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Ausstellung: Peter Fischli stellt im Kunsthaus Bregenz einiges auf den Kopf

Ausstellung

Peter Fischli stellt im Kunsthaus Bregenz einiges auf den Kopf

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    Monumental: Fischlis Papierarbeiten mit Brandrändern.
    Monumental: Fischlis Papierarbeiten mit Brandrändern.

    In ihrem Werk jonglieren sie virtuos und spielerisch mit Absurdität und Alltag, Bedeutungsschwere und Banalität, Kunst und Komik, Verwirren und Verstecken. Die Schweizer Peter Fischli und David Weiss, als Künstlerduo seit 1979 zusammen und international gefeiert (documenta, Goldener Löwe der Biennale in Venedig 2003) waren als „Fischli/Weiss“ eine Marke in der zeitgenössischen Kunst. Ihre Fotoserien, Skulpturen, Filme, Aktionen und Installationen wurden in Museen auf der ganzen Welt gezeigt.

    Ein Perpetuum mobile des Zufalls

    Bei Fischli/Weiss konnten Wurstscheiben ebenso wie Flughäfen, Straßen, Schnee oder Blumen künstlerisch verarbeitet werden. In ihrem legendären Film „Der Lauf der Dinge“ schufen sie eine chaotische, wahnwitzige Kettenreaktion, eine Art Perpetuum mobile des Zufalls und der kuriosen Kausalitäten. Im April 2012 starb David Weiss, der um sechs Jahre ältere Partner von Peter Fischli.

    Seither macht Fischli (geboren 1952) solo weiter. Nun zeigt er im Kunsthaus Bregenz (KUB) eine große Einzelausstellung. Auch ohne den gestorbenen Partner steckt in der Schau der Geist von Fischli/ Weiss. Denn Peter Fischli stellt in Bregenz einiges auf den Kopf. Nicht nur unser Verständnis von Attrappe und Original, sondern auch das Prinzip der musealen Präsentation. Im 1. Obergeschoss des KUB etwa hat Peter Fischli einen engen Parcours aus weißen Sockeln und Podesten gestellt, auf denen er insgesamt 300 Skulpturen zeigt. „Cans, Bags & Boxes“, also Dosen, Taschen und Schachteln, heißt die Installation. Fischli zeigt Abbilder, Nachbauten dieser Verpackungstypen.

    Da sind giftgrüne Konservendosen ohne Boden, es gibt aufgerissene Pizzaschachteln, löchrige Beutel. Alle diese Requisiten sind aus Karton und Zeitungspapier hergestellt, verklebt, bemalt, lackiert. Und alle werden klassisch als Plastiken auf weißen Sockeln präsentiert: die Musealisierung des Banalen. Durch die Überfülle und Wiederholung ironisiert Peter Fischli ebenso wie durch seinen genialen Kunstgriff, einige der weißen Sockel umzudrehen. Sie werden zu Kisten ohne Deckel, in denen er ebenso seine Dosen und Kartons hineinstellt, ja geradezu versenkt. Diese Umkehrung des Prinzips ist typisch für die hintersinnige Kunst Marke Fischli/Weiss.

    Der Ur-Affe aus dem Kinderzimmer

    Peter Fischli nutzt die Andachtsaura des minimalistischen KUB für seine Unterwanderungen von Erfahrungs- und Erwartungshaltungen. Einen Affen, den er als Zehnjähriger gemalt und in seinem Werk immer wieder zitiert hat, nimmt der Künstler in Bregenz zur Vorlage für eine raumfüllende Serie von 26 Hartschaum-Reliefs. Auch sie stehen auf weißen Sockeln. Die gelben Blöcke aus Polyurethanschaum wirken wie Schrifttafeln oder Grabsteine. Der Ur-Affe aus dem Kinderzimmer Fischlis erscheint in allerlei Spielarten, Ritzungen und Varianten – mal mit Zigarette, mal mit Blume im Mund.

    Das Serielle in Überdrehung war schon bei Fischli/Weiss eine der wichtigsten Strategien, unseren Blick zu verändern. Wie bei den Dosen und Schachteln ist auch nun in der Affenserie das billige Material ein Widerhaken gegen die Inszenierung, die klassische Kulturtechniken imitiert. Peter Fischli verblüfft auf stille Weise. Manches sickert erst langsam ein.

    26 Reliefs eines Affen, federleicht.
    26 Reliefs eines Affen, federleicht.

    Der Schweizer Künstler hat im KUB Boxen an die Wände gehängt, in denen sich Faltblätter zu seiner Ausstellung befinden. Man kennt das aus den Museen der Welt. Doch auch hier stellt Fischli das Bewährte auf den Kopf. Denn seine im Haus verteilten Zettelboxen sind nicht aus Plastik oder Holz, sondern echte Bronzeabgüsse mit Patina. Bronze als das Material klassischer Bildhauerkunst – die Infoblätterkästen selbst sind nun das Kunstwerk. Während sie im Erdgeschoss noch bestückt sind, hängen sie im 3. Obergeschoss leer und nackt und zweckfrei an den Wänden – 22 Stück. Man kann diese Zettelboxen aber fast übersehen auf der leeren Etage – denn in den nackten Betonwänden scheinen riesige weiße Löcher zu klaffen. Peter Fischli hat 16 großformatige, auf Leinwand kaschierte und auf Holzplatten aufgezogene Papiere, deren Ränder er zuvor angesengt und abgebrannt hat, auf die vier Wände verteilt. Wie Wolken (oder riesige leere Comicsprechblasen, dem Feuer entrissen …) schweben sie da in ihren unterschiedlichen, rundlichen, brandrandigen Formen. Monumentalität und Minimalismus gehen hier eine Symbiose ein.

    Peter Fischli erzählt, er habe eines Tages an einem Küchentisch ein weißes Blatt Papier in Stücke gerissen und deren Ränder mit einem Feuerzeug angezündet und gleich wieder gelöscht. Diese Brandblumen mit ihren braunen, schwarzen, gelben Rändern klebte er auf weiße Blätter. Was in Bregenz zu sehen ist, ist die Vergrößerung dieser Kunst des kontrollierten Zufalls.

    Wie spielerisch dieser experimentierfreudige Künstler vorgeht, der nicht aufhört, Bilder und Bildvorstellungen, Material und Wirkung zu hinterfragen, zeigt eine Fotoserie, mit der Fischli den Schaum im öffentlichen Raum würdigt. Ihm ist irgendwann aufgefallen, dass Leute im Übermut draußen mit Schaum herumsprühen, quasi Markierungen und Spuren hinterlassen. Fischli begann sich für den Mikro-Vandalismus zu interessieren und zog nachts los, um die Schaumschlangen und amorphen Gebilde auf Autos und Stadtmobiliar zu dokumentieren.

    Ein Video dokumentiert die Eventgier gut gelaunter Menschen

    Action und Freizeitspaß in Endlosschleife: Peter Fischli hat genau hingesehen.
    Action und Freizeitspaß in Endlosschleife: Peter Fischli hat genau hingesehen.

    Entlarvend und nachhaltig verstörend ist eine andere Dokumentation, die in der leer geräumten Eingangshalle des KUB in Endlosschleife auf einem großen Monitor läuft. Der Film besteht aus Kurzvideos, die mit „GoPro“-Kameras, Actionkameras für hippe Freizeithelden, aufgenommen wurden. Peter Fischli hat diese grellbunten Fetzen, die Spaß, Sport, Tempo, Freizeitkick und Eventgier gut gelaunter junger Menschen zeigen, in einem Elektromarkt bei Zürich mit dem Handy abgefilmt. Sein Doku-Material dieses „Übermaßes an Positivität“ montierte der Künstler zu einem Loop von zwölf Minuten Länge, unterlegt mit der „Feel-Good“-Musik aus dem Elektronikmarkt. Es ist ein Ausflug zum Mittelpunkt der Action-Hölle, ins ruhelos im Leerlauf schlagende Herz der Fun-Finsternis.

    Info: bis 29. November. Geöffnet Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr. www.kunsthaus-bregenz.at

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