen und über unseren kahl geschlagenen Erdboden kriechen.
Das Problem, abgelöst zu sein von der Natur
Eine Vision der Menschheit, an deren Realisierung gerade geforscht wird: die Unsterblichkeit. Irgendwann legen wir unsere Persönlichkeit vielleicht auf einem Chip ab, leben als Mensch-Maschine weiter. Utopie oder Dystopie?
T.C. Boyle: Dystopie. Utopie wäre Tierleben, gelebt in der Natur. Wir haben uns von der Natur und unserer eigenen Menschlichkeit getrennt.
Sie waren als Romanautor immer beängstigend nah an der Zukunft dran, schrieben beispielsweise über eine Mauer zwischen Mexiko und den USA, lange bevor man sich Trump als Präsidenten denken konnte. Oder vor zwei Jahren eine Kurzgeschichte, in der sie prophezeiten, dass in China die ersten genmanipulierten Kinder auf die Welt kommen werden. In dieser Woche nun wurde die Geburt bestätigt. Angst vor der eigenen prophetischen Gabe?
T.C. Boyle: Ja. Deshalb werde ich jetzt nur noch über wahnsinnig glückliche Menschen schreiben, die über Gänseblümchenwiesen springen.
Zur Person: Tom Coraghessan Boyle, geboren 1948 in Peekskill, N.Y., als Thomas John Boyle, ist das Kind irischer Einwanderer. Den Namen Coraghessan gab er sich selbst nach einem irischen Vorfahren. T.C. Boyle ist seit 1974 mit Karen Kvashay verheiratet; die beiden haben eine Tochter und zwei Söhne. Im kalifornischen Montecito lebt er in einer von Architekt Frank Lloyd Wright erbauten Villa, zum Schreiben zieht er sich in ein Holzhaus im Sequoia-Nationalpark zurück. Sein neuer Roman „Das Licht“ erschien beim Hanser-Verlag auf Deutsch (379 Seiten, 25 Euro) noch vor dem englischen Original. Boyle erzählt die Geschichte des Harvard-Doktoranden Fitz, der sich Anfang der 60er erst nur der Karriere wegen, dann aber mit Haut und Haaren dem Kreis um Psychologieprofessor Timothy Leary anschließt. Der forscht zur Bewusstseinserweiterung mithilfe von LSD. Was mit wöchentlichen Sessions und wissenschaftlichem Ernst beginnt, wird zum zerstörerischen Selbstfindungstrip.