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Ausstellung: Was übrig blieb vom jüdischen Leben in Deutschland

Ausstellung

Was übrig blieb vom jüdischen Leben in Deutschland

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    Mordechai W. Bernstein auf der Suche nach Zeugnissen jüdischen Lebens, die nicht vernichtet worden waren.
    Mordechai W. Bernstein auf der Suche nach Zeugnissen jüdischen Lebens, die nicht vernichtet worden waren. Foto: Jüdisches Museum München

    Um 1700 Jahre der jüdischen Kultur in Deutschland zu beleuchten, beschreiten in diesem Jahr viele Museen ambitionierte Wege. Das Jüdische Museum München lädt nun, das es wieder zu besuchen ist, zu einer ganz besonderen Spurensuche. Besucher können sich von dem Historiker und Journalisten Mordechai Wolf Bernstein gleichsam an der Hand nehmen lassen, und sie begegnen mit ihm in einer raumgreifenden, atmosphärisch dichten Installation auf zwei Museums-Etagen insgesamt 18 Ausschnitten aus einer Jahrhunderte alten Kultur, die zwischen 1933 und 1945 zerstört wurde.

    Dieser Mordechai Wolf Bernstein (1905–1966) stammte aus einer traditionell jüdischen Familie im heutigen Belarus. Er war Lehrer, Journalist, Kulturaktivist der jüdischen Arbeiterbewegung, lebte an vielen Orten und schaffte es, sowohl den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten wie auch dem Gulag der Sowjets zu entkommen. Nach 1948 reiste er im Auftrag des Jüdischen Wissenschaftlichen Instituts YIVO und der Jewisch Cultural Reconstruction Inc. JCR durch die amerikanische Besatzungszone, um geraubtes Kulturgut jüdischer Gemeinden ausfindig zu machen und zu sichern. Das war durchaus notwendig, weil deutsche Archive, Museen und Bibliotheken ihrer gesetzlichen Pflicht kaum nachkamen, jüdischen Besitz in ihren Beständen anzuzeigen. Bekanntlich begann die Restitution, die Rückgabe des von den Nazis geraubten Gutes, erst in den 1990er Jahren, und sie ist bis heute nicht abgeschlossen.

    Bernstein streifte auch durch Schwaben

    Bernstein also fuhr nach Köln und München, nach Göttingen, Aschaffenburg und Mainz, nach Laupheim, Gunzenhausen und weiter. Er suchte überall nach Kunst, nach Ritualgegenständen, nach Büchern, Thorarollen und den Resten der Synagogen; er ließ sich von Heimatforschern, Museumleitern und auch einfachen Leuten berichten. Er fand wertvolle und interessante Gegenstände und dazu viele Geschichten. Insgesamt entdeckte er nicht nur eine Landschaft der Zerstörung, die von der gerade erst beendeten nationalsozialistischen Gewalt geprägt war, sondern ein „Labyrinth der Zeiten“ – so heißt auch die jetzige Münchner Ausstellung –, in dem sich die komplexe jüdisch-deutsche Kultur und Geschichte mit ihren vielfältigen Wechselwirkungen und Anregungen spiegelt.

    Zum Beispiel in Isny im Allgäu. Dort betrieb Anfang des 16. Jahrhunderts der christliche Hebraist Paulus Fagius eine hebräische Druckerei. Dort war einige Jahre der jüdische Grammatiker und Lexikograph Elijah Bachur tätig, der in der Druckerei 1541 sein populärstes Wörterbuch produzierte. Die Erinnerung an das außergewöhnliche geistesgeschichtliche Faktum war in Isny offenbar auch nach 400 Jahren noch vorhanden: „Mir wurde das Haus gezeigt, in dem die Druckerei gewesen sein soll“, schreibt Bernstein in seinem Bericht.

    Thora-Krone aus Laupheim, Mitte des 19. Jahrhunderts in Augsburg entstanden.
    Thora-Krone aus Laupheim, Mitte des 19. Jahrhunderts in Augsburg entstanden. Foto: Michael Niemetz

    Eine seltsame Geschichte entdeckte der Forscher im schwäbischen Thannhausen – eine angeblich „evangelische Synagoge“. Es handelte sich um eine vom Grafen Stadion errichtete Kapelle am Ort der nach der Vertreibung der jüdischen Gemeinde im Jahr 1718 abgerissenen Synagoge. Der Opferstock in der Kapelle war die einst in der Synagoge verwendete Spenden-Büchse, in der Gaben für arme jüdische Gemeindemitglieder gesammelt wurden. Ähnlich bizarr mutet auch die Geschichte der Gottesmutter im fränkischen Schnaittach an. Der Heimatforscher Gottfried Stammler hatte nach dem Pogrom 1938 die Synagoge für einen Spottpreis erworben und zum Heimatmuseum umgebaut und dabei ausgerechnet den Thoraschrein zum Gehäuse für eine gotische hölzerne Pieta umfunktioniert.

    Nicht trocken, sondern abwechslungsreich erzählt

    Auf dem Jüdischen Friedhof in Kriegshaber bei Augsburg fand Bernstein eine hölzerne Grabstele aus dem Jahr 1805, in Trier das Fragment einer spätantiken Öllampe, in Würzburg einen Kiddusch-Becher, in Mainz eine Fenstersäule aus dem angeblichen Palast des Kalonymos, eines religiösen Führers der ashkenasischen Judenheit. Wie er all diese Dinge entdeckte, welche Bedeutung sie haben, was ihm dazu erzählt wurde, das beschreibt Mordechai W. Bernstein keineswegs wissenschaftlich, sondern sehr abwechslungsreich und lebendig, manchmal auch nicht frei von Spekulation. Er ist damit ein nicht nur lehrreicher, sondern auch unterhaltsamer Cicerone durch die deutsch-jüdische Kulturgeschichte.

    Parallel zum „Labyrinth der Zeiten“ beleuchtet das Jüdische Museum in einer Kabinett-Ausstellungt außerdem ein Stück Altmünchner Historie: Die Geschichte des weithin bekannten Spitzenhauses Rosa Klauber, eine erste Adresse für gutbürgerliche Wäsche-Ausstattung, beheimatet am Marienplatz und in der Theatinerstraße. Fast ein Jahrhundert lang, von etwa 1860 bis Ende der 1930er Jahre, kauften Damen, die auf sich hielten, im Spitzenhaus Klauber Taschentücher, Leib-, Bett- und Tischwäsche, die mit Poince-, Valencienne- oder den berühmten böhmischen Spitzen verziert waren.

    Einst eine erste Adresse in München: das Spitzenhaus Klauber.
    Einst eine erste Adresse in München: das Spitzenhaus Klauber. Foto: Franz Kimmel

    Aus Böhmen war Rosa Klauber im Jahr 1860 auf die Auer Dult nach München gekommen und hatte dort ihre begehrte Ware angeboten, die in den böhmischen Dörfern geklöppelt worden war. Ihren Marktstand durfte sie allerdings nur in einer abgesonderten „Judenreihe“ der Dult aufstellen. Als die Freizügigkeit auch für Juden Gesetz wurde, zog Rosa Klauber im Jahr 1872 nach München und baute ihr anerkanntes Familienunternehmern auf, den Spitzenhandel, zu dem bald auch noch eine Wäschefabrik kam. Ihr Sohn Moritz war „königlich bayerischer Hoflieferant“, das Unternehmen galt als eine der wichtigen Firmen, die zum Aufstieg München beitrugen.

    Nach 1933 riefen die Nationalsozialisten zum Boykott auf, im Pogrom 1938 verwüsteten sie das Spitzenhaus, zwangen die Enkel, die das Unternehmen inzwischen führten, zum Verkauf weit unter Wert an NSDAP-Mitglieder. Die Familie Klauber musste emigrieren, doch in den USA konnte sie wieder im Spitzenhandel Fuß fassen. Noch heute produziert die Firma „Klauber Brothers“ in Rhode Island Spitzen. Nach München kehrte niemand aus der Familie zurück.

    Die Ausstellungen „Im Labyrinth der Zeiten“ läuft bis 13. Februar 2022, der Katalog kostet 29,80 Euro. Die Kabinett-Ausstellung „Spitzenhaus Rosa Klauber“ ist bis 24. Oktober 2021 zu sehen. Dazu gibt es eine Broschüre zum Download auf der Website des Jüdischen Museums. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr.

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